»Wolfskinder-Denkmal«

Paminklas vilko vaikams


Im memelländischen Mikieten (litauisch: Mikytai) gibt es seit 1992 das »Wolfskinder-Denkmal« für ostpreußische Jungen und Mädchen, die während der Flucht, durch die Wirren des Kriegsendes 1944/45 oder die Vertreibung zu Waisen wurden und meist nach Litauen geflüchtet sind.

Geschichte

Im Herbst 1944 überschritt die Rote Armee erstmals die Grenze zum Deutschen Reich und eroberte Teile Ostpreußens jenseits der Memel, das »Memelland« (auch Preußisch- oder Klein-Litauen). Die nationalsozialistischen Lager waren bereits geräumt. Die deutschsprachigen Memelländer flohen meist. Mit einer Großoffensive ab Mitte Januar 1945 überrollten Stalins Truppen Ostpreußen innerhalb kürzester Zeit. Es kam zur überstürzten Flucht Hunderttausender Zivilisten. Nach der sowjetischen Besetzung der Provinz kehrten viele zurück. Zehntausende Deutsche wurden bald darauf zur Zwangsarbeit, oft nach Sibirien, verschleppt. Gewaltsame Übergriffe seitens der Eroberer gehörten fortan zum Alltag; es brachen Hungersnöte und Krankheiten aus, denen Zehntausende deutsche Kinder, Frauen und Alte zum Opfer fielen. Tausende Kinder verloren ihre Eltern und mussten sich als Waise durchschlagen. Sie zogen bettelnd und stehlend über das Land. Viele verhungerten, andere gingen über die Memel in das nunmehr sowjetlitauische Memelland und weiter nach Litauen. Dort fanden sie zunächst Zuflucht in den Wäldern, wurden später von litauischen Familien aufgenommen und als billige Arbeitskräfte eingesetzt. Die meisten wurden schließlich adoptiert, haben litauische Namen angenommen und vergaßen allmählich ihre deutsche Herkunft. Schätzungen gehen davon aus, dass sich 1948 um die 5.000 ostpreußische Kinder und Jugendliche in Litauen aufhielten. Sie nannten sich »Wolfskinder«. In Litauen heißen sie auch »Vokietukai« [kleine Deutsche].
Deutsche Waisenkinder im fortan russischen Teil Ostpreußens lieferten die sowjetischen Behörden in Heime ein. Mit Beginn der Aussiedlung der ostpreußischen Bevölkerung ab Herbst 1947 wurden auch sie in die Sowjetische Besatzungszone (ab 1949: DDR) abtransportiert. Allein im Mai 1951 wurden noch einmal 3.300 Kinder und Jugendliche aus der Sowjetunion in die DDR geschickt.

Opfergruppen

Die Denkmalanlage erinnert an die Tausenden ostpreußischen Jungen und Mädchen, die während der Flucht, durch die Wirren des Kriegsendes 1944/45 oder die Vertreibung ihre Eltern und Verwandten verloren und meist nach Litauen geflüchtet oder in den Westen abtransportiert worden sind. Viele verhungerten oder kamen bei der Flucht aus dem russischen Teil Ostpreußens um. Auch der Zehntausenden Toten unter der übrigen Zivilbevölkerung zwischen 1944 und 1947 wird gedacht.

Erfahre mehr über Litauen

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlangte Litauen 1918 seine Unabhängigkeit vom Russischen Reich. Im Juni 1940 wurde das Land gemäß einem deutsch-sowjetischen Vertrag – dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt – von der Roten Armee besetzt. Viele katholische Litauer machten pauschal Juden für den Verlust der Eigenstaatlichkeit und den sowjetischen Terror verantwortlich. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überrollte die Wehrmacht das Land binnen kurzem. Bereits zwei Tage später führten deutsche Einheiten im grenznahen Garsden die erste Massenerschießung von Juden in diesem Feldzug durch. Litauische Nationalisten erschlugen in den ersten Kriegstagen hunderte Juden. Anschließend überfiel das deutsch-litauische »Rollkommando Hamann« Tag für Tag Ortschaften in Litauen und erschoss bis Ende 1941 beinahe sämtliche Juden auf dem Land und in Kleinstädten. Litauische SS-Einheiten und Polizeibataillone waren auch an Mordaktionen insbesondere auf belarussischem Gebiet beteiligt. Die Zahl der bis Sommer 1944 ermordeten litauischen Juden liegt zwischen 140.000 und 150.000 – fast 99 Prozent der jüdischen Bevölkerung des Landes in der Zwischenkriegszeit. Hinzu kommen etwa 70.000 jüdische Opfer aus dem Wilna-Gebiet, das nach der Zerschlagung PolensW im Herbst 1939 an Litauen zurückgegeben worden war. Der Terror richtete sich ab Sommer 1941 auch gegen meist kommunistische Kritiker und andere Minderheiten. Verschleppungen von Zwangsarbeitern in das Deutsche Reich setzten ein. Insgesamt etwa 170.000 nichtjüdische litauische Zivilisten fanden den Tod. Mit der Rückeroberung durch die Rote Armee 1944 wurde das Land erneut Teil der Sowjetunion. Tausende Litauer emigrierten, Tausende andere kämpften noch bis Ende der 1950er Jahre als Partisanen (»Waldbrüder«) gegen die sowjetische Besatzung. Insgesamt verschleppte der sowjetische Geheimdienst NKWD etwa 500.000 Litauer in das Innere der Sowjetunion. Das offizielle Litauen der Sowjetzeit gedachte vor allem der Helden des »Großen Vaterländischen Kriegs« und der prosowjetischen litauischen Patrioten, aber auch der ermordeten »friedliebenden Sowjetbürger und Kommunisten«. An einem der wichtigsten Orte des Massenmordes, dem IX. Fort in Kaunas, wurde 1958 ein Museum eingerichtet und 1984 ein monumentales Denkmalensemble aus Beton eröffnet. Seine Unabhängigkeit von Moskau erkämpfte sich das Land 1990/91 auch gegen russische Panzer mit 14 Toten. Anschließend wurden viele Monumente aus sowjetischer Zeit abgebaut, die jahrzehntelange Besatzung und der Widerstand rückten ins Zentrum der nationalen Erinnerung. Die Annexion Litauens durch die Sowjetunion 1940/41 und 1944 bis 1990 sowie die deutsche Besetzung wurden gleichgesetzt; wie in Lettland und Estland Okkupationsmuseen eingerichtet, deren inhaltlicher Schwerpunkt die Jahre des sowjetischen Terrors ist. Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer breiten Diskussion über die litauische Beteiligung am Holocaust und 1998 zur Gründung einer Internationalen Kommission zur Bewertung der Verbrechen während des nationalsozialistischen und des sowjetischen Besatzungsregimes. Mittlerweile ist die litauische Erinnerungskultur immer vielfältiger. Eines der wichtigsten Institutionen ist das Jüdische Museum »Gaon von Wilna«. Am ehemaligen Massenerschießungsort Ponary (Paneriai) soll neben den Denkmälern auch ein Museumsbau entstehen. Bereits seit 2014 gibt es eine neue Dauerausstellung im Fort IX, während das Internetprojekt »Holocaust Atlas of Lithuania« detaillierte Informationen über die Orte der Massenerschießungen im ganzen Land anbietet.

Erinnerung

1990, ein Jahr vor der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit Litauens von der Sowjetunion, gründete sich der »Deutsche Verein Edelweiß«. Er versteht sich als Ansprechpartner für »Wolfskinder« und versucht, Schicksale zu klären und Verwandte oder Bekannte in Deutschland zu finden. Der Verein erhielt 1992 die Genehmigung der litauischen Behörden, in Mikieten einen Erinnerungsort für die »in den Jahren 1944–1947 umgebrachten und verhungerten Einwohner Ostpreußens« zu errichten. Weil er auch die zurückgelassenen Waisen einbezieht, wird er im Volksmund »Wolfskinder-Denkmal« genannt. 2002 wurde die Widmung erneuert. Die Gedenkanlage liegt an der Kreuzung der Straßen von Tauroggen (litauisch: Tauragė) nach Tilsit (russisch: Sowjetsk) und von Heydekrug (litauisch: Šilutė) nach Jurburg (litauisch: Jurbarkas), unweit der Memel als Grenze zum Königsberger Gebiet der Russischen Föderation.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

http://www.wolfskinder-geschichtsverein.de

info@wolfskinder-geschichtsverein.de

A12 / 141
99286 Mikytai