Im ostpolnischen Jedwabne ermordeten am 10. Juli 1941 etwa neunzig polnische Einwohner wahrscheinlich 400 ihrer jüdischen Nachbarn, indem sie sie in einer Scheune lebendig verbrannten. Sechzig Jahre nach dem Massaker wurde am Ort ein Denkmal für die Opfer errichtet.
Jedwabne ist eine Kleinstadt im Nordosten Polens, etwa siebzig Kilometer von Bialystok entfernt. Juden lebten hier seit Ende des 18. Jahrhunderts. In den 1930er Jahren hatte die jüdische Gemeinde vermutlich etwa 1.200 Mitglieder bei einer Stadtbevölkerung von etwa 2.100. Im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes besetzte im September 1939 die Rote Armee Ostpolen, darunter auch Jedwabne. Die sowjetische Besatzung bedeutete für Jedwabnes Einwohner Verfolgung, Enteignungen und Deportationen nach Sibirien. Als das Deutsche Reich und seine Verbündeten im Sommer 1941 die Sowjetunion angriffen, fiel Jedwabne nach wenigen Tagen unter deutsche Besatzung. Polnische Einwohner Jedwabnes warfen den Juden vor, während der russischen Besatzung mit den sowjetischen Behörden zusammengearbeitet zu haben. Am Morgen des 10. Juli 1941 trieben etwa neunzig polnische Männer aus Jedwabne und Umgebung die Juden des Ortes auf dem Markplatz zusammen. Viele der Auswärtigen versprachen sich Beute durch Plünderungen bei den Juden und waren eigens dafür nach Jedwabne gereist. Möglicherweise war an diesem Tag auch eine kleine Einheit der Gestapo anwesend, die die polnischen Einwohner zu dem Pogrom ermutigte. Aus Zeugenaussagen nach dem Krieg ließ sich jedoch lediglich nachvollziehen, dass eine Gruppe Deutscher am 10. Juli 1941 in Jedwabne anwesend war. Die polnische Bevölkerung von Jedwabne begann den Pogrom ohne Zwang durch die deutschen Besatzer. Polnische Einwohner von Jedwabne quälten und schlugen die Juden stundenlang auf dem Markplatz. Viele jüdische Männer wurden erschlagen. Die Überlebenden trieben die Täter in eine Scheune. Dort pferchten sie die etwa 300 bis 400 jüdischen Männer, Frauen und Kinder ein und steckten das Gebäude in Brand. Sie verbrannten bei lebendigem Leib. Die überlebenden Juden mussten später in ein Ghetto umziehen.
Die Zahl der Opfer von Jedwabne ist umstritten. Auch die Zahl der jüdischen Einwohner der Stadt ist unklar, da es aus der unmittelbaren Vorkriegszeit keine Aufzeichnungen gibt und ab September 1939 immer wieder Flüchtlinge nach Jedwabne kamen. Schätzungen gehen von 300 bis 1.000 Opfern aus. Bei einer unvollständigen Exhumierung 2002 konnten die Überreste von 300 bis 400 Opfern geborgen werden. Daher ist von mindestens 300 Ermordeten auszugehen.
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Nach dem Krieg gab es in Polen mehrere Prozesse zum Pogrom in Jedwabne. Die Prozesse gegen die Täter wurden nach wenigen Jahren abgewickelt, einige der Täter zu Haftstrafen verurteilt. Mehr als sechzig Prozesse fanden in der Region Bialystok statt, in der an etwa dreißig Orten ähnliche Pogrome stattgefunden hatten. Die Aufarbeitung dieser Pogrome wurde jedoch bald abgebrochen. In der sozialistischen Volksrepublik Polen galten Kollaboration mit den deutschen Besatzern und Morde an Juden durch polnische Täter als Tabu.
Erst im Jahr 2000 mit dem Erscheinen des Buchs »Nachbarn« von Jan Tomasz Gross geriet der Pogrom von Jedwabne in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. In Polen folgte eine hitzige Debatte über das historische Selbstverständnis der Nation. 2001 wurde das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) damit beauftragt, die Geschichte des Massakers in Jedwabne zu untersuchen. Zum sechzigsten Jahrestag des Pogroms, am 10. Juli 2001, wurde in Jedwabne ein Denkmal errichtet. Bei der Einweihungsfeier entschuldigte sich Polens Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski bei den Opfern. 2002 erfolgte eine forensische Untersuchung in Jedwabne, bei der die Überreste von Opfern geborgen wurden. Im gleichen Jahr erschien der abschließende Bericht des IPN zu dem Massaker in Jedwabne: Er bestätigte, dass Polen 1941 die Juden Jedwabnes in der Scheune ermordet hatten. Zudem belegte das IPN eine Vielzahl ähnlicher Fälle in der Region. Das Denkmal in Jedwabne ist wiederholt Opfer von Vandalismus geworden und wird von vielen Einwohnern bis heute abgelehnt.
Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.
ul. Krasickiego
18-420 Jedwabne