Seit 1992 erinnert in der ukrainischen Stadt Charkiw (russisch: Charkow) eine »Wand der Trauer« an die 1941 und 1942 ermordeten Juden der Stadt. Die Gedenkwand befindet sich am Rand des ehemaligen Ghettogeländes.
Geschichte
Vor 1941 existierte in Charkiw (russisch und damals im deutschen Sprachgebrauch: Charkow) eine der größten jüdischen Gemeinden der Sowjetunion mit etwa 130.000 Mitgliedern. Der überwiegende Teil der Juden konnte im Sommer 1941 vor der herannahenden Wehrmacht fliehen. Charkiw wurde am 23. Oktober 1941 von der deutschen Wehrmacht besetzt. Im November 1941 beschloss die deutsche Militärverwaltung, den Juden von Charkiw geringere Lebensmittelmengen zuzuteilen: Im Vergleich mit den ohnehin schon knappen Lebensmittelrationen für die übrige Bevölkerung bekamen Juden nur 40 Prozent der Mengen zugeteilt. Zudem ordnete der Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes Geiselnahmen, Erschießungen oder das Erhängen von Juden an.
Am 26. November erreichte das Sonderkommando 4a unter Paul Blobel die Stadt. Viele Juden wurden festgenommen, gefoltert und anschließend in »Gaswagen« ermordet. Am 14. Dezember 1941 mussten sich über 15.000 Charkiwer Juden auf Geheiß des Stadtkommandanten zum Gelände einer zwölf Kilometer entfernten Traktorenfabrik begeben, wo sie interniert wurden. In den unbeheizten Schuppen ohne Scheiben und ohne sanitäre Einrichtungen verhungerten oder erfroren viele. Anfang Januar 1942 begannen die Männer des Sonderkommandos die Juden systematisch zu ermorden: Unterstützt vom Polizeibataillon 314 und Einheiten der Waffen-SS brachte das Sonderkommando die Juden gruppenweise auf Lastwagen zur Drobitzker Mulde (Drobizkij Jar). Dort erschossen sie etwa 15.000 Juden oder erstickten sie durch Motorabgase in »Gaswagen«.
Opfergruppen
Insgesamt 15.000 bis 21.000 Juden aus Charkiw fielen den Massenmorden der deutschen Besatzer und des Sonderkommandos 4a in den Jahren 1941 und 1942 zum Opfer.
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Ukraine
Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden.
Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen.
Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.
Erinnerung
Am 30. September 1992 errichtete das Charkiwer »Komitet Drobizkij Jar« am Rande des ehemaligen Ghettogeländes eine Gedenkwand.