Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung

Fundacja »Krzyżowa« dla Porozumienia Europejskiego


Im niederschlesischen Kreisau (polnisch: Krzyżowa), einem Dorf etwa 60 Kilometer südwestlich von Breslau, traf sich während des Zweiten Weltkrieges auf dem Gut von Helmuth James von Moltke regelmäßig eine Gruppe von Gegnern des Nationalsozialismus. Sie entwarfen ein Konzept für den Aufbau Deutschlands nach dem erhofften Zusammenbruch des Regimes. Nach ihrer Aufdeckung durch die Gestapo wurde die Gruppe als »Kreisauer Kreis« bekannt, ihre führenden Mitglieder wurden hingerichtet. Seit 1998 befindet sich eine internationale Begegnungs- und Tagungsstätte auf dem jahrzehntelang vernachlässigten Gut.

Geschichte

Der Widerstand in Deutschland gegen das nationalsozialistische Regime war breit gefächert, zu keinem Zeitpunkt jedoch entstand eine große, einheitliche Bewegung. Männer und Frauen aus allen sozialen Schichten und mit den unterschiedlichsten politischen Einstellungen waren im Widerstand aktiv, ob als Einzelpersonen oder in Gruppen, die untereinander nur selten Kontakt hatten.
Im Januar 1940 begannen Helmuth James von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg über eine neue Staatsform nach dem Ende des Krieges zu diskutieren. Sie waren überzeugt, dass die nationalsozialistische Diktatur früher oder später zusammenbrechen würde. Beide standen bereits zuvor mit Regimekritikern in Kontakt. Ab 1941 intensivierten sich die politischen Diskussionen: Etwa 40 Personen aus dem Freundeskreis Moltkes und Yorcks begannen, sich in unterschiedlicher Zusammensetzung an verschiedenen Orten zu Gesprächen zu treffen. Die Teilnehmer stammten aus unterschiedlichen politischen und sozialen Milieus. In Kreisau fanden im Mai und Oktober 1942 und Frühjahr 1943 insgesamt drei große Treffen statt, die als Landausflüge getarnt waren. Die Mitglieder entwarfen in verschiedenen Fassungen ein theoretisches Konzept für eine Erneuerung des deutschen Staates auf der Grundlage christlicher und humanistischer Werte.
Die Gruppe unterhielt zwar Verbindungen zur Widerstandsgruppe in der Wehrmacht, Moltke und andere waren jedoch gegen den geplanten Umsturz des NS-Regimes durch ein Attentat auf Adolf Hitler. Als Moltke von der Gestapo im Januar 1944 verhaftet wurde, was nicht im Zusammenhang mit der Widerstandsgruppe stand, zerfiel der Kreis weitgehend. Einige schlossen sich dem militärischen Widerstand um Claus Schenk Graf von Stauffenberg an. Erst als Stauffenbergs Attentat und Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 scheiterten, wurde die Gestapo bei Verhören von Mitwissern der Verschwörung auf den »Kreisauer Kreis« aufmerksam. Führende Mitglieder der Gruppe wurden verhaftet und hingerichtet.

Opfergruppen

Nach dem Scheitern des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wurden etwa 200 der Verschwörer in den Tod getrieben oder hingerichtet, darunter auch acht Mitglieder des »Kreisauer Kreises«. Sie wurden zwischen August 1944 und Februar 1945 im Berliner Strafgefängnis Plötzensee durch den Strang hingerichtet: Peter Yorck von Wartenburg, Hans Bernd von Haeften, Adam von Trott zu Solz, Adolf Reichwein, Julius Leber, Helmuth James von Moltke, Theodor Haubach und Alfred Delp.

Erfahre mehr über Polen

Mit dem Angriff auf Polen und der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im Westen und durch die Rote Armee im Osten begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Einmarsch setzten in beiden Teilungsgebieten Verfolgung und Terror ein. Deutsche Verbände verübten Massaker an Angehörigen der geistigen Eliten, jüdischen und nichtjüdischen Zivilisten sowie Patienten. Ab Ende 1939 errichtete die deutsche Verwaltung Ghettos, in denen die jüdische Bevölkerung unter elenden Bedingungen zusammengedrängt wurde. 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, geriet auch Ostpolen unter deutsche Herrschaft. SS-Einsatzgruppen ermordeten zunächst systematisch jüdische Männer, später auch Frauen und Kinder. Im Herbst 1941 begannen lokale deutsche Dienststellen im früheren Westpolen mit der Vorbereitung von Massentötungen jüdischer Ghettohäftlinge durch Giftgas. Bis 1945 wurden etwa drei Millionen polnische Juden in den Vernichtungsstätten Kulmhof, Belzec, Treblinka und Sobibor, in Majdanek und Auschwitz ermordet, verhungerten in den Ghettos oder wurden erschossen. 1943 erhoben sich die jüdischen Bewohner des Warschauer Ghettos zu einem Aufstand, den die SS blutig niederschlug. Polnische Soldaten kämpften auf Seiten der Alliierten an allen Fronten des Weltkriegs. Partisanengruppen, darunter die patriotische »Armia Krajowa« (Heimatarmee), bildeten die größte Widerstandsbewegung im besetzten Europa. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, die umfangreichste Erhebung von Zivilisten gegen die Deutschen im besetzten Europa. Er scheiterte, auch weil die Rote Armee – bereits am anderen Weichselufer stehend – nicht eingriff. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 250.000 geschätzt. Insgesamt kamen etwa drei Millionen nichtjüdische Polen unter deutscher Besatzung gewaltsam zu Tode. Nachdem die Rote Armee bereits im Januar 1944 (ost-)polnischen Boden erreicht hatte, wurden die Truppen der Armia Krajowa vom sowjetischen Geheimdienst entwaffnet, ihre Offiziere erschossen oder verschleppt. Die Millionen Toten der Besatzungszeit, die dauerhafte Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion, die Eingliederung ostdeutscher Gebiete und der daraus resultierende Bevölkerungsaustausch verursachten in Polen ein schweres politisches und gesellschaftliches Trauma. In der Erinnerungskultur stand das Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Boden zunächst im Hintergrund. So galt Auschwitz – im Ausland längst zum Symbol des Holocaust geworden – über Jahrzehnte vor allem als »Ort polnischen Martyriums«. Veränderungen gibt es allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu mögen auch die heftigen Debatten um den ostpolnischen Ort Jedwabne beigetragen haben. Das Massaker an etwa 340 Juden am 10. Juli 1941, das bis dahin »Gestapo und Hitler-Polizei« zugeschrieben worden war, hatten polnische »Nachbarn« ohne deutschen Zwang verübt. Die Diskussionen im In- und Ausland um eine polnische Mittäterschaft führten 2001 dazu, dass sich Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski (*1954) bei den Opfern entschuldigte. Forderungen von Fachleuten, etwa aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, sich den schwierigsten Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, wurden lauter. Zu diesen zählen auch antijüdische Pogrome 1946/47 und der staatliche Antisemitismus im sozialistischen Nachkriegspolen. Der polnische Staat investiert sehr viel in Erinnerungspolitik, auch in Großprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Das Museum des Warschauer Aufstandes wurde bereits 2004 eröffnet. Das POLIN Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnete auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos 2013, ein Museum des Warschauer Ghettos soll 2024 folgen. In Danzig gibt es seit 2017 das Museum des Zweiten Weltkrieges. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec und Sobibor wurden nach der Jahrtausendwende in moderne Gedenkstätten umgewandelt. Auch in der Kultur ist eine immer intensivere Beschäftigung mit dem jüdischen und multikulturellen Erbe Polens zu beobachten.

Erinnerung

Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen die Alliierten eine Westverschiebung des polnischen Staatsgebietes. Kreisau, seit der Neuordnung der Grenzen zu Polen gehörend, wurde in Krzyżowa umbenannt und das Gut landwirtschaftlich genutzt. Auf die Geschichte des Ortes wurde keinerlei Bezug genommen, der deutsche und zudem nichtkommunistische Widerstand gegen den Nationalsozialismus passte nicht zum Geschichtsbild des kommunistischen Systems.
Die Idee für eine Begegnungs- und Gedenkstätte zu Ehren der europäischen Widerstandsbewegungen entstand Anfang Juni 1989 auf einer Konferenz eines katholischen Laienvereins in Breslau (polnisch: Wrocław), bei der sich Mitglieder aus Polen, der DDR, der Bundesrepublik, aus den Niederlanden und den USA trafen. Im selben Monat fanden in Polen Wahlen statt, die bald zur Wahl eines nichtkommunistischen Regierungschefs, Tadeusz Mazowiecki, führten. Am 12. November, drei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer, empfing Mazowiecki den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem Kreisauer Gut zu einer Versöhnungsmesse. Beide Regierungen unterstützen die Idee einer Begegnungsstätte, so dass im Juli 1990 die »Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung« (polnisch: Fundacja »Krzyżowa« dla Porozumienia Europejskiego) gegründet wurde. Freya von Moltke, als Ehefrau Moltkes an vielen Treffen der Widerstandsgruppe aktiv beteiligt, nahm auch an der Gründung teil. In den folgenden Jahren ließ die Stiftung das verfallene Gut renovieren. Die Begegnungsstätte konnte schließlich 1998 eröffnen. Etwa 5.000 Besucher, vorwiegend junge Menschen, nehmen jährlich an den verschiedenen Veranstaltungen vor allem im Bereich der historisch-politischen Bildung teil. Die Gedenkstätte präsentiert zudem eine Dauerausstellung unter dem Titel »In der Wahrheit leben. Aus der Geschichte von Widerstand und Opposition im 20. Jahrhundert«.

Angebote

Dauerausstellung zur Geschichte von Widerstand und Opposition in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Gedenkraum, Bibliothek, Mediathek, Akademie, mehrtägige Seminare, internationale Jugendbegegnungen

Kontakt

http://krzyzowa.org.pl

mdsm@krzyzowa.org.pl

+48 74 85 00 300

Krzyżowa 7
58-112 Krzyżowa