Staatliches Jüdisches Museum »Gaon von Wilna«

Vilniaus Gaono žydų istorijos muziejus


Das Jüdische Museum in Wilna (litauisch: Vilnius, polnisch: Wilno, jiddisch: Wilne) gilt als das soziale und kulturelle Zentrum der heutigen jüdischen Gemeinschaft in Litauen. In Teilen der Ausstellung versucht das Museum, das während der sowjetischen und nationalsozialistischen Besatzungszeit vernichtete jüdische Leben in Wilna zu rekonstruieren. Seit 1991 zeigt das Museum eine Dauerausstellung über den Holocaust in Litauen.

Geschichte

In Wilna, dem »Jerusalem des Ostens«, befand sich seit dem 18. Jahrhundert eines der bedeutendsten Zentren jüdischer Gelehrsamkeit weltweit. Mehrere Talmudhochschulen und zahllose Synagogen prägten das Stadtbild. Einer der bekanntesten jüdischen Talmudgelehrten, der große Gaon von Wilna, lebte und lehrte im 18. Jahrhundert in der Stadt. Nach ihm ist das Jüdische Museum benannt.
Ab 1920 gehörten Wilna und Umgebung zu Polen, bis sie nach der Zerschlagung des polnischen Staates im September 1939 wieder zu Litauen kamen. Durch die sowjetische Besetzung Litauens ab 1940 erfuhr das jüdische Leben auch in Wilna einen jähen Einschnitt - die neuen Behörden unterdrückten die jüdische Kultur und beschlagnahmten Eigentum von Juden. Nach dem deutschen Einmarsch im Sommer 1941 schlossen die Besatzer die jüdischen Schulen und zerstörten fast alle der ungefähr einhundert Synagogen in der Stadt. Anfang September 1941 befahlen die Behörden die Errichtung eines streng abgeriegelten Ghettos für sämtliche jüdischen Einwohner Wilnas.
Deutsche und vor allem litauische SS-Angehörige ermordeten etwa 60.000 Juden aus Wilna in der nahegelegenen Kleinstadt Ponary (jiddisch: Ponar, litauisch: Paneriai). Dort befand sich eine der größten Erschießungsstätten im nationalsozialistisch besetzten Europa.

Opfergruppen

Insgesamt starben etwa 60.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer aus Wilna: Sie wurden von deutschen und litauischen SS-Angehörigen in Ponary erschossen oder kamen im Ghetto um.

Erfahre mehr über Litauen

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlangte Litauen 1918 seine Unabhängigkeit vom Russischen Reich. Im Juni 1940 wurde das Land gemäß einem deutsch-sowjetischen Vertrag – dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt – von der Roten Armee besetzt. Viele katholische Litauer machten pauschal Juden für den Verlust der Eigenstaatlichkeit und den sowjetischen Terror verantwortlich. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überrollte die Wehrmacht das Land binnen kurzem. Bereits zwei Tage später führten deutsche Einheiten im grenznahen Garsden die erste Massenerschießung von Juden in diesem Feldzug durch. Litauische Nationalisten erschlugen in den ersten Kriegstagen hunderte Juden. Anschließend überfiel das deutsch-litauische »Rollkommando Hamann« Tag für Tag Ortschaften in Litauen und erschoss bis Ende 1941 beinahe sämtliche Juden auf dem Land und in Kleinstädten. Litauische SS-Einheiten und Polizeibataillone waren auch an Mordaktionen insbesondere auf belarussischem Gebiet beteiligt. Die Zahl der bis Sommer 1944 ermordeten litauischen Juden liegt zwischen 140.000 und 150.000 – fast 99 Prozent der jüdischen Bevölkerung des Landes in der Zwischenkriegszeit. Hinzu kommen etwa 70.000 jüdische Opfer aus dem Wilna-Gebiet, das nach der Zerschlagung PolensW im Herbst 1939 an Litauen zurückgegeben worden war. Der Terror richtete sich ab Sommer 1941 auch gegen meist kommunistische Kritiker und andere Minderheiten. Verschleppungen von Zwangsarbeitern in das Deutsche Reich setzten ein. Insgesamt etwa 170.000 nichtjüdische litauische Zivilisten fanden den Tod. Mit der Rückeroberung durch die Rote Armee 1944 wurde das Land erneut Teil der Sowjetunion. Tausende Litauer emigrierten, Tausende andere kämpften noch bis Ende der 1950er Jahre als Partisanen (»Waldbrüder«) gegen die sowjetische Besatzung. Insgesamt verschleppte der sowjetische Geheimdienst NKWD etwa 500.000 Litauer in das Innere der Sowjetunion. Das offizielle Litauen der Sowjetzeit gedachte vor allem der Helden des »Großen Vaterländischen Kriegs« und der prosowjetischen litauischen Patrioten, aber auch der ermordeten »friedliebenden Sowjetbürger und Kommunisten«. An einem der wichtigsten Orte des Massenmordes, dem IX. Fort in Kaunas, wurde 1958 ein Museum eingerichtet und 1984 ein monumentales Denkmalensemble aus Beton eröffnet. Seine Unabhängigkeit von Moskau erkämpfte sich das Land 1990/91 auch gegen russische Panzer mit 14 Toten. Anschließend wurden viele Monumente aus sowjetischer Zeit abgebaut, die jahrzehntelange Besatzung und der Widerstand rückten ins Zentrum der nationalen Erinnerung. Die Annexion Litauens durch die Sowjetunion 1940/41 und 1944 bis 1990 sowie die deutsche Besetzung wurden gleichgesetzt; wie in Lettland und Estland Okkupationsmuseen eingerichtet, deren inhaltlicher Schwerpunkt die Jahre des sowjetischen Terrors ist. Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer breiten Diskussion über die litauische Beteiligung am Holocaust und 1998 zur Gründung einer Internationalen Kommission zur Bewertung der Verbrechen während des nationalsozialistischen und des sowjetischen Besatzungsregimes. Mittlerweile ist die litauische Erinnerungskultur immer vielfältiger. Eines der wichtigsten Institutionen ist das Jüdische Museum »Gaon von Wilna«. Am ehemaligen Massenerschießungsort Ponary (Paneriai) soll neben den Denkmälern auch ein Museumsbau entstehen. Bereits seit 2014 gibt es eine neue Dauerausstellung im Fort IX, während das Internetprojekt »Holocaust Atlas of Lithuania« detaillierte Informationen über die Orte der Massenerschießungen im ganzen Land anbietet.

Erinnerung

Seit 1913 gab es in Wilna ein Jüdisches Museum, das mit der sowjetischen Besetzung 1940 verstaatlicht und ab 1941 von den deutschen Behörden als Lager für geraubte Kulturgüter missbraucht wurde. Bereits 1944 konnte es auf Initiative von Holocaustüberlebenden erneut als Museum öffnen, bis es auf Weisung der sowjetischen Machthaber 1949 seine Arbeit einstellen musste. In der folgenden Zeit gab es im sowjetisch annektierten Litauen keinerlei jüdische Institutionen mehr. Erst vierzig Jahre später genehmigten die Behörden die Neueröffnung des Jüdischen Museums.
Nachdem Litauen seine staatlichen Unabhängigkeit wiedererlangt hatte, wurde 1991 von den Museumsbetreibern die Dauerausstellung »Die Katastrophe« über den Holocaust in Litauen im »Grünen Haus« in der Pamėnkalnio gatvė 12 eröffnet. Neben der Holocaustausstellung gehören vier weitere Außenstellen zum Jüdischen Museum: das Zentrum für Toleranz mit Sitz in der Naugarduko gatvė 10/2, eine weitere Ausstellung über Synagogen und Zeugnisse jüdischen Lebens in Litauen im ehemaligen jüdischen Kulturgymnasium in der Pylimo gatvė 4, die Denkmalanlage in Ponary sowie das Jacques-Lipchitz-Erinnerungsmuseum in Druskininkai.
Das Zentrum für Toleranz wurde 2001 im Gebäude des ehemaligen jüdischen Theaters in der Naugarduko gatvė 10/2 eingeweiht. Dort finden regelmäßig Kultur- und Bildungsveranstaltungen statt. Bildungsangebote des Zentrums richten sich gegen Antisemitismus und Rassismus. Selbsterklärtes Ziel ist es, den Wert von Toleranz in der Gesellschaft zu verankern.

Angebote

Ausstellungsführungen und Führungen durch das ehemalige jüdische Viertel der Altstadt (nach Voranmeldung), Newsletter (erscheint regelmäßig und ist auch im Internet abrufbar), Bildungsangebote des Zentrums für Toleranz

Öffnungszeiten

Holocaustausstellung:
montags bis donnerstags 9.00 bis 17.00
freitags 9.00 bis 16.00
samstags und sonntags geschlossen

Zentrum für Toleranz:
montags bis donnerstags 10.00 bis 18.00,
freitags und sonntags 10.00 bis 16.00
samstags geschlossen

Kontakt

http://www.jmuseum.lt

muziejus@jmuseum.lt

+370 (8)5 231 2357

Naugarduko gatvė 10/2
01114 Vilnius