Im Berliner Stadtteil Schöneberg erinnert seit 1993 das dezentrale Denkmal »Orte des Erinnerns« an die schrittweise Ausgrenzung und Entrechtung der Berliner Juden. Im Bayerischen Viertel, über das die achtzig Erinnerungszeichen verteilt sind, lebten vor 1933 viele Juden.
Berlin entwickelte sich seit dem 18. Jahrhundert zu einem Zentrum jüdischen Lebens. Viele jüdische Institutionen wie jüdische Schulen und Krankenhäuser wurden in Berlin gegründet. Neben der 1866 errichteten Neuen Synagoge gab es viele weitere jüdische Gotteshäuser, zudem etwa 150 jüdische Vereine und kulturelle Einrichtungen. Um 1930 lebten etwa 170.000 Juden in Berlin. 16.000 von ihnen lebten im Stadtteil Schöneberg, viele von ihnen im großbürgerlichen Bayerischen Viertel, das zwischen 1900 und 1914 auf Betreiben des jüdischen Kaufmanns Salomon Haberland (1836–1914) entstand. Unter den ehemaligen Bewohnern des Viertels finden sich Namen wie Albert Einstein, Alfred Kerr oder Marcel Reich-Ranicki.
Das Leben der Berliner Juden änderte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 schlagartig. Die Nationalsozialisten begannen, Juden aus dem gesellschaftlichen Leben schrittweise auszugrenzen: Berufsverbote und diskriminierende Verordnungen machten ein geregeltes Leben unmöglich. Bei den Pogromen im November 1938 zerstörten Nationalsozialisten und ihre Unterstützer Synagogen und jüdische Geschäfte; Mehrere tausend jüdische Männer wurden für einige Wochen in Konzentrationslager verschleppt. Bis 1940 gelang es etwa 90.000 Berlin Juden auszuwandern.
Die Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten führte zur völligen Entrechtung und schließlich zur Deportation und Ermordung der deutschen Juden: Ab 1939 konnten Juden keine selbstständigen Berufe mehr ausüben, sie mussten ihre Geschäfte verkaufen. Viele wurden zu Zwangsarbeitseinsätzen herangezogen. Ab 1941 mussten Juden einen gelben Stern an ihrer Kleidung tragen. Im Herbst 1941 begann die SS, Berliner Juden zu deportieren, zunächst in Ghettos im besetzten Osten. Ab 1942 fuhren die Transporte aus dem Deutschen Reich auch direkt in die Vernichtungslager. Nur etwa 8.000 Berliner Juden überlebten den nationalsozialistischen Völkermord.
Im Bayerischen Viertel lebten vor 1933 überdurchschnittlich viele Juden, darunter viele Ärzte, Anwälte, Geschäftsleute, Intellektuelle und Künstler. Von den 16.000 jüdischen Einwohnern des Stadtteils Schöneberg deportierte und ermordete die SS tausende. 6.000 der ermordeten Schöneberger Juden sind namentlich bekannt.
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Anfang der 1980er Jahre begannen Einwohner des Stadtteils, sich mit der Geschichte ihres Viertels auseinanderzusetzen und Spuren jüdischen Lebens im Bayerischen Viertel zu suchen. Das Kunstamt Schöneberg initiierte das Projekt »Mahnen und Gedenken im Bayerischen Viertel«, das an verschiedenen Orten Ereignisse und Lebensläufe von jüdischen Einwohnern dokumentieren sollte. Aus diesem Projekt entstand 1988 die Idee, eine Mahn- und Gedenkstätte zu errichten. Später wurde das Vorhaben abgewandelt: Statt eines zentralen Mahnmals sollten mehrere Erinnerungszeichen an verschiedenen Orten im Bayerischen Viertel angebracht werden. Das so entstandene dezentrale Denkmal »Ort des Erinnerns im Bayerischen Viertel« des Künstlerduos Renata Stih und Frieder Schnock wurde 1993 eingeweiht. Es besteht aus achtzig doppelseitigen Tafeln, die an verschiedenen Stellen im Bayerischen Viertel in drei Metern Höhe an Laternenmasten befestigt sind. Auf den Tafeln sind auf jeweils einer Seite Piktogramme von Alltagsgegenständen abgebildet, auf der anderen Seite steht eine Kurzform von antijüdischen Maßnahmen und Verordnungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Übersichtsplan informiert über die Standorte aller achtzig Erinnerungszeichen.
http://www.stih-schnock.de/remembrance.html
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+49 (0)30 265 266 5
Bayerisches Viertel
10779 Berlin