Ort der Erinnerung und Information für die Opfer des »Zigeunerlagers« Marzahn

Ort der Erinnerung und Information für die Opfer des »Zigeunerlagers« Marzahn


Am nordöstlichen Stadtrand Berlins, im Stadtteil Marzahn, errichtete das Hauptwohlfahrtsamt in Zusammenarbeit mit der Berliner Polizei im Frühjahr 1936 ein Lager für »Zigeuner«. Etwa 2.000 Sinti und Roma mussten hier zusammen leben. Im März 1943 wurden fast alle Insassen des Lagers in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert und später dort ermordet. Seit 1986 erinnert ein Gedenkstein an die Opfer des Lagers.

Geschichte

Für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin wünschte sich die nationalsozialistische Führung eine »zigeunerfreie« Reichshauptstadt. Die Berliner Polizei verhaftete in Zusammenarbeit mit dem Rassenpolitischen Amt der NSDAP und dem Berliner Hauptwohlfahrtsamt ab Mai 1936 etwa 600 Sinti und Roma und brachte sie zum sogenannten Rastplatz Mahrzahn. Hier mussten sie in Wohnwagen oder behelfsmäßigen Baracken wohnen. Die Lebensbedingungen in diesem Lager waren äußerst schwierig: Für Familien waren die Wohnwagen zu eng, auf dem Lagergelände gab es nur wenige Wasserhähne und Toiletten. Bis September 1938 stieg die Zahl der Sinti und Roma in Marzahn auf etwa 850 an, viele Menschen erkrankten aufgrund der unzureichenden Lebensbedingungen. Ein Teil der männlichen Lagerbewohner musste Zwangsarbeit leisten, niemand durfte das Lager ohne Genehmigung verlassen. Viele arbeitslose Männer wurden später aus dem Lager Marzahn in die Konzentrationslager (KZ) Buchenwald und Sachsenhausen zum Zwangsarbeitseinsatz deportiert. Ab 1936 kamen regelmäßig Mitarbeiter der Rassenhygienischen Forschungsstelle um Robert Ritter in das Lager Marzahn und »erforschten« die »Rasse der Zigeuner«. 1938 erließ der »Reichsführer-SS« Heinrich Himmler einen Runderlass, in dem festgelegt wurde, dass »Zigeuner« fortan als »Rasse« verfolgt wurden. Am 16. Dezember 1942 folgte Himmlers Erlass über die Einweisung von »Zigeunern« in das KZ Auschwitz-Birkenau. Wahrscheinlich wurden die ersten Familien von Sinti und Roma im März 1943 aus dem Lager Marzahn deportiert. Die meisten von ihnen wurden in Auschwitz ermordet.

Opfergruppen

Schätzungsweise 1.000 bis über 1.200 Sinti und Roma lebten von 1936 bis 1943 im Lager Marzahn. Ein Teil der Männer musste Zwangsarbeit leisten, 1938 wurden arbeitslose Männer in die Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen deportiert. Daher lebten vor allem Frauen und Kinder im Lager Marzahn. 1943 wurden fast alle Sinti und Roma bis auf etwa 24 von Marzahn nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Wie viele überlebten ist unklar.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Nachdem 1944 die meisten Baracken bei einem Bombenangriff zerstört wurden, mussten die etwa 24 in Marzahn verbliebenen Sinti und Roma zusammen in einer einzigen Baracke leben. Ende April 1945 befreite die Rote Armee das Lager Marzahn, die Sinti und Roma mussten jedoch noch weitere Jahre im Lager bleiben, bis sie neue Wohnungen zugewiesen bekamen.
Das ehemalige Lagergelände geriet in Vergessenheit, der Stadtteil Marzahn wurde Ende der 1970er Jahre auf Beschluss der DDR-Führung mit großen Wohnblöcken bebaut. Dem Schriftsteller und Umweltschutzaktivisten Reimar Gilsenbach (1925-2002) ist es zu verdanken, dass die Erinnerung an das Lager in Marzahn nicht gänzlich verblasste. Gilsenbach kämpfte auch dafür, dass Sinti und Roma in der DDR als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt würden. So bemühte er sich zuerst 1984 erfolglos beim »Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer« um eine Gedenkstätte für die Sinti und Roma. Daraufhin wandte sich Gilsenbach 1985 direkt an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker: Das Zentralkomitee der SED entschied, 1986 einen Gedenkstein auf dem Parkfriedhof in Marzahn, nahe dem ehemaligen Lagergelände, zu errichten. Am 29. Juni 1986 veranstaltete die Evangelische Kirche erstmals eine Gedenkfeier für Sinti und Roma auf dem Parkfriedhof. Am 12. September 1986 wurde der Gedenkstein eingeweiht. Darauf steht: »Vom Mai 1936 bis zur Befreiung unseres Volkes durch die ruhmreiche Sowjetarmee litten in einem Zwangslager unweit dieser Stätte hunderte Angehörige der Sinti. Ehre den Opfern.« 1990 wurde eine weitere Gedenktafel hinzugefügt, ein Jahr später folgte eine Metalltafel mit Informationen über das Zwangslager in Marzahn.
Auf den historischen Standort des Lagers, auf dem heutigen Otto-Rosenberg-Platz, weist ein Schild hin. Seit 2011 gibt es hier auf die Initiative des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg einen »Ort der Erinnerung und Information«. Zehn Ausstellungstafeln informieren über die Geschichte des Lagers und erinnern an das Schicksal der dort internierten Menschen. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Biografien der Opfer.

Angebote

Bildungsangebote wie Führungen und Workshops auf Nachfrage.

Öffnungszeiten

Der Friedhof ist von morgens bis Einbruch der Dunkelheit zugänglich. Die Ausstellung ist jederzeit zugąnglich.

Kontakt

http://www.sinti-roma-berlin.de

info@sinti-roma-berlin.de

+49 (0)30 435 511 70

Wiesenburger Weg 10
12681 Berlin