Alter Jüdischer Friedhof Memel

Klaipėdos Senosios žydų kapinės


In der Hafenstadt Memel (litauisch: Klaipėda) erinnert auf dem alten jüdischen Friedhof aus preußisch-deutscher Zeit eine Gedenkwand mit Grabsteinen an die Auslöschung der Gemeinde im Nationalsozialismus und an die Zerstörung der Anlage durch die Sowjets nach 1945.

Geschichte

Die 1252 gegründete Stadt Memel war die älteste Stadt im späteren Ostpreußen und die nördlichste Stadt des Deutschen Reiches. Jüdisches Leben entwickelte sich vor allem ab dem beginnenden 19. Jahrhundert, auch durch Zuwanderung aus dem benachbarten Russischen Reich. 1910 hatte die Gemeinde 900 Mitglieder. Mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages im Januar 1920 wurden Memel und der umliegende Landkreis als Memelgebiet (litauisch: Klaipėdos kraštas) vom Deutschen Reich abgetrennt, französisch verwaltet und – unter Vortäuschung eines Aufstandes durch litauische Nationalisten – am 10. Januar 1923 von Truppen aus Litauen besetzt. Nach der international anerkannten Angliederung an die Republik stieg die Zahl der Juden durch Einwanderer aus dem übrigen Litauen auf 4.000 an. Anfang der 1930er Jahre gab es mehrere Synagogen, ein jüdisches Krankenhaus und eine jüdische Schule in Memel; ein Viertel der Geschäfte und Betriebe war in jüdischer Hand. Die Synagogengemeinde Memel unterhielt einen Friedhof mit einer Trauerhalle in der Wallstraße. Als Folge des Aufstiegs der Nationalsozialisten in Deutschland erstarkte die deutschnationale Bewegung auch im Memelland. Nach massivem Druck aus Berlin sah sich die litauische Regierung gezwungen, das Memelland am 22. März 1939 an das Reich zurückzugeben. Viele Juden verließen daraufhin panikartig das Gebiet, meist in Richtung Litauen. Jüdisches Eigentum in Memel wurde verwüstet, der Friedhof der »Deutschen Allgemeinen Treuhand GmbH« übertragen.
Im Oktober 1944 evakuierten die Behörden die Zivilbevölkerung vor der herannahenden Roten Armee, die Wehrmacht gab die Stadt Anfang 1945 auf. Nach dem Einmarsch der Sowjets am 19. Januar 1945 wurde das Memelland in die Litauische Sowjetrepublik eingegliedert und die fast menschenleere, stark zerstörte Hafenstadt neu besiedelt. Die neuen Machthaber zerstörten deutsche Friedhöfe im Gebiet; den Memeler jüdischen Friedhof ebneten sie ein und errichteten Masten für eine Rundfunkstörstation.

Opfergruppen

Die Gedenkwand und die geschaffene Parkanlage auf dem alten jüdischen Friedhof in Memel erinnern an die vertriebenen, verschollenen und ermordeten Juden der deutsch-jüdischen Gemeinde zu Memel und an die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in Litauen im Nationalsozialismus, aber auch an die Zerstörung der Gräber und der Gebäude durch die Sowjets nach Kriegsende.
Eine der fotografischen Ikonen des Holocaust stammt aus Memel: Sie zeigt den Druckereibesitzer Aron Puhn mit seiner Frau Ella und seinen Töchtern Civa und Aviva auf der Flucht aus Memel, wahrscheinlich am 23. März 1939. Im Hintergrund stehen grinsende SA-Männer. Familie Puhn gelangte in die litauische Stadt Schaulen (litauisch: Šiauliai) und kam später dort um.

Erfahre mehr über Litauen

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlangte Litauen 1918 seine Unabhängigkeit vom Russischen Reich. Im Juni 1940 wurde das Land gemäß einem deutsch-sowjetischen Vertrag – dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt – von der Roten Armee besetzt. Viele katholische Litauer machten pauschal Juden für den Verlust der Eigenstaatlichkeit und den sowjetischen Terror verantwortlich. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überrollte die Wehrmacht das Land binnen kurzem. Bereits zwei Tage später führten deutsche Einheiten im grenznahen Garsden die erste Massenerschießung von Juden in diesem Feldzug durch. Litauische Nationalisten erschlugen in den ersten Kriegstagen hunderte Juden. Anschließend überfiel das deutsch-litauische »Rollkommando Hamann« Tag für Tag Ortschaften in Litauen und erschoss bis Ende 1941 beinahe sämtliche Juden auf dem Land und in Kleinstädten. Litauische SS-Einheiten und Polizeibataillone waren auch an Mordaktionen insbesondere auf belarussischem Gebiet beteiligt. Die Zahl der bis Sommer 1944 ermordeten litauischen Juden liegt zwischen 140.000 und 150.000 – fast 99 Prozent der jüdischen Bevölkerung des Landes in der Zwischenkriegszeit. Hinzu kommen etwa 70.000 jüdische Opfer aus dem Wilna-Gebiet, das nach der Zerschlagung PolensW im Herbst 1939 an Litauen zurückgegeben worden war. Der Terror richtete sich ab Sommer 1941 auch gegen meist kommunistische Kritiker und andere Minderheiten. Verschleppungen von Zwangsarbeitern in das Deutsche Reich setzten ein. Insgesamt etwa 170.000 nichtjüdische litauische Zivilisten fanden den Tod. Mit der Rückeroberung durch die Rote Armee 1944 wurde das Land erneut Teil der Sowjetunion. Tausende Litauer emigrierten, Tausende andere kämpften noch bis Ende der 1950er Jahre als Partisanen (»Waldbrüder«) gegen die sowjetische Besatzung. Insgesamt verschleppte der sowjetische Geheimdienst NKWD etwa 500.000 Litauer in das Innere der Sowjetunion. Das offizielle Litauen der Sowjetzeit gedachte vor allem der Helden des »Großen Vaterländischen Kriegs« und der prosowjetischen litauischen Patrioten, aber auch der ermordeten »friedliebenden Sowjetbürger und Kommunisten«. An einem der wichtigsten Orte des Massenmordes, dem IX. Fort in Kaunas, wurde 1958 ein Museum eingerichtet und 1984 ein monumentales Denkmalensemble aus Beton eröffnet. Seine Unabhängigkeit von Moskau erkämpfte sich das Land 1990/91 auch gegen russische Panzer mit 14 Toten. Anschließend wurden viele Monumente aus sowjetischer Zeit abgebaut, die jahrzehntelange Besatzung und der Widerstand rückten ins Zentrum der nationalen Erinnerung. Die Annexion Litauens durch die Sowjetunion 1940/41 und 1944 bis 1990 sowie die deutsche Besetzung wurden gleichgesetzt; wie in Lettland und Estland Okkupationsmuseen eingerichtet, deren inhaltlicher Schwerpunkt die Jahre des sowjetischen Terrors ist. Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer breiten Diskussion über die litauische Beteiligung am Holocaust und 1998 zur Gründung einer Internationalen Kommission zur Bewertung der Verbrechen während des nationalsozialistischen und des sowjetischen Besatzungsregimes. Mittlerweile ist die litauische Erinnerungskultur immer vielfältiger. Eines der wichtigsten Institutionen ist das Jüdische Museum »Gaon von Wilna«. Am ehemaligen Massenerschießungsort Ponary (Paneriai) soll neben den Denkmälern auch ein Museumsbau entstehen. Bereits seit 2014 gibt es eine neue Dauerausstellung im Fort IX, während das Internetprojekt »Holocaust Atlas of Lithuania« detaillierte Informationen über die Orte der Massenerschießungen im ganzen Land anbietet.

Erinnerung

Memel ist heute die drittgrößte Stadt Litauens. Im Mai 1989, noch zu Sowjetzeiten, gründete sich auf Initiative von Jakob Rikler ein kleiner, meist russischsprachiger jüdischer Kulturverein. Nach der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit Litauens erhielt dieser den Friedhof aus deutscher Zeit übertragen und gestaltete ihn zu einem Park um. Im Verwaltungsgebäude der früheren Radiostörstation – am Standort der früheren Trauerhalle – richtete der Verein sein Gemeindezentrum ein, das er auch für Gebete und andere religiöse Handlungen nutzt. Es finden jährliche Gedenkfeiern statt.
Die Gedenkwand aus den 1990er Jahren besteht aus eingelassenen deutschen Grabsteinen, deren Inschriften erkennbar sind. Auch der Sockel eines der Sendemaste mit einbetonierten Grabplatten ist erhalten. Am Gelände wurde in Erinnerung an Litauer, die im Holocaust Juden retteten, eine »Allee der Gerechten unter den Völkern« angelegt. Am Eingang der umzäunten Anlage gibt es eine Tafel mit der litauisch-hebräisch-englischen Inschrift: »Bis 1939 stand auf diesem Gelände ein jüdischer Friedhof.«

Öffnungszeiten

Der Friedhof ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

lavana@takas.lt

+37 (0)46 493 758

Žiedų skersgatvis 3
91227 Klaipėda