Norbert Wollheim Memorial

Norbert Wollheim Memorial


Das Norbert Wollheim Memorial wurde 2008 auf dem Gelände des ehemaligen I.G. Farben Konzerns in Frankfurt am Main eröffnet. Es erinnert an die Häftlinge des KZ Buna/Monowitz, die während des Zweiten Weltkriegs für die I.G. Farben Zwangsarbeit leisten mussten. Norbert Wollheim war Überlebender dieses Konzentrationslagers, der in der Nachkriegszeit erfolgreich um Entschädigung für die ehemaligen Zwangsarbeiter stritt.

Geschichte

Der Konzern I.G. Farben (Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG) gründete sich 1925 durch den Zusammenschluss mehrerer Chemiefirmen, darunter Hoechst, BASF und Bayer. Damit stieg die I.G. Farben zu einem der größten Konzerne der Welt auf. Als Firmensitz wurde ab 1928 im Frankfurter Westend das I.G. Farben-Haus gebaut, ein modernes, wuchtiges Gebäude im Bauhaus-Stil. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 näherten sich die neue Regierung und das Unternehmen an. Die I.G. Farben stellte viele kriegswichtige Produkte her und war an der Aufrüstung Deutschlands stark beteiligt. Mit dem deutschen Angriff auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 wurden die Verflechtungen mit der nationalsozialistischen Führung noch enger: Die I.G. Farben gründete im April 1941 die I.G. Auschwitz, eine Chemiefabrik in der Nähe des Konzentrationslagers. Es war als größtes Chemiewerk Osteuropas geplant. Zudem eröffnete der Konzern Ende Oktober 1942 ein betriebseigenes Konzentrationslager in Auschwitz. Im Lager Buna/Monowitz (auch Auschwitz III genannt) waren vor allem Zwangsarbeiter untergebracht, die auf der Baustelle des Chemiewerks I.G. Auschwitz arbeiten mussten. Im Winter 1944 waren etwa 10.000 Menschen im Lager Buna/Monowitz inhaftiert. Mit dem Vormarsch der Roten Armee auf die Region evakuierte die SS das Lager. Tausende Häftlinge wurden auf sogenannte Todesmärsche geschickt. Etwa 850 kranke und schwache Häftlinge blieben in Monowitz. Sie wurden am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit.

Opfergruppen

Nach der Gründung des Lagers Buna/Monowitz im Oktober 1942 mussten vor allem jüdische Häftlinge auf der Baustelle des Chemiewerks I.G. Auschwitz Zwangsarbeit leisten. Ein erster Transport mit Juden traf am 27. Oktober 1942 aus dem holländischen Westerbork ein. Nur etwa 200 Männer befand die SS für arbeitsfähig, alle anderen wurden in den Gaskammern des Vernichtungslagers Auschwitz II Birkenau mit Giftgas erstickt. Die Zahl der jüdischen Zwangsarbeiter im Lager Buna/Monowitz wuchs schnell und stetig, sie kamen aus fast allen Ländern Europas. Der Höchststand der Belegung wurde im Sommer 1944 mit 11.000 Häftlingen erreicht. Bis auf etwa 20 Polinnen, die die SS zur Prostitution mit anderen Häftlingen zwang, waren alle Häftlinge des Lagers Männer. Die Zahl der Todesopfer kann nur geschätzt werden, da die Unterlagen über die Häftlinge vor Kriegsende von der SS und von Mitarbeitern der I.G. Farben vernichtet wurden. Zwischen 10.000 und 30.000 Menschen kamen durch die Arbeit für die I.G. Auschwitz ums Leben. Die meisten Häftlinge starben bei Unfällen auf der Baustelle, an Hunger und Auszehrung durch die harte Arbeit und Krankheiten. Die SS selektiere zudem Häftlinge, die zu schwach für die Arbeit waren, und ermordete sie in den Gaskammern von Birkenau.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Die I.G. Farben konnte bis 1945 weiter produzieren. Nach der Besetzung Deutschlands begannen die Alliierten, die Zerschlagung des Konzerns voranzutreiben. Da I.G. Farben entscheidenden Anteil an der deutschen Rüstungsproduktion hatte, sollte die Aufteilung des Unternehmens garantieren, dass Deutschland nicht erneut aufrüsten konnte. Tatsächlich jedoch wurde der Konzern ab 1948 nur »entflochten«: Kapital und Produktionsstätten kehrten zu den Ursprungsunternehmen zurück. Diese entwickelten sich zu den drei größten Chemieunternehmen der Bundesrepublik: Bayer, BASF und Hoechst. Für die Rechtsnachfolge wurde die »I.G. Farben in Liquidation« gebildet. Mehrere Angehörige der Konzernleitung standen im Rahmen der Nürnberger Prozesse 1947/48 wegen »Plünderung « sowie »Versklavung « vor Gericht. Die meisten Angeklagten wurden freigesprochen, einige zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Eine Entschädigung für Zwangsarbeiter wurde nicht gezahlt. Dies änderte sich erst durch die Klage Norbert Wollheims, der von 1943 bis 1945 für die I.G. Auschwitz Zwangsarbeit leisten musste. Er verklagte den Konzern 1951 auf Nachzahlung seines Lohns und auf Schmerzensgeld. Die »I.G. Farben i.L.« zahlte 1957 einmalig 27 Millionen D-Mark an die Jewish Claims Conference.
Das I.G. Farben-Haus in Frankfurt am Main diente ab 1952 den amerikanischen Truppen bis zu ihrem Abzug 1995 als Hauptquartier. 2001 wurde in dem Gebäude ein Campus für Geisteswissenschaften der Frankfurter Universität eröffnet. Überlebende der I.G. Auschwitz und Studierende der Universität regten die Errichtung des Wollheim Memorials an, das 2008 eröffnet werden konnte. Im Grüneburgpark weisen mehrere Fototafeln auf das Schicksal der Zwangsarbeiter hin. In einem kleinen Pavillon, der vom Künstler Heiner Blum gestaltet wurde, werden Videos von Zeitzeugen gezeigt. Außen am Pavillon ist die Häftlingsnummer von Norbert Wollheim angebracht, im Inneren steht ein Zitat von Wollheim: »Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit.«

Kontakt

http://www.wollheim-memorial.de

info@fritz-bauer-institut.de

+49 (0)69 798 322 40

Grüneburgplatz 1
60323 Frankfurt am Main