Erinnerung an die Opfer des Lagers Heiligenbeil

Память жертв лагеря Хайлигенбайль


In der Nähe der früheren ostpreußischen Kreisstadt Heiligenbeil (russisch: Mamonowo) markiert seit 2009 ein Holzkreuz das Gelände eines Lagers, in dem von September 1944 bis Ende Januar 1945 etwa 1.200 jüdische Häftlinge festgehalten wurden.

Geschichte

Angesichts der herannahenden Front erließ der Kommandant des Konzentrationslagers Stutthof, SS-Sturmbannführer Paul Werner Hoppe, am 21. September 1944 einen »Sonderbefehl«, fünf Außenarbeitslager auf Flugplätzen der Luftwaffe in Ostpreußen einzurichten. Die 20 Baracken des Lagers in Steindorf bei Heiligenbeil waren mit 1.100 weiblichen und 100 männlichen Häftlingen belegt, die noch am 21. September und am 9. Oktober ankamen. Die Frauen stammten aus Ungarn und aus Polen (aus dem Ghetto Lodz und dem Lager Plaszow bei Krakau), die Männer aus Wilna (litauisch: Vilnius) und Umgebung. Alle waren Juden. Das Lager lag unmittelbar an der Bahnlinie von Braunsberg (polnisch: Braniewo) nach Königsberg (heute russisch: Kaliningrad). In der Nachbarschaft befanden sich zwei weitere Lager für französische Kriegsgefangene und sowjetische Zwangsarbeiter. Die Häftlinge des Heiligenbeiler Außenlagers wurden unter Leitung der Organisation Todt beim Bau der Straße zum Flugplatz eingesetzt. Ständiger Hunger und fehlende Winterausrüstung bestimmten ihren Alltag. Eine Woche nach Beginn der sowjetischen Großoffensive gegen die Ostgrenze des Deutschen Reiches evakuierten SS-Einheiten am 20./21. Januar 1945 noch 1.157 Personen, die bei eisiger Kälte und Schneetreiben in dürftiger Kleidung und auf Holzschuhen in Richtung Königsberg getrieben wurden. Die Gefangenen aus Heiligenbeil trafen dort am 23. Januar ein und wurden in einem Fabrikgebäude untergebracht. Wenige Tage später trieben SS-Angehörige unter Beihilfe der Organisation Todt zwischen 5.000 und 7.500 Häftlinge – darunter die Insassen aller fünf Außenkommandos Stutthofs in Ostpreußen – von Königsberg an die Ostseeküste. Diesen Todesmarsch und das anschließende Massaker bei Palmnicken in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1945 überlebten lediglich 18 namentlich bekannte Häftlinge.

Opfergruppen

Im Lager Heiligenbeil hielt die SS ab Spätherbst 1944 1.200 jüdische Zwangsarbeiter gefangen, vor allem Frauen aus Ungarn und Polen. Bis Januar 1945 waren zehn Todesfälle aktenkundig. Während der sogenannten Evakuierung am 20./21. Januar wurden etwa 20 Kranke erschossen. Die übrigen 1.157 trieben SS und Organisation Todt Ende Januar 1945 über Königsberg an die ostpreußische Ostseeküste bei Palmnicken. Diesen Todesmarsch und das anschließende Massaker überlebten lediglich 18 namentlich bekannte Häftlinge – von insgesamt 5.000 bis 7.500. Aus dem Lager Heiligenbeil waren es, soweit nachweisbar: Pnina (Pola) Grinbaum (*1927) aus Bełżyce, verheiratete Kronisch, Pola Mondschejn (1909–?) aus Lubatschow, verheiratete Zwardon, und Maria Salz (1918–2016) aus Krakau, verheiratete Blitz.

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In der Russischen Föderation ist der 9. Mai – der Gedenktag an den Sieg der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg gegen den »Hitlerfaschismus« – der bedeutendste Feiertag, der aus der sowjetischen Vergangenheit übernommen wurde. Am 23. August 1939 hatte die Sowjetunion unter Josef Stalin (1878–1953) zunächst einen »Nichtangriffspakt« mit dem Deutschen Reich geschlossen. Beide Regime verständigten sich darin über ihre »Interessensphären« in Ostmitteleuropa und beschlossen unter anderem die gemeinsame Teilung Polens. Ab dem 22. Juni 1941 marschierten die deutsche Wehrmacht und ihre Verbündeten in sowjetisches Territorium ein. Bei Kriegsende 1945 waren auf dem besetzten sowjetischen Gebiet nach neueren Schätzungen insgesamt bis zu 28 Millionen Tote in Armee und Bevölkerung zu beklagen. Die sowjetische Erinnerungskultur ist im heutigen Russland wieder dominierend. Ihre Sinnbilder – wie die monumentalen Denkmäler in Sankt Petersburg oder Wolgograd – sind noch immer beliebt und weiterhin Schauplatz großer Gedenkveranstaltungen am 9. Mai. Diese Erinnerungsstätten sind allerdings weniger Orte der Trauer und des Totengedenkens als vielmehr der Heldenverehrung. Der Opfer wurde lange Zeit gar nicht, später als »Opfer des Faschismus« gedacht. Die Wirkungsmacht dieser Sicht auf die Vergangenheit lässt sich beispielhaft am Konflikt um eine 1995 aufgestellte Skulptur vor dem Museum des Großen Vaterländischen Kriegs in der Hauptstadt Moskau ablesen. Das Denkmal »Tragödie der Völker« ist den etwa zwanzig Millionen zivilen Opfer der Jahre 1941 bis 1944 in der Sowjetunion gewidmet und sollte einen Wendepunkt in der Erinnerungskultur Russlands markieren. Nach heftiger Kritik an der auch in der Bevölkerung als zu pessimistisch empfundenen Aussage musste das Denkmal hinter das Gebäude versetzt werden. Zugleich gab es aber auch nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen wie »Memorial«, die sich mit verdrängten Kapiteln der Geschichte beschäftigten, wie mit den Gefangenen der Roten Armee und Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg. Sie galten nach ihrer Rückkehr als Verräter, wurden pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt und erneut in Lagern inhaftiert. Auch im Rahmen des staatlich-offiziellen Gedenkens gab es immer wieder engagierte lokale Kulturämter, die besondere Denkmäler und eine die Opfer einbeziehende Gedenkkultur durchsetzten. Dass an einigen Orten, häufig mit geringsten finanziellen Mitteln, kleine Erinnerungsstätten entstanden sind, ist oft auch dem Engagement von Privatpersonen oder von jüdischen Gemeinden zu verdanken. Etwa 100.000 sowjetische Juden auf dem Gebiet der heutigen Russischen Föderation waren nach 1941 vor allem Massenerschießungen der SS-Einsatzgruppen und ihrer Helfer zum Opfer gefallen. Zu Sowjetzeiten wurde an sie als »friedliche Bürger« erinnert. Erst seit Anfang der 1990er Jahre ging man dazu über, an offiziellen Denkmälern zusätzliche Tafeln anzubringen und die jüdischen Opfer zu benennen oder durch eine Übersetzung der Inschrift ins Hebräische ins Gedächtnis zu rufen. In Ansätzen gab es auch russische Forschung zum Holocaust. 2012 eröffnete in Moskau das auch von internationalen Experten anerkannte Jüdische Museum und Toleranzzentrum. Gleichzeitig wurde das politische Regime in Russland immer nationalistischer, in der Staatspropaganda dominiert ein offen revisionistisches Geschichtsnarrativ, das mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine noch aggressiver wurde. Währenddessen wurden wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch »Memorial«, massiv unterdrückt.

Erinnerung

Die Geschichte des Lagers Heiligenbeil ist nur wenig bekannt. 2010 veröffentlichte die Stiftung Denkmal die Erinnerungen von Maria Blitz (1918–2016), geborene Salz, aus Krakau. Sie ist eine von nur 18 namentlich bekannten Überlebenden des Lagers und des anschließenden Todesmarsches.
Heiligenbeil wurde bei den schweren Kämpfen zwischen Wehrmacht und Roter Armee im Frühjahr 1945 fast vollständig zerstört. Die deutschen Einwohner flüchteten oder wurden vertrieben, die an der neuen Grenze zu Polen gelegene Stadt wurde zusammen mit dem nördlichen Teil Ostpreußens Teil der Sowjetunion. Heute gehört sie zur russischen Enklave um Königsberg. Vor Ort zeugen lediglich einige Trümmer vom Vorhandensein des ehemaligen Außenarbeitslagers am Flugplatz 1944/45. Auf eigene Initiative stellte ein Anwohner im Frühsommer 2009 direkt am Lagergelände, auf den Fundamenten eines Gebäudes, ein Holzkreuz auf, wenngleich die damaligen Häftlinge ausschließlich Juden waren. Unter Beteiligung früherer deutscher Bewohner des seit 1945 russischen Kreises Heiligenbeil soll in Zukunft ein Gedenkort geschaffen werden.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich. Allerdings benötigen Besucher derzeit eine Sondergenehmigung der russischen Behörden, da sich das ehemalige Lagergelände im Grenzgebiet befindet.

Kontakt

Sch. Kaliningradskoje
238450 Mamonovo