August-Gottschalk-Haus Esens. Gedenkstätte zur neueren Geschichte der ostfriesischen Juden

August-Gottschalk-Haus Esens. Gedenkstätte zur neueren Geschichte der ostfriesischen Juden


In der ostfriesischen Stadt Esens im Landkreis Wittmund erinnern seit 1990 im »August-Gottschalk-Haus«, dem ehemaligen jüdischen Gemeindehaus, eine Gedenkstätte und eine Dauerausstellung an die jüdische Gemeinde von Esens. Die nationalsozialistische Verwaltung zwang bis 1940 alle Juden aus Esens ihren Heimatort zu verlassen.

Geschichte

Die ersten Juden siedelten sich Mitte des 17. Jahrhunderts in Esens an. Ab ungefähr 1680 existierte eine Synagoge in Esens, ein jüdischer Friedhof ist seit 1702 nachgewiesen. Im 19. Jahrhundert wuchs die Gemeinde auf über 100 Personen an, die Zahl der Gemeindemitglieder ging aber um 1871 auf etwa neunzig zurück. 1933 lebten noch etwa achtzig Juden in Esens. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfolgte auch in Esens die Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben: Sie wurden aus Verbänden und Vereinen ausgeschlossen und an wirtschaftlichen Tätigkeiten gehindert. Während der Novemberpogrome 1938 zerstörten SA-Männer am 10. November die Inneneinrichtung der Synagoge und zündeten das Gebäude an. In der Folge verließen viele Juden die Stadt. Im Januar 1940 erfolgte die offizielle Weisung an Juden, Esens bis zum 1. April 1940 zu verlassen. Am 9. März 1940 meldeten sich die letzten Juden bei der Stadtverwaltung ab, wenig später wurde Esens als »judenfrei« erklärt.

Opfergruppen

Wie viele Juden aus Esens der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zum Opfer gefallen sind ist nicht genau bekannt. Mindesten vierzig Esenser Juden ermordete die SS in Ghettos und Vernichtungslagern. Über fünfzig konnten rechtzeitig auswandern und sich auf diese Weise retten.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Der Verein »Ökumenischer Arbeitskreis Juden und Christen in Esens e.V.« enthüllte 1988 einen Gedenkstein vor den Resten der 1938 zerstörten Synagoge und in der Nähe des ehemaligen jüdischen Gemeindehauses. Auf dem Gedenkstein steht:
»Zum Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger, die zwischen 1933 und 1945 Opfer des nationalsozialistischen Terrors geworden sind. Hier stehen die Reste ihrer Synagoge, die am 10. November 1938 zerstört wurde. Diesen Stein errichteten Bürger der Stadt Esens zur Erinnerung und Mahnung für die Lebenden und kommenden Generationen. 9. November 1988.«
Das ehemalige Gemeindehaus wurde 1990 ebenfalls auf Initiative des Arbeitskreises nach dem Esenser Lehrer, Gemeindevorstand und Stadtrat August Gottschalk (1870-1927) in »August-Gottschalk-Haus« umbenannt und beherbergt seitdem eine Gedenkstätte und eine Dauerausstellung, die die Geschichte der Juden in Ostfriesland dokumentiert.

Angebote

Führungen, Bibliothek, Archiv

Öffnungszeiten

März bis Oktober: Dienstag, Donnerstag und Sonntag 15.00 bis 18.00 sowie nach Vereinbarung

Kontakt

http://www.august-gottschalk-haus.de/

info@august-gottschalk-haus.de

+49 (0)4971 5232

Burgstr. 8
26427 Esens