Gedenktafel für die deportierten Juden von Breslau

Tablica upamiętniająca deportację Żydów z Wrocławia


Seit April 2018 erinnert eine Gedenktafel in der Halle des Odertorbahnhofs (Dworzec Nadodrze) in Breslau (Polnisch: Wrocław) an die über 7.000 Juden, die von diesem Bahnhof aus in Ghettos, Konzentrationslager und Vernichtungsorte deportiert wurden.

Geschichte

Mitte der 1920er Jahre verfügte das schlesische Breslau – nach Berlin und Frankfurt am Main – mit 23.240 Mitgliedern über die drittgrößte jüdische Gemeinde im Deutschen Reich. Ab Januar 1933 war es das erklärte Ziel Hitlers und seiner NSDAP, die Juden aus dem Land zu vertreiben. In Breslau erfolgten die antijüdischen Maßnahmen wie überall: von Aktionen wie dem zentral gesteuerten »Judenboykott« am 1. April 1933 bis hin zur offenen Gewalt, als SA-Leute in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die große, 1872 geweihte Neue Synagoge am Anger 8 mit ihren 2.000 Plätzen in Brand setzten. Anschließend nahm die Gestapo in Breslau 2.471 jüdische Männer fest und verbrachte sie in das Konzentrationslager Buchenwald. Mitte Mai 1939 lebten nur noch knapp 11.200 Juden in ihrer Heimatstadt. Zu diesem Zeitpunkt wurden 2.000 Breslauer Juden in die Sammellager Tormersdorf bei Görlitz, Grüssau bei Landeshut und Riebnig bei Brieg verschleppt. Die Verfolgungsmaßnahmen gipfelten in der ersten großen Deportation von 1.005 Juden am 25. November 1941 nach Kowno (litauisch: Kaunas). Im dortigen IX. Fort erschoss das deutsch-litauische Einsatzkommando 3 vier Tage später alle Deportierten. Weitere Transporte gingen in den polnischen Distrikt Lublin, in das Ghettolager Theresienstadt, nach Auschwitz-Birkenau sowie noch Ende 1944/Anfang 1945 in das Konzentrationslager Groß-Rosen und seine Zwangsarbeitskommandos. Die Deportationszüge fuhren stets von einem Nebengleis des Odertorbahnhofs ab. Als Sammelstelle für die Opfer diente das Etablissement Schießwerder, ein beliebtes Lokal mit einem großen Biergarten.

Opfergruppen

Gestapo und SS verschleppten zwischen 1941 und 1944 über jüdische Kinder, Frauen und Männer vom Breslauer Odertorbahnhof in deutsche Vernichtungsstätten und Lager im besetzten Osten, hunderte Breslauer Juden begingen Selbstmord oder kamen bei Zwangsarbeit und in Konzentrationslagern gewaltsam zu Tode. Tausende wurden von 1933 bis 1941 aus ihrer schlesischen Heimatstadt vertrieben, etwa 1.000 Überlebende 1945 und in den folgenden Jahren von den polnischen Behörden zwangsausgesiedelt. Insgesamt kamen etwa 10.000 Breslauer Juden im Holocaust um.

Erfahre mehr über Polen

Mit dem Angriff auf Polen und der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im Westen und durch die Rote Armee im Osten begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Einmarsch setzten in beiden Teilungsgebieten Verfolgung und Terror ein. Deutsche Verbände verübten Massaker an Angehörigen der geistigen Eliten, jüdischen und nichtjüdischen Zivilisten sowie Patienten. Ab Ende 1939 errichtete die deutsche Verwaltung Ghettos, in denen die jüdische Bevölkerung unter elenden Bedingungen zusammengedrängt wurde. 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, geriet auch Ostpolen unter deutsche Herrschaft. SS-Einsatzgruppen ermordeten zunächst systematisch jüdische Männer, später auch Frauen und Kinder. Im Herbst 1941 begannen lokale deutsche Dienststellen im früheren Westpolen mit der Vorbereitung von Massentötungen jüdischer Ghettohäftlinge durch Giftgas. Bis 1945 wurden etwa drei Millionen polnische Juden in den Vernichtungsstätten Kulmhof, Belzec, Treblinka und Sobibor, in Majdanek und Auschwitz ermordet, verhungerten in den Ghettos oder wurden erschossen. 1943 erhoben sich die jüdischen Bewohner des Warschauer Ghettos zu einem Aufstand, den die SS blutig niederschlug. Polnische Soldaten kämpften auf Seiten der Alliierten an allen Fronten des Weltkriegs. Partisanengruppen, darunter die patriotische »Armia Krajowa« (Heimatarmee), bildeten die größte Widerstandsbewegung im besetzten Europa. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, die umfangreichste Erhebung von Zivilisten gegen die Deutschen im besetzten Europa. Er scheiterte, auch weil die Rote Armee – bereits am anderen Weichselufer stehend – nicht eingriff. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 250.000 geschätzt. Insgesamt kamen etwa drei Millionen nichtjüdische Polen unter deutscher Besatzung gewaltsam zu Tode. Nachdem die Rote Armee bereits im Januar 1944 (ost-)polnischen Boden erreicht hatte, wurden die Truppen der Armia Krajowa vom sowjetischen Geheimdienst entwaffnet, ihre Offiziere erschossen oder verschleppt. Die Millionen Toten der Besatzungszeit, die dauerhafte Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion, die Eingliederung ostdeutscher Gebiete und der daraus resultierende Bevölkerungsaustausch verursachten in Polen ein schweres politisches und gesellschaftliches Trauma. In der Erinnerungskultur stand das Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Boden zunächst im Hintergrund. So galt Auschwitz – im Ausland längst zum Symbol des Holocaust geworden – über Jahrzehnte vor allem als »Ort polnischen Martyriums«. Veränderungen gibt es allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu mögen auch die heftigen Debatten um den ostpolnischen Ort Jedwabne beigetragen haben. Das Massaker an etwa 340 Juden am 10. Juli 1941, das bis dahin »Gestapo und Hitler-Polizei« zugeschrieben worden war, hatten polnische »Nachbarn« ohne deutschen Zwang verübt. Die Diskussionen im In- und Ausland um eine polnische Mittäterschaft führten 2001 dazu, dass sich Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski (*1954) bei den Opfern entschuldigte. Forderungen von Fachleuten, etwa aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, sich den schwierigsten Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, wurden lauter. Zu diesen zählen auch antijüdische Pogrome 1946/47 und der staatliche Antisemitismus im sozialistischen Nachkriegspolen. Der polnische Staat investiert sehr viel in Erinnerungspolitik, auch in Großprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Das Museum des Warschauer Aufstandes wurde bereits 2004 eröffnet. Das POLIN Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnete auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos 2013, ein Museum des Warschauer Ghettos soll 2024 folgen. In Danzig gibt es seit 2017 das Museum des Zweiten Weltkrieges. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec und Sobibor wurden nach der Jahrtausendwende in moderne Gedenkstätten umgewandelt. Auch in der Kultur ist eine immer intensivere Beschäftigung mit dem jüdischen und multikulturellen Erbe Polens zu beobachten.

Erinnerung

Nach schwersten Bombenangriffen und Artilleriebeschuss durch die Sowjets kapitulierte die »Festung« Breslau am 6. Mai 1945. Etwa 1.000 deutsche Juden, Überlebende des Holocaust, lebten noch am Ort, kehrten zurück oder kamen aus Lagern dorthin. Als Folge des Potsdamer Abkommens vom Sommer 1945 stand Schlesien nunmehr offiziell »unter polnischer Verwaltung«, und die neuen Behörden vertrieben die Juden wie die übrige deutsche Bevölkerung. Auch die meisten der zeitweise bis zu 90.000 angesiedelten polnischen Juden verließen Breslau und Niederschlesien bis 1948 wieder.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wuchs das Interesse an der deutschen, aber auch der jüdischen Vergangenheit der Stadt. Die kleine jüdische Gemeinde Breslaus ist eine der aktivsten im Land, zudem gibt es viele internationale Projekte, um die jüdische Geschichte der Stadt zu erforschen und bekannter zu machen.
Am 13. April 2018 wurde in der Halle des Odertorbahnhofs, das heute Dworzec Nadodrze heißt und immer noch als Bahnhof für Regionalzüge benutzt wird, eine Gedenktafel für die Opfer der Deportationen enthüllt. Die Initiative dazu ging vom Schlesischen Museum zu Görlitz aus. Am Projekt haben das Städtische Museum Wrocław und die örtliche jüdische Gemeinde ebenfalls mitgewirkt. An der Einweihungszeremonie nahmen auch Vertreter des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland und die durch ihre eigene Familiengeschichte betroffene, 1942 in Breslau geborene Rita Kratzenberg teil, die sich über fünfzehn Jahre lang für einen solche Gedenkort stark gemacht hatte.
Die Inschrift der Gedenktafel lautet auf Polnisch, Deutsch, Englisch und Hebräisch: »Von diesem Bahnhof aus wurden in den Jahren 1941–1944 durch das deutsche nationalsozialistische Regime Juden aus Breslau und anderen schlesischen Orten mehr als 7.000 Menschen zu den Vernichtungsstätten und in die Konzentrationslager deportiert: nach Kaunas, Izbica, Majdanek, Theresienstadt, Auschwitz, Sobibor, Belzec, Riga, Minsk und anderen Orten. Fast alle wurden ermordet.«

Öffnungszeiten

Die Gedenktafel befindet sich in der Halle des Odertorbahnhofs (Dworzec Nadodrze) und ist dort jederzeit zugänglich.

Kontakt

plac Staszica 50
50-223 Wrocław