Mahnmal Vergessener Mantel

Mahnmal Vergessener Mantel


Seit 2003 erinnert in Freiburg am Aufgang der Wiwilí-Brücke (bis 2003 Blaue Brücke) über die Bahnhofsgeleise ein Denkmal an die Deportation der etwa 350 Freiburger Juden in das Lager Gurs in Südfrankreich. Etwa 6.500 Juden aus Südwestdeutschland wurden am 22. Oktober 1940 in einer ersten Deportationsaktion aus dem Deutschen Reich in das am Rande der Pyrenäen gelegene Internierungslager verschleppt.

Geschichte

Nach dem Frankreichfeldzug 1940 annektierte das Deutsche Reich Elsaß und Lothringen. Noch im selben Jahr wurden alle Juden aus beiden Provinzen in den von der Kollaborationsregierung in Vichy kontrollierten Teil Frankreichs abgeschoben. Für die Verwaltung der beiden Provinzen waren die Gauleiter der Reichsgaue Baden und Saar-Pfalz, Robert Wagner und Josef Bürckel, zuständig. Im Zusammenhang mit dieser Abschiebung beschlossen sie, auch die Juden aus Baden und Saar-Pfalz in den von der Vichy-Regierung regierten Teil Frankreichs zu deportieren. Diese Deportationen waren nicht direkt von der Reichsregierung in Berlin koordiniert worden; sie erfolgten vielmehr auf eigene Initiative der beiden Gauleiter unter strengster Geheimhaltung. Die so genannte »Wagner-Bürckel-Aktion« wurde am 22. und 23. Oktober 1940 durchgeführt und war eine der ersten Deportationen von Juden aus dem Deutschen Reich überhaupt. An diesen beiden Tagen forderte die Gestapo die jüdischen Einwohner aus den Regionen dazu auf, sich innerhalb einer Stunde mit wenig Gepäck auf öffentlichen Plätzen einzufinden. Viele wurden in ihren Wohnungen verhaftet. Die Polizisten trieben die Juden zu Lastwagen und Bussen und transportierten sie zu größeren Bahnhöfen. Für die Weiterfahrt in Richtung Südfrankreich standen insgesamt neun Züge bereit. Die französischen Behörden waren nicht informiert worden. Als »Wehrmachtstransporte« getarnt konnten die Züge unbehelligt die Frankreich teilende Demarkationslinie passieren. Als die Vichy-Regierung erfuhr, dass es sich um deutsche Juden handelte, beschloss sie deren Internierung im Lager Gurs nahe der spanischen Grenze. Das Lager war mit der Aufnahme der etwa 7.000 Menschen vollkommen überfordert. In Gurs wurden sie, nach Frauen und Männern getrennt, auf Holzbaracken verteilt. Aufgrund der unzureichenden Versorgung mit Nahrung und Medikamenten und der katastrophalen hygienischen Bedingungen wurden viele der Internierten krank und starben innerhalb weniger Monate.

Opfergruppen

Von den über 1.100 Freiburger Juden konnten etwa 650 rechtzeitig das Deutsche Reich verlassen. Aus der Stadt Freiburg deportierte die SS etwa 350 Juden, insgesamt wurden etwa 450 Juden aus der Stadt und der Umgebung verschleppt. Die Gesamtzahl der Deportierten aus Baden und Saar-Pfalz betrug etwa 6.500. Bis zum Sommer 1942 kamen mehr als 1.000 der Internierten aufgrund der schlechten Bedingungen im Lager ums Leben. Zwischen August 1942 und März 1943 verließen sechs Deportationstransporte Gurs. Über das Durchgangslager Drancy bei Paris verschleppte die SS die etwa 3.900 Juden in die Vernichtungslager im besetzten Polen.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

In Freiburg gab es lange keinen Ort, der an die Deportation der Freiburger Juden nach Gurs erinnert hätte. Seit 2000 besteht am Platz der Alten Synagoge ein Mahnmal in Form eines Verkehrszeichens, das die Richtung und Entfernung zum ehemaligen Lager Gurs angibt. Zudem macht seit 2003 unübersehbar und doch beiläufig ein Mantel aus Bronze mit einem angedeuteten »Judenstern« über einer Brückenbrüstung der Wiwilí-Brücke auf den Ausgangspunkt der Deportation aufmerksam. Neben dem Mantel ist eine Gedenktafel mit Text angebracht.
Bereits im Herbst 2000 trat auf Anregung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten eine Arbeitsgruppe zusammen, um einen Vorschlag für eine Erinnerungstafel oder eine Stele zu entwickeln. Daran nahmen auch die Jüdische Gemeinde, die Deutsch-Israelische Gesellschaft und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit teil, sowie federführend das Kulturamt und das Stadtarchiv. Die Idee, ein Mahnmal in Form eines vergessenen, an der Brücke abgelegten Mantels zu schaffen, hatte der stellvertretende Kulturamtsleiter Johannes Rühl.
Um den Prozess der Entwicklung und die Gestaltung des Mahnmals entbrannte eine lange und kontroverse öffentliche Diskussion. Im Mai 2001 stimmte der Kulturausschuss des Freiburger Gemeinderates dem Entwurf des Mantels zu. Der Gemeinderat bestätigte den Beschluss im Dezember 2002. Das Mahnmal vergessener Mantel konnte 2003 eingeweiht werden. Die Gestaltung spielt darauf an, dass viele der nach Gurs Deportierten in Briefen beschrieben, ihre Mäntel in Freiburg vergessen zu haben. Der »Judenstern« am Mantel, der 1940 noch nicht vorgeschrieben war, hat symbolischen Charakter.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

Kulturamt@stadt.freiburg.de

+49 (0) 761 201 21 01

Wiwilí-Brücke / Konrad-Adenauer-Platz
79098 Freiburg im Breisgau