Institut Alcide Cervi von Reggio Emilia/Museum Cervi in Gattatico

Istituto Alcide Cervi di Reggio Emilia/Museo Cervi di Gattatico


Das Haus der Bauernfamilie Cervi bot während der Diktatur Gegnern des Faschismus und der deutschen Besatzung Unterschlupf. Im November 1943 stürmten italienische Faschisten das Haus und erschossen die sieben Brüder Cervi im Dezember. Seit 1972 beherbergt das Haus das nach dem Vater benannte Institut und Museum Alcide Cervi.

Geschichte

Alcide Cervi und Genoveffa Cocconi hatten 1899 geheiratet und bekamen zwischen 1901 und 1921 sieben Söhne und zwei Töchter. 1934 zog die Familie in ein Bauernhaus in Campi Rossi in der Gemeinde Gattatico und baute dort einen landwirtschaftlichen Betrieb auf. Die Hinwendung der Familie Cervi zu sozialistischen Ideen war vor allem in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg typisch für viele bäuerliche Familien in der Region Emilia-Romagna. Die Cervis waren eng mit anderen Bauernfamilien vernetzt und leisteten seit der Machtübernahme der Faschisten 1922 aktiv Widerstand. Mehrere Familienmitglieder mussten ins Gefängnis, wo sie dann mit antifaschistischen Intellektuellen in Kontakt kamen. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges brachte harte Zwangsabgaben für die Bauern mit sich, ihr Widerstand wurde stärker. Nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten am 8. September 1943 und der darauf folgenden Besetzung Norditaliens durch deutsche Truppen gelang es den Brüdern Cervi, die politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen zersplitterten Widerstandsgruppen zu überwinden und die »Cervi-Bande«, die erste Partisanenformation in der Region, zu gründen. Die Gruppe, zu der auch namhafte Antifaschisten und ehemalige sowjetische Kriegsgefangene gehörten, traf sich regelmäßig im Haus der Familie; Verfolgte und Untergetauchte konnten sich dort verstecken. Am 25. November 1943 nahmen italienische Faschisten das Haus während eines Treffens der »Cervi-Bande« unter Beschuss. Die Gebrüder Cervi und ihre Mitstreiter wurden gefangen genommen und im Gefängnis »dei Servi« in Reggio Emilia eingesperrt. Auf Befehl des faschistischen Polizeichefs von Reggio Emilia, Enzo Savorgnan, wurden die sieben Brüder am 28. Dezember 1943 erschossen. Im Oktober 1944 wurde das Haus der Familie Cervi in Brand gesetzt. Kurz darauf starb die Mutter Genoveffa Cocconi.

Opfergruppen

Das Haus der Familie Cervi wurde bereits Ende der 1930er Jahre ein Zufluchtsort für Antifaschisten. Hier konnten sich ungefähr achtzig Gegner des italienischen Faschismus, Wehrdienstverweigerer, Deserteure oder nach dem 8. September 1943 verstreute Soldaten verstecken. Unter diesen waren auch ehemalige Gefangene aus den Lagern Fontanellato (Parma) und Fossoli (Carpi).
Die sieben Brüder, die am 28. Dezember 1943 erschossen wurden, hießen Gelindo, Antenore, Aldo, Ferdinando, Agostino, Ovidio, und Ettore Cervi. Sie waren zwischen 22 und 42 Jahre alt. Ihr Freund und Mitstreiter Quarto Camurri, ein Deserteur der faschistischen »republikanischen Nationalgarde«, wurde gemeinsam mit ihnen erschossen. Auch andere Mitglieder der »Cervi-Bande« wurden verhaftet.

Erfahre mehr über Italien

Das Königreich Italien wurde seit 1922 von Benito Mussolini (1883–1945), dem »Duce« (Führer), und seiner faschistischen Partei diktatorisch regiert. Bis Mitte der 1930er Jahre spielte Antisemitismus in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle; diskriminierende Maßnahmen wurden erst 1938 eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt lebten über 46.000 Juden in Italien. Das italienische Staatsgebiet umfasste damals auch die Halbinsel Istrien sowie einige heute griechische Inseln, darunter Rhodos mit seiner traditionsreichen jüdischen Gemeinde. Die italienische Regierung, enger Verbündeter des Deutschen Reiches, beteiligte sich bis zum Herbst 1943 nicht an Massendeportationen von Juden in deutsche Vernichtungslager. Erst als das Land von Norden her durch die deutsche Wehrmacht besetzt wurde – der Süden war bereits durch amerikanische und britische Truppen befreit –, begann der deutsche SS- und Polizeiapparat, den Plan der systematischen Ermordung der italienischen Juden umzusetzen. Über eine Zwischeninternierung wurden die Menschen durch halb Europa nach Auschwitz deportiert, viele von ihnen unmittelbar danach in die Gaskammern getrieben. Die Zahl der ermordeten oder gewaltsam zu Tode gekommenen Juden aus Italien (ohne die italienisch besetzten Gebiete) beträgt zwischen 7.000 und 8.500 Personen. Zehntausende italienische Juden und jüdische Flüchtlinge konnten sich durch Emigration retten oder versteckten sich mit Hilfe von Nichtjuden. Über 2.000 gerieten nicht mehr in den deutschen Machtbereich, weil sie in Süditalien rechtzeitig durch die Alliierten befreit wurden. Von 1943 bis 1945 kam es in Norditalien zu heftigen Kämpfen zwischen den deutschen Besatzern und italienischen Partisanen der kommunistisch dominierten Widerstandsbewegung »Resistenza«. Die deutschen Truppen reagierten mit grausamen Vergeltungsmaßnahmen und Massakern, zum Beispiel in Marzabotto und den Ardeatinischen Höhlen bei Rom. Insgesamt fanden während des Zweiten Weltkrieges über 400.000 Italiener – Soldaten, Zivilisten und Partisanen – den Tod. Nach Kriegsende wurde der Partisanenkampf zum zentralen Aspekt italienischen Selbstverständnisses und in der Erinnerungskultur zum Mythos der eigenen Befeiung vom Faschismus. Eine Auseinandersetzung mit der weitverbreiteten Unterstützung Mussolinis im eigenen Land unterblieb meist. Die bekannten Gedenkorte, wie das frühere Konzentrationslager Risiera di San Sabba bei Triest oder die Einrichtungen in Marzabotto und den Ardeatinischen Höhlen, sind – wie auch zahlreiche Museen – dem Widerstand gewidmet. Erinnerungsstätten auf dem Gelände früherer Internierungslager für Juden sind dagegen selten und gedenken eher der Retter als der Verfolgten, wie es die Villa Emma in Nonatola zeigt, in der versteckte jüdische Kinder überlebten. Die Ausrichtung auf Menschenrechtserziehung, die auf Gegenwart und Zukunft bezogen ist, stellt das Bindeglied vieler dieser Einrichtungen dar. Mittlerweile rückt die Erinnerung an die deportierten und ermordeten Juden mehr in den Vordergrund. 2013 eröffnete die Memoriale della Shoah di Milano am Mailänder Hauptbahnhof. Die Errichtung eines zentralen Holocaustdenkmals in Rom wurde 2023 beschlossen.

Erinnerung

Die offizielle Beisetzung der sieben Brüder Cervi konnte erst nach der Befreiung, am 28. Oktober 1945 stattfinden. Bei der Beerdigung auf dem Friedhof in Campegine hielt der Vater Alcide Cervi eine berühmt gewordene Rede, in der er sagte: »Ich fordere keine Rache, sondern Gerechtigkeit«. 1947 wurden ihm sieben posthum verliehene Tapferkeitsmedaillen übergeben.
Das Haus der Familie Cervi wurde zum Pilgerziel: einzelne Bürger, Amtsträger und Gruppen von Partisanenverbänden besuchten das Haus. 1960 wurden Teile des alten Bauernhauses zu Empfangszwecken ausgebaut. Am 24. April 1972 wurde in Reggio Emilia auf Initiative der Provinz, der »Nationalen Vereinigung der Partisanen Italiens«, des »Nationalen Bündnisses der Bauern« und der Kommune Gattatico das »Institut Alcide Cervi« gegründet. Es beschäftigt sich vor allem mit dem antifaschistischen Widerstand auf dem Land. 1975 wurde das Haus der Familie Cervi vollständig in ein Museum umgewandelt. Anhand von persönlichen Besitztümern der Familie wird dem Besucher die bäuerliche Lebenswelt der Familie sowie die Hintergründe, die sie zur politischen Aktivität motivierten, nahegebracht und in die Geschichte der Region eingebettet.
1955 erschien Alcide Cervis Buch »Meine sieben Söhne«. Als er 1970 im Alter von 95 Jahren starb, nahmen mehr als 200.000 Menschen an seiner Beerdigung teil.

Angebote

Führungen für Gruppen und Schulen nach Voranmeldung, Buchladen, Bibliothek, Videothek, Archiv, Pinakothek, Veröffentlichungen, Ausstellungen, Tagungen

Öffnungszeiten

März bis Oktober:
dienstags bis donnerstags 9.00 bis 13.00, freitags bis sonntags 10.00 bis 13.00 und 15.00 bis 19.00
November bis Februar:
dienstags bis freitags 10.00 bis 12.30, samstags und sonntags 10.00 bis 12.30 und 15.00 bis 18.00

Kontakt

http://www.fratellicervi.it

museo@fratellicervi.it

+39 0522 678 356

Via Fratelli Cervi, 9
42043 Gattatico