Gedenkort Hannoverscher Bahnhof Hamburg

denk.mal Hannoverscher Bahnhof


Die SS, Gestapo und die Kriminalpolizei deportierten ab Mai 1940 in zwanzig Transporten etwa 8.000 Juden, Sinti und Roma aus Hamburg und Norddeutschland in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager. All diese Transporte starteten am Bahnsteig Zwei des ehemaligen Hannoverschen Bahnhofs.

Geschichte

Der Hannoversche Bahnhof (bis 1892 Venloer Bahnhof) wurde 1872 fertiggestellt und war ein wichtiger Verkehrspunkt in der Hansestadt. Durch die bereits bestehende und weiter ausgebaute Infrastruktur sowie die hafennahe Lage bildete er bis zum Zweiten Weltkrieg einen zentralen Güterumschlagsplatz für Hamburg.

Im frühen 20. Jahrhundert wuchs der Handel mit Südfrüchten in Hamburg stark an, sodass ein dritter Umschlagplatz für die Waren benötigt wurde. Der »Fruchtschuppen C« unweit des Hannoverschen Bahnhofs war seit etwa 1912 in Benutzung und zum Hauptumschlags- und Lagerplatz für Südfrüchte geworden. Kriegsbedingt nahm der Handel mit Luxusgütern aus Übersee ab, wodurch auch der Fruchtschuppen C weniger gebraucht wurde.

Am 20. Mai 1940 wurde der Hannoversche Bahnhof erstmals für eine Deportation von Sinti und Roma benutzt, das Ziel war Belzec (polnisch: Bełżec) im besetzten Polen. Am 25. Oktober 1941 folgte die erste Deportation von Juden aus Hamburg ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz). Im November und Dezember wurden Juden in die Ghettos Minsk und Riga verschleppt.
Zwischen Mai 1940 und Februar 1945 deportierten die SS, die Gestapo und die Kriminalpolizei insgesamt etwa 8000 Juden sowie Sinti und Roma aus Hamburg und weiten Teilen Nordwestdeutschlands in insgesamt zwanzig Transporten über den Hannoverschen Bahnhof. Die Deportationszüge führten in die Ghettos Minsk, Riga, Theresienstadt und Litzmannstadt/Lodz, ins Arbeitslager Belzec und ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Opfergruppen

Bis 1933 lebten ungefähr 20.000 Juden in Hamburg. Zwischen 1933 und 1941, dem Jahr, in dem die Emigration verboten wurde, wanderten ungefähr 10.000-12.000 Juden aus. Zwischen Oktober 1941 und Februar 1945 wurden etwa 6.000 Juden aus Hamburg deportiert, von denen nur wenige Hundert überlebten.

Für die Organisation der Deportation der Sinti und Roma aus Hamburg und Nordwestdeutschland 1940 schlug die Kriminalpolizei Hamburg den Fruchtschuppen C als geeignetes »Sammellager« vor. Im Mai 1940 organisierten die Kriminalpolizeileitstellen Bremen und Hamburg die Verhaftung und Verschleppung von insgesamt etwa 910 Sinti und Roma. Etwa 550 wurden in Hamburg aufgegriffen, ungefähr 360 in weiteren Teilen Nordwestdeutschlands. Unter Bewachung durch die Ordnungspolizei wurden sie vom Fruchtschuppen C zum Hannoverschen Bahnhof geführt und mussten dort in die Güterwaggons des bereitstehenden Zuges steigen. Nach knapp drei Tagen erreichte der Zug das polnische Belzec. Vor Ort errichteten die Deportierten unter Zwang Teile des Arbeitslagers Belzec, in dem sie fortan selber festgehalten und zu körperlicher Schwerstarbeit gezwungen wurden. Die im Juli noch lebenden Sinti und Roma wurden weiter in das Arbeitslager Krychow (polnisch: Krychów) deportiert. Der Großteil erlitt spätestens dort unter menschenunwürdigen Bedingungen, starker Mangelernährung und Seuchen den Tod.

Aufgrund der industriellen Prägung der Hafengegend blieb die Aufmerksamkeit, die die Deportationen hätten erregen können, weitgehend gedämpft. Dennoch gingen diese Ereignisse nicht vollkommen unbemerkt an der Stadtbevölkerung vorbei. Zudem gibt es Berichte, dass einige Passanten die Transporte von Juden zum Bahnhof erkannten und sogar mit Beifall reagierten.

Neben den verfolgten Juden, Sinti und Roma wurden ab 1942 auch ungefähr 2.000 vorrangig politische Gefangene als Teil der Strafdivision 999 in vier Transporten vom Hannoverschen Bahnhof in das Ausbildungslager »Heuberg« der Wehrmacht im heutigen Baden-Württemberg verbracht.

Erfahre mehr über Deutschland

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Lange Zeit erinnerte nichts an die Deportationen, die vom Hannoverschen Bahnhof Hamburg aus in Richtung besetzter Ostgebiete gingen. Nachdem der Hannoversche Bahnhof selbst im Krieg schwer beschädigt worden war, wurden die Reste inklusive des großen Bahnhofsportals 1955 abgerissen. In den 1990er Jahren wurden letzte Gebäudereste abgetragen. Seit den 2000er Jahren wird das Stadtgebiet um den ehemaligen Bahnhof herum im Zuge des Stadtteilentwicklungsprojekts HafenCity neu bebaut.

Die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) hat unter Leitung von Linda Apel und Frank Bajohr 2004 ein Gutachten über die Deportationen von Juden, Sinti und Roma für die Hamburger Kulturbehörde erstellt. Diese entschied 2005 im Rahmen des »Hamburger Tafelprogramms« eine erste Gedenktafel zum Gedenken der Opfer auf dem Lohseplatz, dem Vorplatz des ehemaligen Bahnhofsgebäudes zu installieren.

Zwischen 2007 und 2009 erstellte die FZH weitere Gutachten, die unter anderem aufzeigten, dass Überreste eines für die Deportationen genutzten Bahnsteiges noch vor Ort vorhanden sind. Daraufhin wurde das Gelände unter Denkmalschutz gestellt und die ursprünglich geplante Bebauung im neu entstehenden Stadtteil HafenCity modifiziert. Im Koalitionsvertrag der Landesregierung der freien Hansestadt wurde festgehalten, einen Gedenkort samt Informationszentrum in die Konzeption des neuen Stadtteils zu integrieren.

Der 2017 eröffnete Gedenkort besteht aktuell aus drei Teilen. Der erste bereits sichtbare Teil ist ein Infopavillon, der im Lohsepark die Ausstellung »In den Tod geschickt« beherbergt. Die sogenannte »Fuge«, die den ursprünglichen Verlauf der Schienen vor dem Bahnhofsgebäude imitiert, führt vom Pavillon zu den Überresten des ehemaligen Bahnstiegs Zwei. Dort erinnern Gedenktafeln an die Deportierten.

Das Informations- und Dokumentationszentrum soll 2027 eröffnet werden. Der Fruchtschuppen C soll im Zuge der Neuplanung des Stadtteils mit dem Namen »denk.mal Fruchtschuppen C« 2025 in das Gedenkstättenkonzept Einzug erhalten.

Angebote

Führungen, Sonderausstellungen, Wanderausstellungen, Gedenkveranstaltungen
Zukünftig: Schulungen, Workshops, Dauerausstellung
Das Denkmal an den Gleisen und die Infotafel am Lohseplatz sind jederzeit zugänglich.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.

Info-Pavillon:
April bis Oktober
Montag bis Sonntag, 12.00-18.00 Uhr

Zwischen November und März ist der Besuch des Info-Pavillons nach vorheriger Anmeldung unter der E-Mail-Adresse: juliane.podlaha@gedenkstaetten.hamburg.de (Telefon: +49 (0)40 428 131 566) möglich.

Kontakt

https://hannoverscher-bahnhof.gedenkstaetten-hamburg.de/de/

denk.malhannov.bhf@gedenkstaetten.hamburg.de

+49 (0)40 428 131 566

Am Hannoverschen Bahnhof
20457 Hamburg