Hotel Silber

Hotel Silber


Das »Hotel Silber« war in der Zeit des Nationalsozialismus das Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Stuttgart. Im einstigen Ort des NS-Terrors entstand 2018 als Ergebnis einer Bürgerinitiative ein Ort des historisch-politischen Lernens und der Begegnung.

Geschichte

In einem 1816 auf dem heutigen Grundstück errichteten Wohnhaus wurde 1845 das Gasthaus »Zum Bahnhof« eröffnet. Einige Jahre später wurde es erweitert und erhielt den Namen »Zum Bayrischen Hof«. 1874 erwarb Heinrich Silber das Gasthaus, erweiterte es und gab ihm seinen heutigen Namen. Am 24. Mai 1903 wurde hier die Deutsche Motorradfahrer-Vereinigung gegründet, aus der 1911 der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) hervorging. Von 1919 bis 1928 beherbergte das Haus die Oberpostdirektion der Deutschen Reichspost für Württemberg.

Die Geschichte der Polizei im Hotel Silber begann im Oktober 1928: Das Stuttgarter Polizeipräsidium, das bis dahin hauptsächlich im Neuen Schloss untergebracht war, bezog das Gebäude in der Dorotheenstraße 2-4. Es war für die Stadt Stuttgart zuständig, beherbergte aber mit den Abteilungen II (Kriminalpolizei) und IV (Politische Polizei) auch zwei Einrichtungen mit landesweiten Kompetenzen. Die Politische Polizei überwachte vor allem die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Aber auch die Aktivitäten der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) waren seit 1923 fester Bestandteil der Lageberichte. Ob die Politische Polizei gegen Ende der Weimarer Republik die NSDAP systematisch schonte und damit unterstützte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls bildeten die in der Weimarer Republik ausgebildeten Kriminalbeamten und Angestellten das personelle Rückgrat der späteren Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im Nationalsozialismus.

Die Umformung der Politischen Polizei zum Machtinstrument der Nationalsozialisten verlief ohne nennenswerten Widerstand. Die Mehrzahl der Polizisten trat bis zum Mai 1933 in die NSDAP ein. Ihrer Loyalität derart versichert, konnte die nationalsozialistische Führung auf eine politische Säuberung des Polizeiapparats weitgehend verzichten und sich die Erfahrung der Polizisten zunutze machen.

Opfergruppen

Im Keller des Gebäudes befanden sich drei Arrestzellen. Prominente Häftlinge waren der spätere SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher (1895–1952) und die Kommunistinnen Liselotte Herrmann (1909–1938) und Lina Haag (1907–2012). Noch am 13. April 1945, wenige Tage vor dem Einmarsch der französischen Armee in Stuttgart, erhängte die Gestapo hier vier Gefangene.

Vom Hotel Silber aus organisierte die Gestapo zudem die Deportation der Juden aus Württemberg und Hohenzollern. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren dies etwa 2.500 Männer, Frauen und Kinder. Im August 1941 übernahm die Gestapo von der Kriminalpolizei auch die Zuständigkeit für die württembergischen Sinti und Roma. Sie wurden wie die jüdische Bevölkerung in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.

Die Stuttgarter Gestapo war nicht nur durch die Organisation und Durchführung der Deportation der Juden und Sinti und Roma aus Württemberg und Hohenzollern maßgeblich am Völkermord beteiligt. Sie stellte auch einen Teil des Personals der Einsatzgruppen, die vor allem in Polen und der Sowjetunion millionenfachen Mord begingen. In ganz Europa waren Beamte und Angestellte aus dem Südwesten an Verbrechen gegen die Bevölkerung beteiligt.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Im Mai 1945 zog das Stuttgarter Polizeipräsidium in die erhalten gebliebene Hälfte des Hotel Silber. Bis 1949 wurden praktisch keine ehemaligen Gestapo-Mitarbeiter aus Württemberg und Hohenzollern in den Polizeidienst übernommen. Die Personalausschüsse der Polizeidienststellen waren in der Regel so sensibilisiert, dass sie die Einstellung solcher Bewerber ablehnten. Dies änderte sich jedoch Anfang der 1950er Jahre mit dem vom Bundestag verabschiedeten »131er Gesetz«, das die Wiedereinstellung ehemaliger NS-Beamter erleichterte. Das Polizeipräsidium Stuttgart stellte bis 1957 mindestens 14 ehemalige Gestapo-Mitarbeiter in den Dienst der Kriminalpolizei ein. Dem standen 15 ehemalige Verfolgte gegenüber. Das Hotel Silber blieb bis 1984 Polizeipräsidium.

Im Jahr 2008 gründete sich eine Bürgerinitiative mit dem Ziel, den im Rahmen eines Bebauungsplans vorgesehenen Abriss des Hotel Silber zu verhindern. Die Bürgerinitiative arbeitete erfolgreich und erreichte 2011 die Zustimmung der Landesregierung zum Erhalt des Gebäudes. Am 3. Dezember 2018 wurde schließlich der Erinnerungsort Hotel Silber als Außenstelle des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg eröffnet. Die Ausstellungen und Veranstaltungen widmen sich den Tätern und ihren Opfern, der Polizei und ihrer Rolle in der Weimarer Republik, der NS-Zeit und der Bundesrepublik.

Angebote

Dauerausstellung und Sonderausstellungen, öffentliche Führungen, Angebote für Gruppen und Schulen (Schwerpunktführungen, Workshops), Seminarräume zur Vermietung, regelmäßige Veranstaltungen, Digitalangebot

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen 10.00 bis 18.00
Mittwoch 10.00 bis 21.00
Montag geschlossen

Kontakt

https://www.hdgbw.de/hotel-silber/

hotel-silber@hdgbw.de

+49 (0)711 212 4040

Dorotheenstraße 10
70173 Stuttgart