Am Budapester Prachtboulevard Andrássy út, in einem Gebäude, in dem nacheinander die nationalsozialistische Pfeilkreuzlerpartei und der stalinistische Geheimdienst ihre Hauptquartiere hatten, erinnert die staatliche Gedenkstätte »Haus des Terrors« an die Opfer beider Diktaturen.
Am 19. März 1944 besetzten deutsche Truppen das verbündete Ungarn. In den darauf folgenden Monaten ließ die SS mit Unterstützung der ungarischen Behörden beinahe alle Juden des Landes – mit Ausnahme von Budapest – deportieren. Vor allem nach der von der deutschen Führung vorangetriebenen Machtübernahme durch die nationalsozialistische Pfeilkreuzlerpartei im Oktober 1944 herrschte offener Terror im Land. Die Pfeilkreuzler verschleppten viele ihrer politischen Gegner in ihr Hauptquartier unter der Adresse Andrássy út 60, dem »Haus der Treue«, sperrten sie dort in den Keller und misshandelten sie schwer.
Anfang 1945 eroberte die Rote Armee Ungarn. Die Sowjets installierten eine Übergangsregierung aus mehreren Parteien, in der die Kommunisten das Innenressort übernahmen. Nach und nach bauten sie einen bewaffneten Geheimdienst auf, der bei der Bekämpfung und Zersetzung der anderen Parteien in den Nachkriegsjahren eine Schlüsselrolle spielte. Der Dienst bezog das ehemalige Haus der Pfeilkreuzler und baute dort das Kellergefängnis weiter aus.
Bis 1948/49 gelang es den Kommunisten eine stalinistische Diktatur zu errichten. Bis zur ungarischen Revolution 1956 verbreitete der Geheimdienstapparat Angst und Schrecken in der Bevölkerung, niemand konnte vor einer Verhaftung sicher sein. Zehntausende wurden verhaftet, zwangsumgesiedelt oder in Zwangsarbeitslager gesteckt. Besonders politische Gegner, Geistliche, Bürgerliche und Adlige sowie als »Kulaken« beschimpfte Bauern waren unter den Opfern, aber auch viele Kommunisten, die die Gunst der Führung verloren und bei Schauprozessen abgeurteilt wurden. Der Dienst wechselte mehrfach den Namen, die bekanntesten Abkürzungen waren AVO (»Államvédelmi Osztály«, deutsch: Abteilung für Staatsschutz) und AVH (»Államvédelmi Hivatal«: Amt für Staatsschutz). Der AVH wurde im Zuge der Revolution 1956 aufgelöst, dennoch nahmen viele seiner Mitglieder anschließend an derer Niederschlagung und Vergeltung teil.
Die Gedenkstätte Haus des Terrors ist allgemein den Opfern der totalitären Diktaturen in Ungarn gewidmet. Die Ausstellung behandelt den Zeitraum zwischen dem deutschen Einmarsch im März 1944 und 1961, als der offene Terror nach der Niederschlagung der Revolution von 1956 langsam abklang und die kommunistische Führung eine Phase der Konsolidierung einleitete.
Im Gebäude selbst wurden keine Hinrichtungen durchgeführt, dennoch kamen in beiden Diktaturen viele Gefangene im Haus gewaltsam zu Tode. Ihre Zahl ist unbekannt.
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Nach 1956 wurde das Haus als Bürogebäude benutzt, die Spuren des Kellergefängnisses entfernt. Dennoch blieb die Adresse »Andrássy út 60« als symbolischer Ort für die Verbrechen beider Diktaturen tief im öffentlichen Bewusstsein verankert. Ab den 1960er Jahren versuchte die kommunistische Führung, sich von den Verbrechen in der Zeit vor 1956 zu distanzieren, eine wirkliche historische Aufarbeitung oder eine strafrechtliche Verfolgung der Täter fand jedoch nicht statt. Erst im Zuge der politischen Veränderungen 1989/90 konnte über Themen wie das Zwangsarbeitslager Recsk, das zwischen 1950 und 1953 bestand, oder die brutale Verfolgung von Teilnehmern der Revolution in den Jahren nach 1956 offen gesprochen werden. Das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen war der breiten Öffentlichkeit bis dahin unbekannt.
Parallel zur Entscheidung, ein nationales Holocaust-Gedenkzentrum einzurichten trieb die ungarische Regierung um die Jahrtausendwende die Errichtung eines Gedenkortes für die Opfer beider Diktaturen voran. Eine staatliche Stiftung kaufte das symbolträchtige Gebäude in der Andrássy út an und baute es in eine Gedenkstätte um.
Dem Konzept des Hauses liegt der Gedanke zugrunde, dass das Grundübel der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert der Totalitarismus gewesen sei, unabhängig von den ideologischen Vorzeichen der jeweiligen Systeme. Ungarn wird in der Ausstellung als Land dargestellt, das nach März 1944 seine Eigenständigkeit verlor und zum Spielball der großen Mächte wurde. Es werden viele Parallelen zwischen den beiden Diktaturen gezogen, die politischen Symbole und die Uniformen werden als austauschbar dargestellt. So wird auch besonders auf die Biographien solcher Täter hingewiesen, die beiden Diktaturen als Handlanger dienten. Die Ausstellung verzichtet auf eine chronologische Erzählung, vielmehr setzt sie auf dramaturgische Effekte und Emotionen, beispielsweise durch den Einsatz von Musik oder den Nachbau des Gefängnisses im Keller.
Dauerausstellung, Führungen, Audio-Führungen
Dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00
muzeum@terrorhaza.hu
+36 (0)1 374 26 00
Andrássy út 60
H-1062 Budapest