Im ehemals westpreußischen Flatow (polnisch: Złotów) erinnert seit 2003 ein Gedenkzeichen an die ehemalige Neue Synagoge am Krautmarkt, die in der Zeit des Nationalsozialismus zerstört wurde.
Geschichte
In der Kleinstadt Flatow an der Glumia (polnisch: Głomia) wurden Juden erstmals 1564 urkundlich erwähnt. 200 Jahre später, im Jahr 1772, lebten dort 915 und stellten über die Hälfte der Einwohner. Im 19. Jahrhundert sank der jüdische Anteil an der Stadtbevölkerung durch Abwanderung, bis er zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit etwas über 400 Personen bei lediglich knapp zehn Prozent lag. 1933 gab es bei über 7.000 Ansässigen noch 190 Juden in Flatow. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar des Jahres flohen viele vor den antijüdischen Maßnahmen aus ihrer westpreußischen Heimatstadt, oft nach Berlin. 1938 sah sich die stark geschrumpfte jüdische Gemeinde aus finanziellen Gründen gezwungen, die Synagoge an die Stadt zu verkaufen; im Oktober – einen Monat vor den antijüdischen Pogromen im deutschen Reich – wurde sie gesprengt. Die Reste der Synagoge mussten von Juden abgetragen werden.
Zwei Jahre später wurden die verbliebenen Juden in ein Lager bei Schneidemühl (polnisch: Piła) gebracht, Ende Februar 1940 in einem Transport mit insgesamt etwa 160 jüdischen Kindern, Frauen und Männern in den Lubliner Raum auf besetztem polnischem Boden verschleppt. Niemand überlebte. 1945 kam Flatow zu Polen, die wenigen deutschen Einwohner wurden 1946 ausgewiesen oder mussten die polnische Staatsangehörigkeit annehmen.
Opfergruppen
1933 lebten nur noch 190 Juden in Flatow, viele flohen in andere Teile Deutschlands. Die Verbliebenen – eine genaue Zahl ist nicht bekannt – wurden 1940 verschleppt und kamen später gewaltsam zu Tode.
Mit dem Angriff auf Polen und der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im Westen und durch die Rote Armee im Osten begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Einmarsch setzten in beiden Teilungsgebieten Verfolgung und Terror ein. Deutsche Verbände verübten Massaker an Angehörigen der geistigen Eliten, jüdischen und nichtjüdischen Zivilisten sowie Patienten.
Ab Ende 1939 errichtete die deutsche Verwaltung Ghettos, in denen die jüdische Bevölkerung unter elenden Bedingungen zusammengedrängt wurde. 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, geriet auch Ostpolen unter deutsche Herrschaft. SS-Einsatzgruppen ermordeten zunächst systematisch jüdische Männer, später auch Frauen und Kinder. Im Herbst 1941 begannen lokale deutsche Dienststellen im früheren Westpolen mit der Vorbereitung von Massentötungen jüdischer Ghettohäftlinge durch Giftgas. Bis 1945 wurden etwa drei Millionen polnische Juden in den Vernichtungsstätten Kulmhof, Belzec, Treblinka und Sobibor, in Majdanek und Auschwitz ermordet, verhungerten in den Ghettos oder wurden erschossen. 1943 erhoben sich die jüdischen Bewohner des Warschauer Ghettos zu einem Aufstand, den die SS blutig niederschlug.
Polnische Soldaten kämpften auf Seiten der Alliierten an allen Fronten des Weltkriegs. Partisanengruppen, darunter die patriotische »Armia Krajowa« (Heimatarmee), bildeten die größte Widerstandsbewegung im besetzten Europa. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, die umfangreichste Erhebung von Zivilisten gegen die Deutschen im besetzten Europa. Er scheiterte, auch weil die Rote Armee – bereits am anderen Weichselufer stehend – nicht eingriff. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 250.000 geschätzt. Insgesamt kamen etwa drei Millionen nichtjüdische Polen unter deutscher Besatzung gewaltsam zu Tode.
Nachdem die Rote Armee bereits im Januar 1944 (ost-)polnischen Boden erreicht hatte, wurden die Truppen der Armia Krajowa vom sowjetischen Geheimdienst entwaffnet, ihre Offiziere erschossen oder verschleppt. Die Millionen Toten der Besatzungszeit, die dauerhafte Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion, die Eingliederung ostdeutscher Gebiete und der daraus resultierende Bevölkerungsaustausch verursachten in Polen ein schweres politisches und gesellschaftliches Trauma.
In der Erinnerungskultur stand das Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Boden zunächst im Hintergrund. So galt Auschwitz – im Ausland längst zum Symbol des Holocaust geworden – über Jahrzehnte vor allem als »Ort polnischen Martyriums«. Veränderungen gibt es allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu mögen auch die heftigen Debatten um den ostpolnischen Ort Jedwabne beigetragen haben. Das Massaker an etwa 340 Juden am 10. Juli 1941, das bis dahin »Gestapo und Hitler-Polizei« zugeschrieben worden war, hatten polnische »Nachbarn« ohne deutschen Zwang verübt. Die Diskussionen im In- und Ausland um eine polnische Mittäterschaft führten 2001 dazu, dass sich Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski (*1954) bei den Opfern entschuldigte. Forderungen von Fachleuten, etwa aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, sich den schwierigsten Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, wurden lauter. Zu diesen zählen auch antijüdische Pogrome 1946/47 und der staatliche Antisemitismus im sozialistischen Nachkriegspolen.
Der polnische Staat investiert sehr viel in Erinnerungspolitik, auch in Großprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Das Museum des Warschauer Aufstandes wurde bereits 2004 eröffnet. Das POLIN Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnete auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos 2013, ein Museum des Warschauer Ghettos soll 2024 folgen. In Danzig gibt es seit 2017 das Museum des Zweiten Weltkrieges. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec und Sobibor wurden nach der Jahrtausendwende in moderne Gedenkstätten umgewandelt. Auch in der Kultur ist eine immer intensivere Beschäftigung mit dem jüdischen und multikulturellen Erbe Polens zu beobachten.
Erinnerung
Die jüdische Geschichte der Stadt ging mit dem Holocaust gewaltsam zu Ende. Die beiden letzten Zeitzeugen Arnold Julius (1920-2012) und Walter Frankenstein (*1924) flohen noch in den 1930er Jahren nach Berlin. Julius machte eine Ausbildung im Pankower Jüdischen Lehrlingsheim, überlebte Auschwitz sowie Dachau und blieb nach Kriegsende in Berlin. Frankenstein fand im Pankower und im Auerbach’schen Waisenhaus Schutz, heiratete 1942 und tauchte in Berlin unter, wo seine zwei Söhne im Versteck geboren wurden. Die Familie wanderte nach Israel und später nach Schweden aus. Erst 2010/11 – nach über 70 Jahren – begaben sich beide mit einem Dokumentarfilmteam von »Zeitzeugen TV« an die historischen Schauplätze ihrer Leben in Flatow und in Berlin.
2003 wurden im Auftrag des Bürgermeisters der polnischen Stadt Flatow auf dem Paderewski-Platz, dem früheren Friedrichsplatz und späteren Krautmarkt, die Umrisse des früheren jüdischen Gotteshauses markiert und eine Inschrift in den Boden eingelassen. Sie lautet auf Polnisch, Hebräisch und Deutsch: »Hier stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde. Sie wurde im November 1938 zerstört.« Die Inschrift deutet zwar an, dass die Synagoge während der Novemberpogrome zerstört worden sei, tatsächlich ist sie jedoch mehrere Wochen zuvor gesprengt worden.
Der Bau der Alten Synagoge existiert noch, wird allerdings seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt.
Öffnungszeiten
Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.
Kontakt
Plac Paderewskiego
77-400 Złotów