Im masurischen Rastenburg (polnisch: Kętrzyn) erinnert seit November 2012 ein Gedenkzeichen an die ehemalige Neue Synagoge, die bei den Novembergpogromen 1938 zerstört wurde.
Geschichte
Rastenburg (polnisch: Kętrzyn) war vor dem Zweiten Weltkrieg eine für die Provinz Ostpreußen typische Kleinstadt, ihr Wahrzeichen war die 1329 vom Deutschen Orden erbaute Burg. Seit dem 17. Jahrhundert war Rastenburg Garnisonsstadt, um 1900 hatte sie etwa 7.000 Einwohner. 1914, in der Anfangsphase des Ersten Weltkrieges, war Rastenburg zwei Wochen lang von russischen Truppen besetzt. Nichtsdestotrotz konnte 1916 die Neue Synagoge fertig gestellt werden. Juden hatten seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Rastenburg gelebt, eine erste Synagoge gab es seit 1853. Der Bau der Neuen Synagoge mit ihren drei Kuppeln zeugte vom wachsenden Selbstbewusstsein der jüdischen Gemeinde.
Nach dem Ersten Weltkrieg war die Provinz Ostpreußen vom übrigen Deutschen Reich abgeschnitten, aufgrund der im Versailler Vertrag vorgeschriebenen Demilitarisierung verlor die Garnisonsstadt Rastenburg an Bedeutung. Im Mai 1919 kam es zudem zu antisemitischen Ausschreitungen in der Stadt, bei denen Geschäfte von Juden angegriffen und geplündert wurden. Viele Juden verließen daraufhin Rastenburg.
Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges hatte die Stadt fast 20.000 Einwohner. In der Nacht von 9. auf den 10. November wurde die Neue Synagoge von örtlichen Nationalsozialisten in Brand gesteckt und anschließend zerstört.
Opfergruppen
Nach dem Novemberpogrom verließen die meisten jüdischen Einwohner Rastenburg. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Ende 1939 keine Juden mehr in Rastenburg lebten.
Mit dem Angriff auf Polen und der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im Westen und durch die Rote Armee im Osten begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Einmarsch setzten in beiden Teilungsgebieten Verfolgung und Terror ein. Deutsche Verbände verübten Massaker an Angehörigen der geistigen Eliten, jüdischen und nichtjüdischen Zivilisten sowie Patienten.
Ab Ende 1939 errichtete die deutsche Verwaltung Ghettos, in denen die jüdische Bevölkerung unter elenden Bedingungen zusammengedrängt wurde. 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, geriet auch Ostpolen unter deutsche Herrschaft. SS-Einsatzgruppen ermordeten zunächst systematisch jüdische Männer, später auch Frauen und Kinder. Im Herbst 1941 begannen lokale deutsche Dienststellen im früheren Westpolen mit der Vorbereitung von Massentötungen jüdischer Ghettohäftlinge durch Giftgas. Bis 1945 wurden etwa drei Millionen polnische Juden in den Vernichtungsstätten Kulmhof, Belzec, Treblinka und Sobibor, in Majdanek und Auschwitz ermordet, verhungerten in den Ghettos oder wurden erschossen. 1943 erhoben sich die jüdischen Bewohner des Warschauer Ghettos zu einem Aufstand, den die SS blutig niederschlug.
Polnische Soldaten kämpften auf Seiten der Alliierten an allen Fronten des Weltkriegs. Partisanengruppen, darunter die patriotische »Armia Krajowa« (Heimatarmee), bildeten die größte Widerstandsbewegung im besetzten Europa. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, die umfangreichste Erhebung von Zivilisten gegen die Deutschen im besetzten Europa. Er scheiterte, auch weil die Rote Armee – bereits am anderen Weichselufer stehend – nicht eingriff. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 250.000 geschätzt. Insgesamt kamen etwa drei Millionen nichtjüdische Polen unter deutscher Besatzung gewaltsam zu Tode.
Nachdem die Rote Armee bereits im Januar 1944 (ost-)polnischen Boden erreicht hatte, wurden die Truppen der Armia Krajowa vom sowjetischen Geheimdienst entwaffnet, ihre Offiziere erschossen oder verschleppt. Die Millionen Toten der Besatzungszeit, die dauerhafte Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion, die Eingliederung ostdeutscher Gebiete und der daraus resultierende Bevölkerungsaustausch verursachten in Polen ein schweres politisches und gesellschaftliches Trauma.
In der Erinnerungskultur stand das Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Boden zunächst im Hintergrund. So galt Auschwitz – im Ausland längst zum Symbol des Holocaust geworden – über Jahrzehnte vor allem als »Ort polnischen Martyriums«. Veränderungen gibt es allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu mögen auch die heftigen Debatten um den ostpolnischen Ort Jedwabne beigetragen haben. Das Massaker an etwa 340 Juden am 10. Juli 1941, das bis dahin »Gestapo und Hitler-Polizei« zugeschrieben worden war, hatten polnische »Nachbarn« ohne deutschen Zwang verübt. Die Diskussionen im In- und Ausland um eine polnische Mittäterschaft führten 2001 dazu, dass sich Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski (*1954) bei den Opfern entschuldigte. Forderungen von Fachleuten, etwa aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, sich den schwierigsten Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, wurden lauter. Zu diesen zählen auch antijüdische Pogrome 1946/47 und der staatliche Antisemitismus im sozialistischen Nachkriegspolen.
Der polnische Staat investiert sehr viel in Erinnerungspolitik, auch in Großprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Das Museum des Warschauer Aufstandes wurde bereits 2004 eröffnet. Das POLIN Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnete auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos 2013, ein Museum des Warschauer Ghettos soll 2024 folgen. In Danzig gibt es seit 2017 das Museum des Zweiten Weltkrieges. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec und Sobibor wurden nach der Jahrtausendwende in moderne Gedenkstätten umgewandelt. Auch in der Kultur ist eine immer intensivere Beschäftigung mit dem jüdischen und multikulturellen Erbe Polens zu beobachten.
Erinnerung
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Provinz Ostpreußen zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt. Das schwer zerstörte Rastenburg kam zu Polen und wurde nach einem polnischen Historiker in Kętrzyn umbenannt. Die deutsche Vergangenheit der Stadt wurde jahrzehntelang verdrängt, die jüdische Geschichte geriet in Vergessenheit, zumal in der heutigen Stadt keine Juden leben. Am ehemaligen Standort der Neuen Synagoge entstand ein mehrgeschossiges Wohnhaus mit Ladenflächen im Erdgeschoss, bauliche Spuren der Synagoge gibt es keine mehr. Im November 2012 wurde vor dem Gebäude eine Gedenktafel in polnischer und deutscher Sprache in den Gehweg eingelassen. Für die Gedenktafel hatten sich ehemalige und heutige Einwohner der Stadt, die örtliche evangelische Kirchengemeinde sowie die ortsansässige Arno-Holz-Gesellschaft für polnisch-deutsche Verständigung eingesetzt.
Das kleine Gebäude der Alten Synagoge steht heute noch, seit 1985 beten dort Baptisten.
Öffnungszeiten
Die Gedenktafel ist jederzeit zugąnglich.
Kontakt
ul. Daszyńskiego 8
11-400 Kętrzyn