Seit 2004 erinnert in Sechshard ein Denkmal vor der ehemaligen Synagoge an die ermordeten Juden der Stadt.
Geschichte
Sechshard (ungarisch: Szekszárd) ist mit seinen 33.000 Einwohnern die Hauptstadt des südungarischen Komitats Tolna. Eine jüdische Gemeinde gab es hier seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie schloss sich 1869 der neologen Glaubensrichtung an. 1882, als die ungarische Öffentlichkeit durch Affäre um einen angeblichen Ritualmord an einem christlichen Mädchens im Dorf Tiszaeszlár von einer antisemitischen Welle erfasst wurde, plünderte eine aufgebrachte Menge jüdische Geschäfte in Sechshard.
Die Große Synagoge wurde 1897 eingeweiht. Die meisten Juden waren assimiliert, ihre Zahl betrug einige Hundert. 1941 hatte Sechshard 510 Einwohner, die nach den ungarischen »Judengesetzen« als Juden galten, etwa 3,5 Prozent der Bevölkerung. Bereits ein Jahr davor wurden jüdische Männer zum Arbeitsdienst bei der ungarischen Armee berufen. In der Stadt entstand ein Lager für die Arbeitsdienstler, die später an die Ostfront verlegt wurden. Nur sehr wenige überlebten – laut Augenzeugenberichten wurden einige von ihnen von ungarischen Soldaten erschlagen.
Am 20. März 1944, einen Tag nachdem die deutsche Wehrmacht Ungarn besetzte, wurde in Sechshard ein Judenrat gebildet. Sogleich begann die Enteignung jüdischen Besitzes, zudem wurden bereits im Frühjahr 15 Juden ins Konzentrationslager Mauthausen verschleppt. Da sich der Bürgermeister gegen die Einrichtung eines Ghettos in seiner Stadt wehrte, wurden etwa 380 Sechsharder Juden in Ghettos in der Umgebung verlegt. Von dort deportierten sie ungarische Behörden und die deutsche SS Anfang Juli 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Opfergruppen
Genaue Opferzahlen sind nicht bekannt.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie musste Ungarn 1920 zwei Drittel seines Staatsgebietes und sechzig Prozent seiner Bevölkerung an seine Nachbarstaaten abtreten. Diese Verluste traumatisierten das Land und führten dazu, dass sich Ungarn unter seinem Staatschef Nikolaus von (Miklós) Horthy (1868–1957) ab 1937 allmählich dem nationalsozialistischen Deutschen Reich annäherte. Es gelang Ungarn in mehreren Schritten, sein Staatsgebiet zwischen 1938 und 1941 fast zu verdoppeln. Im März 1944 war das Land angesichts der vorrückenden Roten Armee kurz davor, sich von Deutschland abzuwenden und wurde deshalb von der Wehrmacht besetzt. Horthy blieb zunächst Staatsoberhaupt. Unter Mithilfe der ungarischen Verwaltung begann die SS beinahe sofort mit Deportationen von Juden in das Vernichtungslager Auschwitz, die Ungarn trotz antijüdischer Gesetze zuvor noch verweigert hatte. Von den etwa 825.000 Juden aus »Groß-Ungarn« wurden weit über eine halbe Million Menschen dort ermordet, allein bis zu 300.000 kamen aus den Regionen des heutigen Ungarn. Darüber hinaus fanden um die 140.000 Soldaten sowie etwa 170.000 nichtjüdische Zivilisten den Tod.
Nach 1945 war Ungarn Teil der sowjetischen Einflusssphäre. Bis 1989 erinnerte das offizielle Ungarn nicht an den Krieg, sondern an sein Ende – als »Befreiung vom Faschismus«. Die Mehrheit der Bevölkerung dagegen empfand das Jahr 1945 als Beginn einer langen Unterdrückung. Der niedergeschlagene Volksaufstand von 1956 hat die Erinnerungen vieler Ungarn an den Zweiten Weltkrieg überdeckt. Der Krieg galt fortan als unrühmliche Vorgeschichte zum Leiden unter kommunistischer Herrschaft. Unterdessen zelebrierten zahlreiche staatliche Denkmäler die »ungarisch-sowjetische Freundschaft«. Zu kommunistischer Zeit wurde offiziell kaum an die Menschen erinnert, die während des Krieges an der Front, in der Heimat und während des Völkermordes umgekommen waren. Orte des Gedenkens an den Holocaust existierten außerhalb von jüdischen Institutionen nicht; allein das 1932 eingeweihte Jüdische Museum Budapest wurde bereits 1947 wiedereröffnet. 1985 richtete die jüdische Gemeinde Budapest neben der großen, am Rande des ehemaligen Ghettos stehenden Synagoge einen »Raoul-Wallenberg-Gedenkpark« ein. 1987, in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Reise des kommunistischen Staatschefs János Kádár (1912–1989) nach Schweden, entstand schließlich ein staatliches Denkmal für Wallenberg (*1912–?), der als schwedischer Gesandter Tausenden Budapester Juden das Leben rettete, 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht verschleppt wurde und seither verschollen ist. Dieses Denkmal markierte einen Wendepunkt nach einem jahrzehntelangen Verschweigen des Holocaust. Erst zur Jahrtausendwende entstanden in ganz Ungarn zahlreiche Holocaustdenkmäler und -gedenkstätten. Hierzu gehört das Denkmal »Schuhe am Donauufer« in Budapest, das am 16. April 2005 – dem 2000 eingeführten ungarischen Holocaustgedenktag – eingeweiht wurde. Es erinnert an die Ermordung von bis zu 20.000 Juden aus dem Budapester Ghetto im Januar 1945 durch »Pfeilkreuzler«, Angehörige einer rechtsradikalen Partei, die am 15. Oktober 1944 die Macht in Ungarn übernommen hatte. Ein nationales Holocaustmuseum wurde 2004 in der Hauptstadt eröffnet. Erinnerungszeichen für andere Opfer gibt es bislang allerdings kaum. Sinnbildhaft für den Umgang des postkommunistischen Ungarn mit seiner Vergangenheit im 20. Jahrhundert ist das viel diskutierte »Haus des Terrors«, das – 2002 im Zentrum Budapests eröffnet – die Geschichte »beider totalitärer Diktaturen« behandelt. Die Mitwirkung von Ungarn bei der Deportation ihrer jüdischen Mitbürger tritt dabei oft in den Hintergrund.
Erinnerung
1949 hatte die jüdische Gemeinde in Sechshard wieder 121 Mitglieder, danach schrumpfte sie jedoch stark. Die Synagoge verfiel. 1971 kaufte die Stadt das Gebäude an und eröffnete es nach langen Umbauarbeiten 1984 als »Haus der Künste« wieder.
Auf dem Platz vor der ehemaligen Synagoge wurde 2004, 60 Jahre nach den Deportationen, ein Holocaustdenkmal eingeweiht. Der Entwurf stammt vom ungarischen Bildhauer László Szatmári Juhos. Das Denkmal besteht aus einer weißen Betonstele, an die ein Bronzerelief angebracht ist. Es zeigt eine dreiköpfige Familie als Negativform mit expressiven Zügen.
Öffnungszeiten
Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.
Kontakt
http://www.szekszardagora.hu/
info@szekszardagora.hu
+36 (0)74 511 247
Szent István tér 28
7100 Szekszárd