Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein

Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein


In der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt befand sich eine der sechs zentralen »Euthanasie«-Tötungsanstalten des Deutschen Reiches. Hier ließ das nationalsozialistische Regime innerhalb von 15 Monaten 13.720 psychisch Kranke und geistig Behinderte sowie mehr als 1.000 Häftlinge aus Konzentrationslagern ermorden. Eine Gedenkstätte erinnert seit 2000 an die Schicksale der lange Zeit vergessenen Opfer.

Geschichte

Der Begriff »Euthanasie« bezeichnete in der Zeit des Nationalsozialismus die Ermordung tausender Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Geplant und organisiert wurde der Mord an den Patienten von Heil- und Pflegeanstalten von einer unmittelbar Adolf Hitler unterstellten Organisation im Hauptamt II. Sie erhielt die Tarnbezeichnung »T4« nach der Anschrift der Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße. Nachdem anfangs Kleinkinder bis zu drei Jahren der »Euthanasie« zum Opfer fielen, weitete sich die Tötung in der Folgezeit auf ältere Kinder und Jugendliche, ab 1940 unter dem Decknamen »Aktion T4« auch auf erwachsene Behinderte und Kranke aus. Die Tötung erfolgte in der ersten Phase durch Nahrungsentzug, Gift und Medikamente. Ab Januar 1940 wurden in immer mehr »T4«-Anstalten Gaskammern in Betrieb genommen. Ab 1941 nutzte auch die SS die Heil- und Pflegeanstalten im Rahmen der »T4-Aktion« für die Ermordung von nicht mehr arbeitsfähigen oder unerwünschten Häftlingen aus Konzentrationslagern. Die Massentötung der Häftlinge wurde in der Aktensprache der Nationalsozialisten »Sonderbehandlung 14f13« genannt. Ein Teil der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Sonnenstein wurde 1940 auf Beschluss der »T4«-Behörde zu einer »Euthanasie«-Anstalt umgebaut. Dazu gehörte neben dem Bau eines Krematoriums und der Installation einer Gaskammer auch die Errichtung einer Mauer um den Komplex. Auf diese Weise sollte das Geschehen vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Von Juni 1940 bis August 1941 ermordeten Ärzte und Pfleger der Heil- und Pflegeanstalt in Pirna vor allem psychisch kranke und geistig behinderte Menschen. Die Opfer stammten aus psychiatrischen Anstalten, Heimen für geistig Behinderte, aber auch aus Alten- und Pflegeheimen. Nach einer ärztlichen Untersuchung wurden sie in Gruppen in den Keller des Hauses C16 geführt. Hier befanden sich eine als Duschraum getarnte Gaskammer und das Krematorium.

Opfergruppen

Die Zahl der aus dem Einzugsgebiet Sachsen, Thüringen, Franken, dem Sudetenland, Schlesien sowie aus Ost- und Westpreußen stammenden Getöteten betrug 13.720. Im Sommer 1941 wurden hier im Rahmen der »Aktion 14f13« mehr als 1.000 kranke und arbeitsunfähige Häftlinge aus Konzentrationslagern ermordet.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Nach der Beendigung der »Euthanasie«-Aktion in Pirna veranlassten die Verantwortlichen den Abbau sämtlicher Einrichtungen, die Aufschluss über das Geschehen in der Heil- und Pflegeanstalt hätten geben können. Im Sommer 1947 wurden im Dresdner Ärzteprozess einige der beteiligten Ärzte und Pfleger an der Mordaktion zum Tode verurteilt. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurden die auf dem Sonnenstein verübten Verbrechen von den Bewohnern Pirnas verdrängt oder größtenteils verschwiegen. Erst seit Ende der achtziger Jahre bemühen sich Bürger der Stadt Pirna sowie Angehörige von Ermordeten um die Aufarbeitung dieser Geschichte. 1991 gründeten sie das »Kuratorium Gedenkstätte Sonnenstein e.V.«. Der Verein setzte sich seither für die Einrichtung einer Gedenkstätte ein. In den Jahren 1992 bis 1994 wurden die zur Tötung genutzten Kellerräume rekonstruiert. Im Juni 2000 konnte am historischen Ort eine Gedenkstätte eingeweiht werden. Verantwortlich für diese ist die Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Im November 2011 wurden zusätzlich ein Gedenkkreuz und ein Gräberfeld auf dem Gelände der ehemaligen Deponie Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein eingeweiht. Dort hatten Mitarbeiter der Tötungsanstalt die sterblichen Überreste zahlreicher ermordeter Menschen verkippt.

Angebote

Kostenlose Führungen samstags um 14.30
Dauerausstellung, pädagogische Angebote für Besuchergruppen, Lehrerfortbildungen, Wanderausstellungen, Schicksalsklärung, Veranstaltungen, Vorträge

Öffnungszeiten

Montags bis freitags 9.00 bis 16.00
Samstags, sonntags und feiertags 11.00 bis 17.00
Am 24., 25, 26., und 31. Dezember sowie am 1. Januar geschlossen

Kontakt

http://www.pirna-sonnenstein.de

gedenkstaette.pirna@stsg.de

+49 (0)3501 710 960

Schlosspark 11
01796 Pirna