Gedenkstein für die Opfer der »Euthanasie«-Aktion in Schwäbisch Hall

Gedenkstein für die Opfer der »Euthanasie«-Aktion in Schwäbisch Hall


Ein Gedenkstein erinnert an die ehemaligen Bewohner des Behindertenheimes Gottlob-Weißer-Haus in Schwäbisch Hall. Viele von ihnen wurden im Rahmen der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Aktion getötet.

Geschichte

In der 1886 gegründeten Diakonissenanstalt Schwäbisch Hall begann im Jahr 1900 die Arbeit der Behindertenhilfe mit der Betreuung geistig behinderter Frauen. Im Juli 1912 erfolgte auf dem Anstaltsgelände die Einweihung eines sogenannten Schwachsinnigenheimes. Benannt wurde es nach dem Begründer der Behindertenarbeit in Schwäbisch Hall Gottlob Weißer. Ab dieser Zeit begann in der Anstalt auch die Betreuung von Kindern mit geistiger Behinderung. 1929 lebten hier etwa 650 Patienten obwohl es nur Heimplätze für 410 Personen gab. Für die Betreuung der Patienten waren über 450 aktive Diakonissen eingestellt worden. Im Oktober 1939 erreichten die Anstalt die Meldebögen des Reichsinnenministeriums zur »planwirtschaftlichen Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten«. Am 14. November 1940 wurde das Behindertenheim Gottlob-Weißer-Haus durch die NSDAP-Kreisleitung und die »Volksdeutsche Mittelstelle« beschlagnahmt. Innerhalb einer Woche sollte es geräumt werden. Zu diesem Zeitpunkt lebten etwa 550 Frauen und Kinder in dem Heim. Im Rahmen der »Euthanasie«-Aktion »T4« wurden etwa 270 Personen in andere Einrichtungen verlegt. Alle Kinder wurden in die Heil- und Pflegeanstalt im nahe gelegenen Weinsberg überstellt. Nach einem kurzen Aufenthalt in Weinsberg kamen sie in die »Euthanasie«-Anstalten Grafeneck und Hadamar. An diesen beiden Orten wurden 1940/41 körperlich und geistig behinderte Menschen im Rahmen der »T4«-Aktion in einer als Duschraum getarnten Kammer mit Gas erstickt. 265 geistig und psychisch behinderte Frauen aus der Diakonissenanstalt Schwäbisch Hall konnten im Diakonischen Werk und auf den Höfen Wilhelmsglück, Veinau und Rollhof Zuflucht finden und überlebten dort. Das Gottlob-Weißer-Haus nutzte die NSDAP nach der Räumung als Unterkunft für Umsiedler aus dem Baltikum. Ab 1942 befand sich hier eine Lehrerbildungsanstalt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges richteten amerikanische Truppen in dem ehemaligen Behindertenheim ein Lazarett ein.

Opfergruppen

Etwa 170 Heimbewohner, Frauen und alle Kinder aus dem Gottlob-Weißer-Haus wurden in den »Euthanasie«-Anstalten Grafeneck und Hadamar durch Gas erstickt.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Im November 1968 richtete die Stadt Schwäbisch Hall im ehemaligen Gottlob-Weißer-Haus den »Sonnenhof« als Heim für geistig- und körperbehinderte Menschen ein. Seit 1978 nennt sich der gesamte Pflege-Komplex Evangelisches Diakoniewerk Schwäbisch Hall e.V. Im Gottlob-Weißer-Haus befindet sich heute ein Wohn- und Pflegestift für alte Leute. An die Opfer der »Euthanasie«-Aktion erinnert ein Gedenkstein vor dem Gottlob-Weißer-Haus. Außerdem wird in mehreren Publikationen zur Geschichte der Diakonissenanstalt versucht, dieses Kapitel aufzuarbeiten.

Angebote

Archiv mit Unterlagen über die Opfer, Publikationen zum Thema »Euthanasie«

Öffnungszeiten

Jederzeit zugänglich

Kontakt

http://www.diaksha.de

info@diaksha.de

+49 (0)753 209 3

Diakoniestraße 14
74523 Schwäbisch Hall