Gedenkstein an Heinrich Graf von Lehndorff und die »Bewegung des 20. Juli«

Pomnik Heinricha von Lehndorffa i »ruchu 20. lipca«


Vor dem Barockschloss Steinort (polnisch: Sztynort) bei Angerburg (Węgorzewo) am Mauersee (Mamry) im südlichen Ostpreußen erinnert seit 2009 ein Gedenkstein an Heinrich Graf von Lehndorff sowie die »Bewegung des 20. Juli gegen Adolf Hitler und das NS-Regime«. Gemeint ist das gescheiterte Attentat des Oberst Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 im etwa 20 Kilometer entfernten Führerhauptquartier »Wolfsschanze« und der anschließende Umsturzversuch.

Geschichte

Für den deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 ließ Hitler ab Herbst 1940 in Masuren verbunkerte Hauptquartiere unter anderem für sich und das Oberkommando des Heeres errichten. Diese Anlagen bildeten zwischen Juni 1941 und November 1944 die Machtzentrale des Dritten Reiches. In dem um 1600 begründeten Barockschloss Steinort, dem Familiensitz der Grafen von Lehndorff, richtete Reichsaußenminister von Ribbentrop sein Feldquartier »Westfalen« ein. Hierfür bezog er einen Flügel des Schlosses; die Lehndorffs wohnten weiterhin im anderen Flügel.
Im Oktober 1941 wurde Heinrich Graf von Lehndorff Zeuge eines Massakers an 7.000 Juden in Borissow bei Minsk – der entscheidende Grund für ihn, sich dem militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus unter Graf von Stauffenberg anzuschließen. Als Oberleutnant der Reserve war Lehndorff Verbindungsoffizier der Umstürzler zum Wehrkreis I in Königsberg. Am 21. Juli 1944, einen Tag nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, wurde der 35-jährige Lehndorff verhaftet, am 3. September durch den Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und am Tag darauf in Berlin-Plötzensee gehenkt. Seine Ehefrau Gottliebe wurde in ein Konzentrationslager, drei der vier Töchter (Marie-Eleonore, Vera und Gabriele) in ein Kinderheim eingewiesen.

Opfergruppen

Das Attentat Stauffenbergs am 20. Juli 1944 im ostpreußischen Führerhauptquartier »Wolfsschanze« und die anschließende Operation »Walküre« unter seiner Führung gelten als umfangreichster und ranghöchster Umsturzversuch des militärischen Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime Adolf Hitlers. Etwa 200 der Verschwörer wurden – wie Heinrich Graf von Lehndorff – hingerichtet oder in den Tod getrieben.

Erfahre mehr über Polen

Mit dem Angriff auf Polen und der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im Westen und durch die Rote Armee im Osten begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Einmarsch setzten in beiden Teilungsgebieten Verfolgung und Terror ein. Deutsche Verbände verübten Massaker an Angehörigen der geistigen Eliten, jüdischen und nichtjüdischen Zivilisten sowie Patienten. Ab Ende 1939 errichtete die deutsche Verwaltung Ghettos, in denen die jüdische Bevölkerung unter elenden Bedingungen zusammengedrängt wurde. 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, geriet auch Ostpolen unter deutsche Herrschaft. SS-Einsatzgruppen ermordeten zunächst systematisch jüdische Männer, später auch Frauen und Kinder. Im Herbst 1941 begannen lokale deutsche Dienststellen im früheren Westpolen mit der Vorbereitung von Massentötungen jüdischer Ghettohäftlinge durch Giftgas. Bis 1945 wurden etwa drei Millionen polnische Juden in den Vernichtungsstätten Kulmhof, Belzec, Treblinka und Sobibor, in Majdanek und Auschwitz ermordet, verhungerten in den Ghettos oder wurden erschossen. 1943 erhoben sich die jüdischen Bewohner des Warschauer Ghettos zu einem Aufstand, den die SS blutig niederschlug. Polnische Soldaten kämpften auf Seiten der Alliierten an allen Fronten des Weltkriegs. Partisanengruppen, darunter die patriotische »Armia Krajowa« (Heimatarmee), bildeten die größte Widerstandsbewegung im besetzten Europa. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, die umfangreichste Erhebung von Zivilisten gegen die Deutschen im besetzten Europa. Er scheiterte, auch weil die Rote Armee – bereits am anderen Weichselufer stehend – nicht eingriff. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 250.000 geschätzt. Insgesamt kamen etwa drei Millionen nichtjüdische Polen unter deutscher Besatzung gewaltsam zu Tode. Nachdem die Rote Armee bereits im Januar 1944 (ost-)polnischen Boden erreicht hatte, wurden die Truppen der Armia Krajowa vom sowjetischen Geheimdienst entwaffnet, ihre Offiziere erschossen oder verschleppt. Die Millionen Toten der Besatzungszeit, die dauerhafte Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion, die Eingliederung ostdeutscher Gebiete und der daraus resultierende Bevölkerungsaustausch verursachten in Polen ein schweres politisches und gesellschaftliches Trauma. In der Erinnerungskultur stand das Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Boden zunächst im Hintergrund. So galt Auschwitz – im Ausland längst zum Symbol des Holocaust geworden – über Jahrzehnte vor allem als »Ort polnischen Martyriums«. Veränderungen gibt es allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu mögen auch die heftigen Debatten um den ostpolnischen Ort Jedwabne beigetragen haben. Das Massaker an etwa 340 Juden am 10. Juli 1941, das bis dahin »Gestapo und Hitler-Polizei« zugeschrieben worden war, hatten polnische »Nachbarn« ohne deutschen Zwang verübt. Die Diskussionen im In- und Ausland um eine polnische Mittäterschaft führten 2001 dazu, dass sich Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski (*1954) bei den Opfern entschuldigte. Forderungen von Fachleuten, etwa aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, sich den schwierigsten Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, wurden lauter. Zu diesen zählen auch antijüdische Pogrome 1946/47 und der staatliche Antisemitismus im sozialistischen Nachkriegspolen. Der polnische Staat investiert sehr viel in Erinnerungspolitik, auch in Großprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Das Museum des Warschauer Aufstandes wurde bereits 2004 eröffnet. Das POLIN Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnete auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos 2013, ein Museum des Warschauer Ghettos soll 2024 folgen. In Danzig gibt es seit 2017 das Museum des Zweiten Weltkrieges. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec und Sobibor wurden nach der Jahrtausendwende in moderne Gedenkstätten umgewandelt. Auch in der Kultur ist eine immer intensivere Beschäftigung mit dem jüdischen und multikulturellen Erbe Polens zu beobachten.

Erinnerung

Nach der Eroberung durch die Rote Armee 1945 übernahm Polen das südliche Ostpreußen. Steinort befand sich nun lediglich 15 Kilometer von der sowjetischen Grenze entfernt. Noch bis Anfang 1947 blieben Sowjetsoldaten im unzerstörten Schloss Steinort einquartiert, danach kam es in polnische Hand. In den 1950er Jahren wurde dort die Verwaltung einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft und später eine Segelschule untergebracht. Dann fiel das Gebäude dem Zerfall anheim. Im November 2009 erwarb die Deutsch-Polnische Stiftung »Kulturpflege und Denkmalschutz« das Schloss. Nach der Sanierung soll dort eine Begegnungsstätte entstehen. Am 24. Juni desselben Jahres war – in Anwesenheit der vier Töchter Lehndorffs – vor dem Schloss ein Gedenkstein für Lehndorff und seine Mitstreiter im Widerstand eingeweiht worden.
Der Gedenkstein vor Schloss Steinort ist – neben zwei Tafeln auf dem Gelände der ehemaligen »Wolfsschanze« – eines der seltenen Erinnerungszeichen an den deutschen Widerstand auf dem Gebiet des heutigen Polen. Er trägt in deutscher und polnischer Sprache die Inschrift: »›Es vollzieht sich eine völlige Wandlung, wobei das bisherige Leben allmählich ganz versinkt und gänzlich neue Maßstäbe gelten‹ (Aus dem Abschiedsbrief an seine Frau am Vorabend seiner Hinrichtung). Zur Erinnerung an den 100. Geburtstag von Heinrich Graf Lehndorff (1909–1944), dem letzten Herrn auf Steinort und aktiven Teilnehmer der Bewegung des 20. Juli gegen Adolf Hitler und das NS-Regime«.

Öffnungszeiten

Der Gedenkstein ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

http://www.deutsch-polnische-stiftung.de/

deutsch-polnische-stiftung@denkmalschutz.de