In der Nähe des Ortes Ostroschez erinnert seit 2015 ein Denkmal an die etwa 800 Juden, die dort am 9. Oktober 1942 von deutschen Einheiten erschossen wurden.
Geschichte
Ostroschez (polnisch: Ostrożec) in der historischen Region Wolhynien gelegen, gehörte bis September 1939 zu Polen und geriet dann infolge des Hitler-Stalin-Paktes unter sowjetische Besatzung.
Erste Hinweise auf jüdische Einwohner finden sich im 16. Jahrhundert. 1941 zählte die jüdische Gemeinde etwa 750 Mitglieder.
Ende Juni 1941, wenige Tage nach ihrem Einmarsch in die Sowjetunion, besetzte die deutsche Wehrmacht Ostroschez. Die deutschen Besatzungsbehörden unterdrückten die Juden durch Zwangsarbeit, Ausgangssperren und Kennzeichnungen. Antisemitische Einwohner des Ortes und ukrainische Polizisten gingen ebenfalls gewalttätig gegen Juden vor. Letztere nahmen auch aktiv an den antijüdischen »Aktionen« teil.
Bereits im August 1941 erschossen die deutschen Besatzer etwa 40 Juden. Im April 1942 ordneten sie die Einrichtung eines Ghettos an, in das auch die verbliebenen Juden aus dem 16 km entfernten Torhowizja umgesiedelt wurden.
Am 9. Oktober 1942 liquidierten die deutschen Besatzer das Ghetto. Zuvor ließen sie nichtjüdische Zivilisten eine Grube nahe des polnischen Friedhofs ausheben. Der SD (Sicherheitsdienst) Rowno (ukrainisch: Riwne) erschoss an diesem Tag unter Beihilfe von deutschen und ukrainischen Polizisten etwa 800 Juden. Von den etwa 200 Juden, die im Vorfeld der »Aktion« fliehen konnten, überlebten weniger als 20 Personen. Ein Teil von ihnen wurde wieder gefasst und auf dem nahe der Stadt gelegenen jüdischen Friedhof erschossen.
Opfergruppen
Etwa 800 Juden wurden bei der »Aktion« zur Auflösung des Ghettos im Oktober 1942 erschossen. Die Juden, die im Vorfeld der Aktion fliehen konnten, wurden bis auf wenige Ausnahmen wieder gefasst und ebenfalls ermordet. Weitere 40 Juden erschossen die Besatzer bereits im August 1941.
Erfahre mehr über
Ukraine
Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden.
Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen.
Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.
Erinnerung
Über siebzig Jahre lang gab es kein Erinnerungszeichen für die Opfer der Massenerschießung vom Oktober 1942. Der Standort des Massengrabs blieb unmarkiert, die Fläche wurde für die Landwirtschaft genutzt. So geriet das Verbrechen langsam in Vergessenheit.
Im Rahmen des vom deutschen Auswärtigen Amt unterstützen internationalen Projektes »Protecting Memory« errichtete das American Jewish Committee Berlin im Sommer 2015 einen Gedenkort auf dem Areal. Dafür wurden der ungefähre Ort des Massengrabs und der Fläche des Friedhofs umgestaltet. Ein Holzzaun umfasst die Gesamtfläche von 3.800 Quadratmetern. Die Grabfläche ist mit grau-schwarzem Granitgestein bedeckt. Eine Informationsstele erinnert an das Leben und das Schicksal der ehemaligen jüdischen Gemeinde von Ostroschez.