Im Nationalpark Bialowies (polnisch: Białowieski Park Narodowy, weißrussisch: Nazyjanalny park Belaweschskaja puschtscha) erinnert eine Gedenkanlage in der alten Kiesgrube von Podolany an fast 500 Polen, Weißrussen, Russen und Juden, die zwischen 1941 und 1943 durch die deutsche Besatzungsmacht erschossen wurden.
Geschichte
Gleich nach dem Angriff auf die Sowjetunion besetzte die Wehrmacht am 25. Juni 1941 die Urwaldlandschaft Bialowies (polnisch: Białowieża), das frühere Jagdrevier der polnischen Könige und russischen Zaren. Umgehend ließ Reichsmarschall Hermann Göring (1893–1946) das Gebiet für sich als Reichsjagdrevier einrichten, ohne es jemals zu besuchen. Den »Sonderauftrag zwecks Befriedung und Evakuierung des Urwaldes Bialowies« erhielten Oberforstmeister Walter Frevert (1897–1962) sowie Oberstjägermeister und SS-Führer Ulrich Scherping (1889–1958). Sie setzten das Polizeibataillon 322 ein, das allein zwischen dem 25. und 31. Juli 34 Dörfer einkesselte und niederbrannte. Bis zu 7.800 Einwohner wurden »ausgesiedelt« und große Mengen an Nutzvieh beschlagnahmt. Nagels 3. Kompanie tötete bei der »Juliaktion« über 3.400 Personen, darunter fast 700 Juden. Darüber hinaus durchkämmten die Polizisten die Waldlandschaft nach Banden, Wilderern, Plünderern, Partisanen sowie Personen, die kommunistischer Umtriebe verdächtigt wurden, und ermordeten bis Mitte August Hunderte meist polnische und weißrussische Zivilisten. Zwischen dem 9. und 15. August erschossen Angehörige der 3. Kompanie sämtliche jüdischen Männer im Raum Bialowies, fast 350, darunter am 10. August 1941 77 im Alter von 16 bis 45 Jahren in der alten Kiesgrube von Podolany. Hunderte Frauen, Kinder und ältere Menschen wurden verschleppt. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits über 100 Dörfer ausgelöscht. Im harten Winter 1941/42 nahm die Partisanentätigkeit – wie überall im besetzten Ostpolen und Weißrussland – auch in der unzugänglichen Bialowies stark zu. Deutsches Militär und SS gingen mit Razzien, Folterungen, kollektiven Gewaltmaßnahmen und »präventiver Bekämpfung« immer brutaler vor. 1942/43 bekämpften deutsche Kommandos bis zu 5.000 Partisanen. Bis zum Einmarsch der Roten Armee Ende August 1944 führten sie zahlreiche Erschießungen durch. Die Bialowies ist seit Kriegsende zwischen Polen und Weißrussland geteilt.
Opfergruppen
Auf dem Gebiet des Urwaldes Bialowies erschossen deutsche Einheiten zwischen Juni 1941 und August 1944 Tausende polnische, weißrussische sowie jüdische Zivilisten und löschten Hunderte Dörfer aus. Ebenso wurden zahlreiche Partisanen ermordet. Allein in der alten Kiesgrube von Podolany waren es fast 500 Polen, Weißrussen, Russen und Juden.
Mit dem Angriff auf Polen und der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im Westen und durch die Rote Armee im Osten begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Einmarsch setzten in beiden Teilungsgebieten Verfolgung und Terror ein. Deutsche Verbände verübten Massaker an Angehörigen der geistigen Eliten, jüdischen und nichtjüdischen Zivilisten sowie Patienten.
Ab Ende 1939 errichtete die deutsche Verwaltung Ghettos, in denen die jüdische Bevölkerung unter elenden Bedingungen zusammengedrängt wurde. 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, geriet auch Ostpolen unter deutsche Herrschaft. SS-Einsatzgruppen ermordeten zunächst systematisch jüdische Männer, später auch Frauen und Kinder. Im Herbst 1941 begannen lokale deutsche Dienststellen im früheren Westpolen mit der Vorbereitung von Massentötungen jüdischer Ghettohäftlinge durch Giftgas. Bis 1945 wurden etwa drei Millionen polnische Juden in den Vernichtungsstätten Kulmhof, Belzec, Treblinka und Sobibor, in Majdanek und Auschwitz ermordet, verhungerten in den Ghettos oder wurden erschossen. 1943 erhoben sich die jüdischen Bewohner des Warschauer Ghettos zu einem Aufstand, den die SS blutig niederschlug.
Polnische Soldaten kämpften auf Seiten der Alliierten an allen Fronten des Weltkriegs. Partisanengruppen, darunter die patriotische »Armia Krajowa« (Heimatarmee), bildeten die größte Widerstandsbewegung im besetzten Europa. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, die umfangreichste Erhebung von Zivilisten gegen die Deutschen im besetzten Europa. Er scheiterte, auch weil die Rote Armee – bereits am anderen Weichselufer stehend – nicht eingriff. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 250.000 geschätzt. Insgesamt kamen etwa drei Millionen nichtjüdische Polen unter deutscher Besatzung gewaltsam zu Tode.
Nachdem die Rote Armee bereits im Januar 1944 (ost-)polnischen Boden erreicht hatte, wurden die Truppen der Armia Krajowa vom sowjetischen Geheimdienst entwaffnet, ihre Offiziere erschossen oder verschleppt. Die Millionen Toten der Besatzungszeit, die dauerhafte Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion, die Eingliederung ostdeutscher Gebiete und der daraus resultierende Bevölkerungsaustausch verursachten in Polen ein schweres politisches und gesellschaftliches Trauma.
In der Erinnerungskultur stand das Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Boden zunächst im Hintergrund. So galt Auschwitz – im Ausland längst zum Symbol des Holocaust geworden – über Jahrzehnte vor allem als »Ort polnischen Martyriums«. Veränderungen gibt es allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu mögen auch die heftigen Debatten um den ostpolnischen Ort Jedwabne beigetragen haben. Das Massaker an etwa 340 Juden am 10. Juli 1941, das bis dahin »Gestapo und Hitler-Polizei« zugeschrieben worden war, hatten polnische »Nachbarn« ohne deutschen Zwang verübt. Die Diskussionen im In- und Ausland um eine polnische Mittäterschaft führten 2001 dazu, dass sich Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski (*1954) bei den Opfern entschuldigte. Forderungen von Fachleuten, etwa aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, sich den schwierigsten Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, wurden lauter. Zu diesen zählen auch antijüdische Pogrome 1946/47 und der staatliche Antisemitismus im sozialistischen Nachkriegspolen.
Der polnische Staat investiert sehr viel in Erinnerungspolitik, auch in Großprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Das Museum des Warschauer Aufstandes wurde bereits 2004 eröffnet. Das POLIN Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnete auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos 2013, ein Museum des Warschauer Ghettos soll 2024 folgen. In Danzig gibt es seit 2017 das Museum des Zweiten Weltkrieges. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec und Sobibor wurden nach der Jahrtausendwende in moderne Gedenkstätten umgewandelt. Auch in der Kultur ist eine immer intensivere Beschäftigung mit dem jüdischen und multikulturellen Erbe Polens zu beobachten.
Erinnerung
1960 wurde in der Kiesgrube von Podolany ein Denkmal eingeweiht. Im Frühjahr 1982 gestaltete man den Hinrichtungsort zu einer Anlage mit einem zentralen Denkmal in Form des polnischen Adlers um. Am 28. September 1997 wurden während einer Zeremonie in Anwesenheit von Vertretern der Polizei und des Grenzschutzes sowie Anwohnern ein katholisches und ein orthodoxes Kreuz geweiht. Jüdische Symbole gibt es derzeit noch nicht.
Öffnungszeiten
Die Gedenkanlage ist jederzeit zugänglich.
Kontakt
http://www.jewish-bialowieza.pl/