Gedenken an Opfer der »Kinder-Euthanasie«

Gedenken an Opfer der »Kinder-Euthanasie«


Seit 2011 erinnert im Leipziger Friedenspark ein Gedenkweg an Kinder und Jugendliche, die im Rahmen des nationalsozialistischen »Euthanasie«-Programms ermordet wurden.

Geschichte

Leipzig war eines der Zentren der »Kinder-Euthanasie«, der systematischen Ermordung von psychisch kranken und behinderten Kindern und Jugendlichen im Deutschen Reich zwischen 1939 und 1945. Das Programm wurde von Berlin aus zentral gesteuert. Zu dem Netzwerk gehörten Landesbehörden, städtische Ämter, Kliniken, Heil- und Pflegeanstalten, Ärzte und Pfleger. In mehreren Städten wurden »Kinderfachabteilungen« eingerichtet. Der Name galt der Tarnung: dorthin wurden nur Kinder verlegt, die getötet werden sollten. Vor den Angehörigen wurde das Schicksal des Kindes verschwiegen, sie bekamen lediglich eine kurze Benachrichtigung darüber, dass das Kind eines natürlichen Todes gestorben sei.
Der erste überlieferte Mord an einem behinderten Kind (»Fall K.«) fand 1939 unter Beteiligung von Professor Werner Catel (1894-1981) in Leipzig statt. In den folgenden Jahren existierten zwei »Kinderfachabteilungen« in Leipzig. Zwischen Oktober 1940 und Dezember 1943 wurden in der Heil- und Pflegeanstalt Leipzig-Dösen mindestens 551 Kinder durch die Verabreichung von Gift ermordet. Einige der Opfer stammten aus anderen Regionen Deutschlands oder von ausländischen Zwangsarbeitern. Nach Bombenagriffen zog dieses Tötungszentrum nach Großscheidnitz um, wo noch weitere etwa 300 Kinder getötet wurden. Die andere »Kinderfachabteilung« war an der Leipzigen Uniklinik angesiedelt, die Zahl deren Opfer ist jedoch nicht überliefert.

Opfergruppen

In Leipzig, einem der zentralen Orte der »Kinder-Euthanasie«, ermordeten Ärzte und Pfleger mehr als 800 Kinder. Da wichtige Dokumente verloren gegangen sind, ist die genaue Anzahl der Opfer nicht mehr genau festzustellen.
Historiker gehen davon aus, dass zwischen 1939 und 1945 mindestens 5.000 Kinder und Jugendliche in den über 30 »Kinderfachabteilungen« ermordet worden sind. Zählt man Jugendliche dazu, die bei anderen »Euthanasie«-»Aktionen« der Nationalsozialisten ermordet wurden, dürfte die Zahl Opfer bis zu 10.000 betragen.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Eine juristische Aufarbeitung der »Kinder-Euthanasie«-Verbrechen fand nach dem Krieg im geteilten Deutschland so gut wie nie statt. Die meisten Täter konnten unbehelligt weiterleben und ihren Beruf ausüben, so auch Werner Catel, der nicht nur am »Fall K.« beteiligt, sondern als einer von drei Hauptgutachtern in Berlin für die Auswahl der zu tötenden Kinder verantwortlich war.
Die meisten in Leipzig ermordeten Kinder wurden auf verschiedenen Friedhöfen der Stadt bestattet. Die meisten Grabsstätten sind heute nicht mehr sichtbar. Auf dem ehemaligen Neuen Johannisfriedhof, dem heutigen Friedenspark, wurden etwa 100 Kinder in Urnengräbern bestattet. In unmittelbarer Nähe zu diesen Grabstätten entstand ein Gedenkort die Opfer der »Kinder-Euthanasie« in Form eines geschwungenen Weges in einem von Bäumen gesäumten Garten. Der Entwurf stammt von der Landschaftsarchitektin Antje Schuhmann und nimmt Bezug auf die Zeile »Das ist die Wiese Zittergras und das ist der Weg Lebwohl«, ein Zitat aus einem Gedicht der österreichischen Lyrikerin Christine Lavant (1915-1973), die zeitlebens an schweren körperlichen und seelischen Krankheiten litt.
Der Gedenkort wurde am 6. Mai 2011 vom Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung eingeweiht. Er wurde zum Teil aus Spenden finanziert, die unter anderem von Leipziger Gesundheitseinrichtungen und Ärzten stammten.

Öffnungszeiten

Der Gedenkort ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

Friedenspark, Linnéstraße
04103 Leipzig