Erinnerungsorte an die deportierten Magdeburger Sinti und Roma

Erinnerungsorte an die deportierten Magdeburger Sinti und Roma


Der Porajmos (deutsch: »das Verschlingen«) war der Völkermord an den europäischen Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten. Bereits 1935 errichtete die Stadt Magdeburg ein »Zigeunerlager«, dessen Bewohner am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert wurden. Am 29. Oktober 1998 wurde das Denkmal für die deportierten Magdeburger Sinti und Roma in unmittelbarer Nähe des Doms als erstes Denkmal für die Opfer des Völkermords an den Sinti und Roma in Ostdeutschland eingeweiht. Seit dem 1. März 2009 gibt es auch eine Gedenkstele am Ort des ehemaligen »Zigeunerlagers Magdeburg Holzweg«.

Geschichte

Bereits für das Mittelalter sind für die Region um Magdeburg Ansiedlungen von Sinti und Roma überliefert. Wie überall in Europa wurden die Sinti und Roma auch hier als Fremde gesehen und ausgegrenzt. Mit dem Aufkommen der Naturwissenschaften und insbesondere des Sozialdarwinismus im 19. Jahrhundert nahm diese Diskriminierung neue Formen an. Sinti und Roma wurden oft auf ihren Charakter als »fahrendes Volk« reduziert und mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert.

Noch zu Zeiten der Weimarer Republik begann in Magdeburg die systematische
Erfassung und Stigmatisierung der Sinti und Roma als potenzielle Kriminelle. Auf Anordnung des preußischen Innenministeriums sammelte die städtische Polizei die Daten von Angehörigen der Volksgruppe und erstellte Dossiers, sogenannte »Zigeunerakten«.

Ab 1933 wuchs der Verfolgungsdruck auf Sinti und Roma. Bereits 1935 errichteten mehr als 20 Kommunen im Deutschen Reich, darunter Magdeburg, »Zigeunerlager«. Viele Sinti und Roma, die bisher in Mietwohnungen gelebt hatten, wurden zum Umzug in die Lager genötigt. So sollten sie aus dem Stadtbild verdrängt, polizeilich kontrolliert sowie von einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ausgeschlossen werden. Im Rahmen der Aktion »Arbeitsscheu Reich« gegen vermeintlich »Asoziale« wurden vom 13. bis 18. Juni 1938 auch Hunderte Sinti und Roma in die Konzentrationslager verschleppt. In Magdeburg waren 44 Sinti und Roma betroffen. Sie kamen nach Sachsenhausen und Buchenwald.

Auf Grundlage des sogenannten Auschwitz-Erlasses Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1938 begannen im gesamten Reich die Vorbereitung zur Deportation der Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz. Am 1. März 1943 lösten Gestapo und Polizei das »Zigeunerlager Magdeburg« auf und brachte seine Bewohner in das Magdeburger Polizeipräsidium. Am nächsten Tag wurden sie mit einem Güterzug nach Auschwitz deportiert. Von den 470 Sinti und Roma des Magdeburger Lagers überlebten 340 das »Zigeunerlager Auschwitz« nicht.

Opfergruppen

Von den etwa 20.000 deutschen Sinti und Roma überleben nur etwa 5.000 den Völkermord, viele von ihnen zwangssterilisiert. Die Schätzung der Gesamtzahl der ermordeten Sinti und Roma in Europa beläuft sich auf bis zu 500.000 Opfer.

Das Denkmal erinnert an die 470 Magdeburger Sinti und Roma, die in Konzentrationslagern ermordet wurden.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

In der Bundesrepublik wurde der Massenmord an den Sinti und Roma erst 1982 als Völkermord anerkannt. In der DDR galten Sinti von Anfang an als verfolgte Gruppe. Trotz der offiziellen Anerkennung blieben die Geschichten der Opfer jedoch ungehört. Die Erinnerung an die antifaschistischen Kämpfer stand in der DDR im Vordergrund. Die Diskriminierung der Sinti und Roma war auch in der DDR nicht beendet.

Die Initiative für das Magdeburger Denkmal ging von dem Schriftsteller und DDR-Bürgerrechtler Reimar Gilsenbach (1925–2001) aus. Bereits im Januar 1981 hatte er den 1. Sekretär des Kulturbundes bei der Bezirksleitung Magdeburg aufgefordert, sich für eine entsprechende Gedenktafel einzusetzen. Gilsenbachs Vorschlag stieß jedoch auf Ablehnung. Im März 1985 richtete er eine Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker. Darin schlug er vor, Erinnerungsorte an die Verfolgung der Sinti und Roma einzurichten. Sein Einsatz zeigte Erfolg, denn im November 1988 beschloss der Magdeburger Stadtrat, ein Denkmal »für die durch die Faschisten verfolgten und ermordeten Sinti« zu errichten.

Die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der Wiedervereinigung verzögerten die Realisierung des Denkmals. Schließlich wurde der Bildhauer Wolfgang Roßdeutscher mit der Realisierung des Denkmals beauftragt und der Standort in unmittelbarer Nähe des Magdeburger Doms gewählt. Das am 29. Oktober 1998 eingeweihte Denkmal zeigt einen umgestürzten, zerbrochenen Marmorblock mit folgender Inschrift: »Zum Gedenken an die von 1933 bis 1945 verfolgten und ermordeten Magdeburger Sinti und Roma. Sie wurden Opfer des Völkermordes in Auschwitz und anderen Vernichtungsstätten«.

Neben dem Denkmal am Magdeburger Dom gibt es seit 2009 eine Gedenkstele am Ort des ehemaligen »Zigeunerlagers Magdeburg Holzweg«. Sie trägt die Namen der ermordeten Magdeburger Sinti und Roma und erinnert an die historische Bedeutung des Ortes. Die Gedenkstele wurde wie das Denkmal am Dom von Wolfgang Roßdeutscher gestaltet. Unmittelbar neben der Gedenkstele wurde ein Apfelbaum als Zeichen des Lebens gepflanzt.

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