Erinnerung an die Opfer des Pogroms von Kielce

Upamiętnienie ofiar pogromu kieleckiego


Das Pogrom von Kielce war die blutigste antijüdische Ausschreitung im Polen der Nachkriegszeit. Die meisten Juden verstanden es als Signal, dass sie keine Zukunft mehr in Polen hätten, und verließen kurz darauf das Land.

Geschichte

Kielce ist eine Großstadt auf halbem Wege zwischen Warschau und Krakau. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte die Stadt zum Russischen Zarenreich. Unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg waren 25.000 der um die 71.500 Einwohner Juden, das entspricht einem Anteil von etwa 35%.
Während der deutschen Besatzung wurden fast alle jüdischen Einwohner von Kielce ermordet – die meisten von ihnen im August 1942 im Vernichtungslager Treblinka, nachdem sie über ein Jahr in Kielce im Ghetto leben mussten.
Nach dem Krieg hielten sich etwa 200 Überlebende des Holocaust in Kielce auf, einige von ihnen stammten ursprünglich aus anderen Gegenden. Etliche Juden lebten im Haus unter der Adresse Ulica Planty 7, in dem auch viele jüdische Organisationen ihren Sitz hatten. Am 4. Juli 1946 brach sich der schwelende Antisemitismus von weiten Teilen der Bevölkerung von Kielce bann. Als die aus der Luft gegriffene Behauptung die Runde machte, dass die Juden christliche Kinder gefangen hielten, versammelte sich eine wütende Menschenmenge vor dem Haus in der ul. Planty. Nachdem uniformierte Einheiten (Miliz und Armee) vor Ort eintrafen, eskalierte die Situation. Statt den Juden zu helfen oder die Ordnung aufrecht zu erhalten, lieferten sie viele Juden der Menge aus, die sie sofort lynchte. Viele Juden starben jedoch an Schusswunden, ein Beweis, dass sie von Angehörigen der Miliz oder der Armee ermordet wurden. Die Ausschreitungen dauerten stundenlang an, unter den Toten waren auch Frauen und Kinder. Gegen Abend trafen weitere Sicherheitskräfte am Ort ein und beendeten das Pogrom. Etwa 100 Täter wurden festgenommen, darunter Dutzende Angehörige von Armee und Miliz.
Die Ausschreitungen beschränkten sich nicht auf die Stadt Kielce, sondern griffen auch auf ihre Umgebung über. Vor allem in Zügen und Bahnhöfen wurden mindestens 30 Juden gelyncht.

Opfergruppen

Bei den antijüdischen Ausschreitungen von Kielce wurden 42 Menschen ermordet – Kinder, Frauen und Männer. Unter den Opfern waren drei Polen; sie wurden möglicherweise getötet, weil sie die Juden schützen wollten. Weitere 30 Juden wurden entlang der Bahnlinie in der Umgebung von Kielce ermordet.
Mehr als 30 Juden überlebten das Pogrom verletzt, zum Teil schwer. Die Verletzten wurden am nächsten Tag nach Warschau evakuiert, nachdem klar geworden war, dass sie im Krankenhaus nicht richtig versorgt wurden.

Erfahre mehr über Polen

Mit dem Angriff auf Polen und der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im Westen und durch die Rote Armee im Osten begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Einmarsch setzten in beiden Teilungsgebieten Verfolgung und Terror ein. Deutsche Verbände verübten Massaker an Angehörigen der geistigen Eliten, jüdischen und nichtjüdischen Zivilisten sowie Patienten. Ab Ende 1939 errichtete die deutsche Verwaltung Ghettos, in denen die jüdische Bevölkerung unter elenden Bedingungen zusammengedrängt wurde. 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, geriet auch Ostpolen unter deutsche Herrschaft. SS-Einsatzgruppen ermordeten zunächst systematisch jüdische Männer, später auch Frauen und Kinder. Im Herbst 1941 begannen lokale deutsche Dienststellen im früheren Westpolen mit der Vorbereitung von Massentötungen jüdischer Ghettohäftlinge durch Giftgas. Bis 1945 wurden etwa drei Millionen polnische Juden in den Vernichtungsstätten Kulmhof, Belzec, Treblinka und Sobibor, in Majdanek und Auschwitz ermordet, verhungerten in den Ghettos oder wurden erschossen. 1943 erhoben sich die jüdischen Bewohner des Warschauer Ghettos zu einem Aufstand, den die SS blutig niederschlug. Polnische Soldaten kämpften auf Seiten der Alliierten an allen Fronten des Weltkriegs. Partisanengruppen, darunter die patriotische »Armia Krajowa« (Heimatarmee), bildeten die größte Widerstandsbewegung im besetzten Europa. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, die umfangreichste Erhebung von Zivilisten gegen die Deutschen im besetzten Europa. Er scheiterte, auch weil die Rote Armee – bereits am anderen Weichselufer stehend – nicht eingriff. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 250.000 geschätzt. Insgesamt kamen etwa drei Millionen nichtjüdische Polen unter deutscher Besatzung gewaltsam zu Tode. Nachdem die Rote Armee bereits im Januar 1944 (ost-)polnischen Boden erreicht hatte, wurden die Truppen der Armia Krajowa vom sowjetischen Geheimdienst entwaffnet, ihre Offiziere erschossen oder verschleppt. Die Millionen Toten der Besatzungszeit, die dauerhafte Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion, die Eingliederung ostdeutscher Gebiete und der daraus resultierende Bevölkerungsaustausch verursachten in Polen ein schweres politisches und gesellschaftliches Trauma. In der Erinnerungskultur stand das Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Boden zunächst im Hintergrund. So galt Auschwitz – im Ausland längst zum Symbol des Holocaust geworden – über Jahrzehnte vor allem als »Ort polnischen Martyriums«. Veränderungen gibt es allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu mögen auch die heftigen Debatten um den ostpolnischen Ort Jedwabne beigetragen haben. Das Massaker an etwa 340 Juden am 10. Juli 1941, das bis dahin »Gestapo und Hitler-Polizei« zugeschrieben worden war, hatten polnische »Nachbarn« ohne deutschen Zwang verübt. Die Diskussionen im In- und Ausland um eine polnische Mittäterschaft führten 2001 dazu, dass sich Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski (*1954) bei den Opfern entschuldigte. Forderungen von Fachleuten, etwa aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, sich den schwierigsten Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, wurden lauter. Zu diesen zählen auch antijüdische Pogrome 1946/47 und der staatliche Antisemitismus im sozialistischen Nachkriegspolen. Der polnische Staat investiert sehr viel in Erinnerungspolitik, auch in Großprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Das Museum des Warschauer Aufstandes wurde bereits 2004 eröffnet. Das POLIN Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnete auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos 2013, ein Museum des Warschauer Ghettos soll 2024 folgen. In Danzig gibt es seit 2017 das Museum des Zweiten Weltkrieges. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec und Sobibor wurden nach der Jahrtausendwende in moderne Gedenkstätten umgewandelt. Auch in der Kultur ist eine immer intensivere Beschäftigung mit dem jüdischen und multikulturellen Erbe Polens zu beobachten.

Erinnerung

Die Opfer des Pogroms wurden vier Tage später in einem gemeinsamen Grab am jüdischen Friedhof beigesetzt. Die Zeremonie, an der auch Regierungsvertreter aus Warschau teilnahmen, glich einer politischen Kundgebung.
Die meisten der etwa 100 festgenommenen Teilnehmer des Pogroms wurden kurze Zeit später freigelassen. 12 Täter wurden vor ein Militärtribunal gestellt, drei von ihnen wurden zu langen Haftstrafen, neun zum Tode verurteilt. Die Todesurteile wurden bereits am 12. Juli 1946 vollstreckt.
Trotz der scheinbar heftigen Reaktionen der kommunistischen Regierung hatte das Pogrom enorme Auswirkungen für die weitere Entwicklung jüdischen Lebens in Polen. Die allermeisten Juden verstanden es als Signal, dass sie keine Zukunft mehr in Polen hätten, und setzten alles daran, auszuwandern. Nur schätzungsweise wenige zehntausend blieben danach im Land.
Über das Pogrom von Kielce wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten geschwiegen, erst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus erschienen Bücher und Dokumentarfilme zum Thema. 2006 legte das polnische Institut der Nationalen Erinnerung (IPN) einen Untersuchungsbericht zum Thema vor. Viele Verschwörungstheorien wurden dabei entkräftet. Im gleichen Jahr erschien das Buch »Angst« des polnisch-amerikanischen Historikers Jan T. Gross, das für heftige Diskussionen in Polen sorgte, da viele Polen ihre Nation als antisemitisch verunglimpft sahen.
In Kielce gibt es verschiedene Orte, an denen der Opfer des Pogroms gedenkt wird. Am Gebäude in der ul. Planty hängt seit 1990 eine Gedenktafel, sie wurde von Lech Wałesa, Führer der Gewerkschaft Solidarność, initiiert. Seit etwa 2015 sind großformatige Porträts von Opfern am Haus angebracht.
Nicht weit von dem Haus gibt es ein Denkmal, das 2006 auf Initiative einer amerikanischen Organisation errichtet wurde.
2010 wurde neben dem Grab der Opfer am jüdischen Friedhof ein neues Denkmal eingeweiht. Es besteht aus einer zerbrochenen Granitplatte, deren Bruchlinien einen Davidstern ergeben. Für die Realisierung des Denkmals und die Pflege des Friedhofs zeichnet die Jan-Karski-Gesellschaft (polnisch: Stowarzyszenie im. Jana Karskiego) verantwortlich.
2016 wurde der 70. Jahrestag des Pogroms in Anwesenheit des polnischen Präsidenten Andrzej Duda begangen.

Angebote

Führungen am jüdischen Friedhof

Öffnungszeiten

Die Denkmäler im Stadtgebiet sind jederzeit zugänglich. Ein Besuch des jüdischen Friedhofs lässt sich durch die Jan-Karski-Gesellschaft (Stowarzyszenie im. Jana Karskiego) organisieren. Weitere Informationen unter www.jankarski.org.pl/kontakt

Kontakt

http://en.jankarski.org.pl/

bogdan.bialek@charaktery.com.pl

+48 (0) 41 343 28 40

ul. Planty 7
25-508 Kielce