Erinnerung an die ermordeten Juden von Borissow

Память убитых евреев Борисова / Памяць забітых яўрэяў Барысава


In Borissow erinnern ein Denkmal an der Massenerschießungsstätte und ein Gedenkstein am ehemaligen Eingang zum Ghetto an die Juden, die 1941 in der Stadt ermordet wurden.

Geschichte

Borissow (belarussisch: Baryssau), an den Ufern der Beresina etwa 70 Kilometer nordwestlich von Minsk gelegen, wurde 1102 gegründet. Juden lebten dort ab dem 16. Jahrhundert. 1939 zählte die Stadt rund 10.000 jüdische Einwohner, was etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach. Ihre Zahl stieg nach Ausbruch des Krieges durch jüdische Flüchtlinge aus dem deutsch-besetzen Teil Polens.
Die deutsche Wehrmacht besetzte die Stadt am 2. Juli 1941. Vier Tage später mussten alle jüdischen Einwohner Borissows in ein Ghetto im Norden der Stadt umsiedeln. 170 Juden, die sich dem Befehl widersetzten, wurden erschossen. Die Lebensumstände im Ghetto waren katastrophal. Viele starben an Hunger und Krankheiten. Ein Teil der Ghettoeinwohner musste Zwangsarbeit verrichten.
Ende September 1941 trafen Mitglieder des Einsatzkommandos 8 unter SS-Hauptsturmführer Werner Schönemann in Borissow ein und erschossen mehrere Juden, denen sie Sabotage vorwarfen. Es folgten weitere »Aktionen«.
Am 19. Oktober 1941 gab SS-Obersturmführer Rudolf Schlegel von Minsk aus den Befehl zur Vernichtung des Ghettos. Ein Teil der jüdischen Zwangsarbeiter wurde zuvor nach Minsk deportiert. Im Morgengrauen des nächsten Tages trieben deutsche SS-Männer, gemeinsam mit belarussischen Polizisten und lettischen Hilfskräften zunächst die jüdischen Männer zu Gruben in der Nähe der Stadt, die Kriegsgefangene Anfang des Monats hatten ausheben müssen. Dort wurden sie erschossen. Anschließend folgten jüdische Frauen und Kinder. Am nächsten Tag erschossen die Deutschen alle Juden, die sich bis dahin vor den Erschießungen hatten retten können. An diesen beiden Tagen wurden über 7.000 Juden ermordet.
Beim Versuch, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen, zwang die SS im Oktober 1943 im Rahmen der »Aktion 1005« eine Gruppe von Kriegsgefangenen, die Massengräber zu öffnen und die Leichen zu verbrennen. Danach wurden die Kriegsgefangenen erschossen.

Opfergruppen

Bei der Einrichtung des Ghettos am 25. Juli 1941 erschossen die Deutschen über 170 Juden, die sich der Umsiedlung widersetzt hatten. Zuvor hatte es bereits Einzelerschießungen gegeben. Es folgten weitere »Aktionen«. Die Einsatzgruppe B meldete am 15. Oktober 1941, sie habe bis dahin 7.620 Juden im Gebiet Borissow »liquidiert«. Neben Juden erschossen Männer des Einsatzkommandos 8 auch Gefangene aus Bevölkerungsgruppen, die sie als minderwertig ansahen, zum Beispiel Mongolen und Usbeken.
Im Ghetto starben viele der bis zu 9.000 jüdischen Einwohner an Hunger und Krankheiten. Am 20. und 21. Oktober 1941 wurde das liquidiert und seine Einwohner, über 7.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer, ermordet. Die SS-Männer wurden dabei durch lokale belarussische sowie durch lettische Polizisten unterstützt.
In Borissow befanden sich nach der Ermordung der jüdischen Bevölkerung der Stadt mehrere Zwangsarbeitslager, in die auch Juden aus anderen Gebieten verschleppt wurden. Während ihres Rückzugs im Juni 1944 verschleppten die Deutschen etwa 1.400 Lagerinsassen in westlicher gelegene Lager. 900 Gefangene erschossen sie vor ihrem Rückzug auf der Stelle, darunter auch Juden.
Nach Angaben der sowjetischen Außerordentlichen Kommission, die nach der Befreiung die Verbrechen der Nationalsozialisten vor Ort untersuchte, wurden in Borissow insgesamt etwa 9.000 Juden ermordet.

Erfahre mehr über Belarus

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 und dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen kam der Nordosten des Landes zu Belarus als Teil der Sowjetunion. Im Sommer 1941 wurde dann ganz Belarus von deutschen Truppen erobert. Während der folgenden drei Jahre kam jeder vierte oder gar jeder dritte Einwohner gewaltsam ums Leben. Fast alle Städte des Landes wurden völlig zerstört. Wehrmacht oder SS brannten etwa 620 Dörfer, darunter Chatyn, systematisch samt ihren Einwohnern nieder. Malyj Trostenez, nahe der belarussichen Hauptstadt Minsk, war die größte Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der besetzten Sowjetunion. Heute nimmt man an, dass mindestens 60.000 deutsche und einheimische Juden dort ermordet wurden. Für Minsk wird die Zahl der getöteten Juden auf bis zu 85.000 geschätzt, für das gesamte Gebiet auf 230.000. Belarus bildete von 1941 an mit über tausend aktiven Gruppen ein Hauptgebiet des sowjetischen Partisanenkampfes gegen die deutschen Besatzer. Ab Ende 1943 wurde das Land von der Roten Armee zurückerobert und galt im Sommer 1944 als vollständig von der deutschen Besatzung befreit. Das Land war weitestgehend verwüstet, das gesellschaftliche Gefüge erschüttert und die Menschen traumatisiert. Belarus gehörte ab 1944 wieder zur Sowjetunion. Ein großer Teil der 1939 einverleibten polnischen Gebiete blieben Teil des Landes. In der staatlichen Erinnerungs- und Denkmalkultur des Landes dominierten nach Kriegsende der Tag der Befreiung des Landes am 3. Juli 1944 und der Tag des Sieges am 9. Mai 1945 als Ende eines »heldenhaften« Kampfes im Großen Vaterländischen Krieg. Von zentraler Bedeutung war stets auch die Erinnerung an den Partisanenkrieg. Im sowjetischen Staatsverband verzichtete man auf eine eigenständige Nennung des Massenmords an den Juden. Daher stellt ein Obelisk in der Erschießungsgrube am ehemaligen Minsker Ghetto, der »Jama«, eine Besonderheit auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion dar. Er wurde bereits 1946 errichtet und blieb für Jahrzehnte das einzige Denkmal mit einer jiddischen Aufschrift und direkter Nennung der ermordeten Juden. Ungewöhnlich ist auch die Erinnerungsstätte in Chatyn, wo im März 1943 153 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt worden waren. 1969 entstanden, zeichnet sie sich durch Schlichtheit aus und verzichtet auf die sonst übliche Monumentalität, es stehen die menschliche Dimension des Grauens und das Leid der Opfer im Vordergrund. Mit der Schaffung eines unabhängigen belarussischen Staates 1991 begann die Suche nach einer eigenen nationalen Identität. Hierbei spielen die Opferzahlen – insbesondere während des Zweiten Weltkrieges – eine entscheidende Rolle. Bewusst wird allerdings eine Unterscheidung zwischen dem Gebietstand vor und nach 1939 vermieden. Die Verbrechen der Stalinzeit, aber auch der Holocaust rückten ebenso in das Blickfeld, wurden aber aufgrund der vorhandenen Regierungsform nicht weitergehend öffentlich gemacht. Das staatliche Gedenken, das seinen Ausdruck auch im 2014 eröffneten, monumentalen Neubau des Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges findet, bleibt vom Kampf in den Jahren 1941 bis 1944 geprägt. Zugleich hat jedoch der Verband der jüdischen Gemeinden in Belarus inzwischen eine Reihe von Denkmälern für die Opfer des Massenmordes errichten lassen. Seit Anfang der 1990er Jahre haben mehrere deutsche Städte Stelen im Gedenken an die dorthin deportierten und getöteten Juden in Minsk errichtet; das Berliner Erinnerungszeichen wurde – vom Land Berlin und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas finanziert – am 25. Juni 2009 feierlich eingeweiht. Auch eine würdige Gestaltung des Areals von Malyj Trostenez geht voran: seit 2015 erinnert eine Gedenkanlage an die Opfer. Ein zweiter Bauabschnitt wurde 2018 im Beisein der Staatspräsidenten Deutschlands, Österreichs und von Belarus eröffnet. An der Realisierung beteiligte sich auch die Bundesrepublik finanziell, wie auch an der Renovierung der Geschichtswerkstatt, die sich in einem historischen Gebäude auf dem Gebiet des ehemaligen Minsker Ghettos um die Dokumentation von Opferschicksalen kümmert.

Erinnerung

Die Rote Armee befreite Borissow am 1. Juli 1944. Befreit wurden auch etwa 50 Juden, die in Borissow im Versteck überlebt hatten.
Bereits 1947 stellten Verwandte der Opfer am Ort der Massenerschießung ein Denkmal in Form eines Obelisken auf. An seiner Spitze befand sich eine stilisierte Flamme. Das Denkmal hatte ursprünglich eine jiddische Inschrift, diese wurde jedoch in den 1950er Jahren entfernt und durch eine russische ersetzt, in der nicht mehr von Juden, sondern von »sowjetischen Bürgern« als Opfern die Rede war. 1995 wurde zum Denkmal eine Menora hinzugefügt. Seit 1991 organisiert die Gemeinschaft der jüdischen Geschichte und Kultur »Swet Menory« die Gedenkveranstaltungen für die ermordeten Juden Borissows. Derselbe Verein engagierte sich auch 2004 für die Wiederinstandsetzung des Denkmals.
Im Norden der Stadt befinden sich das Gebäude der ehemaligen Großen Synagoge und der nicht mehr betriebene jüdische Friedhof. Die Synagoge wurde 1912 erbaut und in den 1920er Jahren durch die Sowjetmacht teilweise zerstört. Zwar wurde das Gebäude in den 1960er Jahren wieder restauriert, sie wurde jedoch nie mehr als Synagoge genutzt und 2015 versteigert. Die kleinere Hevre-Telihim-Synagoge wird auch heute als Gotteshaus benutzt.
In der Nähe befindet sich auch ein Gedenkstein beim ehemaligen Eingang zum Ghetto. Dort befindet sich die folgende russische Inschrift: »Hier befand sich vom 27. August bis 20. Oktober 1941 das Eingangstor zum Ghetto, den letzten Aufenthaltsort der 9.000 Märtyrer – Genozidopfer«.
In der Urizkogo-Straße erinnert eine Tafel mit belarussischer Inschrift an die Mitarbeiter der ehemaligen Kinderheimes, die dort von 1941 bis 1944 jüdische Kinder versteckten. In dem Gebäude befindet sich auch heute ein Kindergarten.
Heute hat Borissow etwa 1.000 jüdische Einwohner.

Öffnungszeiten

Die Denkmäler sind jederzeit zugänglich.

Kontakt

Denkmal am Ort der Massenerschießung: ul. Lopatina / vul. Lapazina 172
222120 Borissow