In Tschernobyl (ukrainisch: Tschornobyl) erinnert ein Denkmal auf dem alten jüdischen Friedhof an die ermordeten Juden der Stadt und Umgebung.
Tschernobyl, etwa 94 Kilometer nördlich von Kiew gelegen, wurde 1193 das erste Mal schriftlich erwähnt. Die jüdische Gemeinde wurde im späten 17. Jahrhundert gegründet. Ende des 19. Jahrhunderts waren von etwa 9.400 Einwohnern über 5.500 Juden. Menahem Nahum von Tschernobyl (1730–1787) gründete hier eine der berühmtesten chassidischen Dynastien, die Twerski-Dynastie. Am 1. April 1919, während des Bürgerkrieges, ermordeten Mitglieder der Weißen Armee etwa 150 Juden in Tschernobyl. Danach verließen die Twerski-Familien die Stadt.
1916 gründete ein Rabbiner die erste chassidische religiöse Schule in Tschernobyl. Sie wurde wenige Jahre später von den von sowjetischen Behörden geschlossen und zu einer säkularen jiddischen Schule umgewandelt. Einige jüdische Familien gründeten eine Kolchose, die sie »Nae Welt« nannten. Jiddisch blieb bis 1937 eine anerkannte Verwaltungssprache, danach wurden alle jüdischen Institutionen geschlossen.
Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges lebten etwa 1.780 Juden in der Stadt, was etwa einem Fünftel der Bevölkerung entsprach.
Am 25. August 1941, zwei Monate nach dem Angriff auf die Sowjetunion, besetzte die deutsche Wehrmacht die Stadt. Juden wurden zur Zwangsarbeit gezwungen und mussten Kennzeichnung tragen. Am 19. November 1941 trieben ukrainische Schutzpolizisten alle Juden auf dem Hof der jüdischen Kolchose zusammen. Unter der Aufsicht deutscher Einheiten wurden die Juden weiter zum Friedhof im Westen der Stadt getrieben. Dort erschossen die deutschen Einheiten alle Juden, während die Schutzpolizisten das Gebiet abriegelten. Die Leichen wurden an Ort und Stelle verscharrt. In den folgenden Wochen fingen die Deutschen und ihre Helfer alle Juden ein, die sich vor der »Aktion« hatten retten können und erschossen sie. Die jüdische Gemeinde von Tschernobyl war ausgelöscht.
Mitglieder der deutschen Einheiten ermordeten während der »Aktion« am 19. November 1941 mithilfe der lokalen Schutzpolizei etwa 400 bis 450 Juden. Anfang Dezember ermordeten sie weitere zwanzig Juden, die der Mordaktion zuvor entkommen konnten.
Erfahre mehr über Ukraine
Die Rote Armee befreite Tschernobyl am 28. September 1943. Nach dem Krieg kehrten einige Juden, die vor der Ankunft der Wehrmacht die Stadt verlassen konnten, wieder nach Tschernobyl zurück. 1970 lebten noch etwa 150 Juden in Tschernobyl.
Wenige Tage nach der Nuklearkatastrophe im nahegelegenen Atomkraftwerk am 26. April 1986 wurden alle Einwohner Tschernobyls evakuiert. Obwohl die Stadt heute im 30 Kilometer weiten Sperrgebiet liegt, leben dort wieder einige hundert überwiegend ältere Menschen. Eine jüdische Gemeinde existiert nicht mehr.
Anfang des 20. Jahrhunderts unterhielt die jüdische Gemeinde fünf Synagogen und ein Gebetshaus. Heute ist nur noch die Fassade einer der Synagogen erhalten. Das Gebäude wurde in der Sowjetzeit als Rekrutierungsstelle für die Armee genutzt.
Der alte jüdische Friedhof ist bis auf zwei Ruhestätten der Twerski-Dynastie nicht mehr erhalten. Auf dem Gelände befand sich bis 1986 eine Schule. Das jüdische Gemeindehaus »Kahal« beherbergte in der Sowjetzeit das Kulturzentrum der Stadt.
Der zweite jüdische Friedhof, auf dem sich auch das Holocaustdenkmal befindet, liegt am westlichen Stadtrand. Das Denkmal wurde nach dem Krieg von Angehörigen errichtet. Auf der verblichenen Gedenktafel ließen sich noch vor kurzem das Datum der Massenerschießung und die hebräische Inschrift erkennen. Heute ist das Denkmal neu angestrichen und die Inschrift übermalt.
Um die Erinnerung an die jüdische Gemeinde aus Tschernobyl kümmern sich bis heute vor allem Angehörige der Twerski-Dynastie und andere chassidische Juden. In ihrer Tradition nimmt die Stadt bis heute einen hohen Stellenwert ein.
Das Denkmal befindet sich im 30 Kilometer weiten Sperrgebiet, das Besucher nur mit Passierschein besuchen dürfen.
redactor@chornobyl.in.ua