Erinnerung an die ermordeten Juden von Rawa-Ruska

Меморіал жертвам Голокосту у Рава-Руської


In Rawa-Ruska erinnert seit 2015 eine Gedenkstätte in der Nähe des ehemaligen Neuen Jüdischen Friedhofs an die Juden, die dort zwischen 1941 und 1944 von deutschen Einheiten erschossen oder im Vernichtungslager Belzec ermordet wurden.

Geschichte

Rawa-Ruska, in unmittelbarer Nähe zur polnischen Grenze in der historischen Region Galizien gelegen, gehörte bis zum Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn. In der Zwischenkriegszeit gehörte die Stadt zu Polen. Bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs stellten Juden die Mehrheit der Bevölkerung, die übrigen Einwohner waren vor allem Ukrainer und Polen.
Nach ihrem Angriff auf Polen besetzte zuerst die deutsche Wehrmacht das Gebiet am 10. September 1939 und ergriff erste antijüdische Maßnahmen. Gemäß einer deutsch-sowjetischen Vereinbarung zogen die Deutschen jedoch zwei Wochen später aus dem Gebiet ab, das nun unter sowjetische Herrschaft kam. Unter den Bedingungen der sowjetischen Diktatur verloren viele Juden ihre Lebensgrundlage.
Kurz nach dem Überfall auf die Sowjetunion besetzte die deutsche Wehrmacht im Juni 1941 erneut Rawa-Ruska. Zu diesem Zeitpunkt lebten etwa 7.400 Juden im Ort. Viele von ihnen starben im anschließenden Winter an den Folgen der schlechten Lebensbedingungen, die durch antijüdische Vorschriften noch der neuen Besatzer noch verschärft wurden.
Zwischen Mitte März und Ende Juli 1942 ermordete die SS mindestens 2.200 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Rawa-Ruska im nur 22 Kilometer entfernten Vernichtungslager Belzec.
Im September 1942 richteten die deutschen Besatzer ein Ghetto in Rawa-Ruska ein. Fortan mussten etwa 11.000 Juden auf engstem Raum zusammenleben. Die menschenunwürdigen Zustände führten zu Hunger und Krankheiten.
Zwischen dem 7. und 11. Dezember 1942 lösten SS und Polizei das Ghetto mit Unterstützung von ukrainischen Hilfspolizisten auf. Fast alle Bewohner des Ghettos wurden bei dieser »Aktion« ermordet: Die Opfer wurden entweder bei Rawa-Ruska erschossen oder in das Vernichtungslager Belzec verschleppt und dort mit Giftgas erstickt. Nur wenige hundert arbeitsfähige Juden blieben zunächst verschont. Im Juni 1943 wurden auch diese letzten Juden von Rawa-Ruska im Wald Borowe erschossen.

Opfergruppen

Während der Auflösung des Ghettos von Rawa-Ruska zwischen 7. und 11. Dezember 1942 verschleppten SS und Polizei 2.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer in das Vernichtungslager Belzec. Tausende andere brachten sie mit Lastkraftwagen an bereits ausgehobene Gruben im nahegelegenen Wald Sedlyska und erschossen sie dort. Weitere 2.000 Juden ermordeten sie in unmittelbarer Nähe zum Neuen Jüdischen Friedhof am Stadtrand. Etwa 1.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden im Ghetto selbst erschossen und entweder im Massengrab nahe dem Neuen Jüdischen Friedhof oder einem anderen Massengrab auf dem Friedhof verscharrt. Im Juni 1943 wurden die letzten Juden von Rawa-Ruska erschossen.

Erfahre mehr über Ukraine

Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden. Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen. Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.

Erinnerung

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Rawa-Ruska wieder zur Ukrainischen Sowjetrepublik. Bis auf eine Person kehrten keine Juden mehr nach dem Krieg in die Stadt zurück.
Vom Alten Jüdischen Friedhof sind fast keine Spuren erhalten, da die deutschen Besatzer 1942 die Juden zwangen, ihn zu zerstören und die Grabsteine für den Straßenbau zu zerkleinern. Auch an den Neuen Jüdischen Friedhof erinnern nur wenige Grabsteine, er wurde während der sowjetischen Zeit weitgehend zerstört. Es blieb lediglich ein zwei Meter hoher Pfahl mit einem kleinen Davidstern erhalten.
Im Rahmen des internationalen Projektes »Protecting Memory« errichtete das American Jewish Committee Berlin mit Unterstützung des deutschen Auswärtigen Amtes neue Gedenkorte am ehemaligen Neuen Jüdischen Friedhof und an der Erschießungsstätte. Die Eröffnung fand im Frühsommer 2015 statt.
Das Massengrab ist von einem etwa 80 Zentimeter hohen Zaun umgeben. Einen zusätzlichen Schutz gewährt eine Schicht heller Steine, die die Fläche bedeckt. Nahe dem Eingangsbereich befindet sich ein schlichter Pavillon mit einem Gedenkstein. In unmittelbarer Nähe informiert eine Stele über die Geschichte der Juden von Rawa-Ruska.
Aus den Grabsteinen, die zuvor auf einen Haufen geworfen und von Vegetation überwuchert waren, wurde zwischen dem Friedhofsgelände und dem Massengrab eine »Mauer der Erinnerung« gebaut. Diese Steinmauer wurde beinahe an der gleichen Stelle errichtet, wo sich einst der Eingang zum Friedhof befand.

Öffnungszeiten

Der Gedenkort ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

http://www.protecting-memory.org/de/memorial-sites/rawa-ruska/

uhcenter@holocaust.kiev.ua

+380 (044) 285-90-30

22 Сiчня вяулиця
80316 Rawa-Ruska