Erinnerung an die ermordeten Juden von Plyskiw

Меморіали жертвам Голокосту у Плискові


In der ukrainischen Kleinstadt Plyskiw erinnern Denkmäler an zwei ehemaligen Standorten von Massenerschießungen von Juden an die Opfer.

Geschichte

Plyskiw ist eine Kleinstadt, 55 Kilometer nordöstlich von Winnyzja gelegen. 1897 waren fast die Hälfte der etwa 4.000 Einwohner Plyskiws Juden. 1919 und 1920 gab es mindestens fünf gezielte Angriffe auf Juden: die Täter waren je nach Frontverlauf ukrainische Nationalisten, marodierende polnische Truppen oder Angehörige der Roten Armee. 1926 war nur noch etwa ein Drittel der Einwohner Juden, und ihre Zahl fiel bis 1939 auf weniger als ein Viertel, da viele Juden in Großstädte umzogen.
Die deutsche Wehrmacht besetzte Plyskiw am 23. Juli 1941. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich etwa 600 Juden dort auf, etwa 300 Juden gelang es zuvor zu fliehen oder sich der Roten Armee anzuschließen. Die Deutschen stellten eine ukrainische Polizeieinheit auf, Juden mussten Zwangsarbeit leisten.
Ende August oder Anfang September 1941 erschossen Männer des Einsatzkommando 5 der Einsatzgruppe C 20-25 junge jüdische Männer an einem unbekannten Ort. Vermutlich am 8. September wurde eine weitere Gruppe von 20-25 Juden erschossen.
Am 22. Oktober erschossen deutsche Einheiten etwa 500 Juden, also die große Mehrheit der in Plyskiw lebenden Juden, im Wald nördlich der Stadt bei einem Tierkadaverfriedhof. Zuvor hatten deutsche und ukrainische Polizisten zwei Tage lang jüdische Häuser geplündert. Es kam zu Gewaltexzessen: zahlreiche Juden wurden totgeschlagen, Frauen und Mädchen vergewaltigt.
Am nächsten Tag ging das Morden weiter: mindestens 120 Juden wurden im Hof des ehemaligen Gebäudes des sowjetischen Innenministeriums NKWD erschossen.
Danach lebten noch einige hundert Juden, viele davon von außerhalb der Stadt, in einem überfüllten Ghetto in Plyskiw. Am 27. Mai 1942 wurden die meisten von ihnen, insgesamt 360 Juden aus Plyskiw, Dzjunkiw und Spytschynzi, im Wald ermordet. Die Täter waren vermutlich Angehörige der in Winnyzja stationierten deutschen Sicherheitspolizei.

Opfergruppen

Zwischen Spätsommer 1941 und Frühjahr 1942 gab es mehrere Mordaktionen gegen Juden in Plyskiw. Insgesamt ermordeten deutsche Einheiten etwa 1.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer in Plyskiw.

Erfahre mehr über Ukraine

Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden. Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen. Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.

Erinnerung

Den Holocaust überlebten nur etwa 16 Juden in und um Plyskiw. Nach der Befreiung der Stadt durch die Rote Armee im Januar 1944 ermittelte eine sowjetische Untersuchungskommission in der Stadt, doch ihre Ergebnisse blieben vage und widersprüchlich. Weder bei der Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg, noch bei späteren Verfahren in Westdeutschland wurden Täter jemals explizit wegen Verbrechen in Plyskiw zur Verantwortung gezogen.
In sowjetischer Zeit entstanden an zwei Orten Erinnerungszeichen für die jüdischen Opfer. Vermutlich 1976 wurde ein Denkmal am Ort der großen Massenerschießungen im Wald errichtet. Der Obelisk trug einen fünfzackigen Stern und eine russische Inschrift, die jedoch nicht auf die jüdische Identität der Opfer hinwies. Das zweite Erinnerungszeichen entstand am Standort der Massenerschießung vom 23. Oktober 1941, wo der vermutete Standort eines Massengrabs umzäunt wurde. Bis auf den Zaun deutete nichts auf die hier verübten Verbrechen hin.
Im Rahmen des Projekts »Erinnerung bewahren«, das bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin angesiedelt ist, wurden 2016/17 an beiden Standorten nicht-invasive archäologische Untersuchungen durchgeführt. An beiden Orten konnte dadurch die Anwesenheit von Massengräbern wissenschaftlich bestätigt werden. Als nächster Schritt entstanden im Rahmen von »Erinnerung bewahren« neue Denkmäler und Informationsstelen an den beiden Orten, die im September 2019 feierlich eingeweiht wurden.

Öffnungszeiten

Die Denkmäler sind jederzeit zugänglich.

Kontakt

https://netzwerk-erinnerung.de/places/plyskiw/

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