In der Industriestadt Mariupol und in ihrem Vorort Agrobaza befinden sich zwei Denkmäler, die an die über 9.000 Juden erinnern, die dort im Oktober 1941 erschossen wurden.
Mariupol, im Südosten der Ukraine an den Ufern des Asowschen Meeres gelegen, wurde 1789 gegründet und erhielt ihren Namen durch griechische Einwanderer aus der Krim. Juden siedelten ab Mitte des 19. Jahrhunderts in der Stadt, die sich zu einem industriellen Zentrum entwickelte. 1939 wurden 10.444 Juden in Mariupol gezählt, was etwa fünf Prozent der Einwohner entsprach. Am 8. Oktober 1941 besetzten deutsche Truppen die Stadt. Viele Juden konnten zuvor in den Osten fliehen. Gleichzeitig waren viele jüdische Flüchtlinge aus dem Westen der Ukraine in der Stadt. Die deutsche Militärverwaltung organisierte eine ukrainische Schutzpolizei und eine lokale Stadtverwaltung, die aktiv an der Verfolgung der Juden teilnahm. Gleich in den ersten beiden Tagen nach Besetzung der Stadt setzten die Besatzer eine Kennzeichnung für Juden durch und ermordeten etwa dreißig männliche Zivilisten, darunter auch Juden. Zwei Tage später zwangen sie die Juden, sich zu registrieren. Auf diese Weise wurden etwa 9.000 Juden erfasst. Am 18. Oktober 1941 zwangen sie die jüdischen Einwohner, sämtliche Wertsachen abzugeben und sich am Platz vor der Technischen Universität mit Proviant und Kleidung zu versammeln unter dem Vorwand, dass sie umgesiedelt würden. Die Juden harrten zwei Tage lang in Kasernen am Sammelpunkt aus, bevor die Deutschen und ihre einheimischen Helfer sie zu Fuß oder mit Kraftfahrzeugen zum etwa 6 Kilometer weiten Vorort Agrobaza brachten. Das Sonderkommando 10a und die Leibstandarte SS Adolf Hitler erschoss die jüdischen Kinder, Frauen und Männer in Panzergräben, beaufsichtigt vom SS-Obersturmführer Heinz Seetzen (1906-1945), der sich ebenfalls am Morden beteiligte. In den darauffolgenden Tagen wurden an gleicher Stelle über 1.000 weitere Juden erschossen. Die Einsatzgruppe D erklärte die Stadt am 31. Oktober 1941 für »judenfrei«.
Die Angaben zu den Opferzahlen schwanken zwischen 8.000 und 15.000. Dem Bericht der deutschen Ortskommandantur vom 29. Oktober 1941 zufolge wurden am 20. und 21. Oktober 8.000 Juden ermordet. Die offizielle sowjetische Untersuchungskommission gab die Zahl der Opfer nach dem Ende der Besatzung mit 15.000 an.
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Einige Juden konnten sich mithilfe der nicht-jüdischen Bevölkerung vor der Ermordung retten. Manche folgten den Partisanen, während es anderen gelang die Frontlinie zu durchqueren, so auch Sarra Glejch, die sich aus dem Massengrab retten konnte. Die nach ihrer Flucht entstandenen Aufzeichnungen sind heute im Archiv der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem aufbewahrt.
Mariupol wurde am 10. September 1943 durch die Rote Armee befreit. 1949 wurde an der Stelle der Massenerschießung im Ort Agrobaza ein Obelisk errichtet, der an die »Opfer des Faschismus« erinnerte. Dass es sich bei den Opfern um Juden handelte, wurde am Denkmal nicht erwähnt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sammelte die Jüdische Gemeinde Mariupols Informationen über die Opfer und die Massenerschießung und regte die Errichtung zweier Denkmäler an. Am 8. Mai 1996 wurde am Platz vor der Technischen Universität, wo sich die Juden vor ihrer Ermordung sammeln mussten, eine Gedenktafel mit einem Relief enthüllt. Zwei Jahre später wurde am Ort der Massenerschießung in Agrobaza eine Menorah aus Stein aufgestellt. Auf dem Denkmal ist ein Zitat aus der hebräischen Bibel eingraviert.
2001 zählte die jüdische Gemeinde etwa 1.800 Mitglieder bei insgesamt 510.835 Einwohnern.
Wegen ihrer strategischen Lage wurde Mariupol bereits seit 2014 mehrmals Ziel von russischen Angriffen. Im Zuge des russischen Angriffskrieges wurde die Stadt im Frühjahr 2022 weitgehend zerstört und ist seitdem unter russischer Besatzung. Auch die Synagoge der jüdischen Gemeinde wurde im März 2022 zerstört, vermutlich bei einem russischen Raketenangriff.
Die Gedenkstätte ist jederzeit zugänglich.
jewishmariupol@gmail.com
+380 (0629)412 040
ul. Universitetska 7
87500 Mariupol