Erinnerung an die ermordeten Juden von Dnipro

Пам'ять вбитих євреїв Дніпра


In der Industriestadt Dnipro (bis 2016 Dnepropetrowsk, ukrainisch: Dnipropetrowsk) erinnern mehrere Denkmäler an die über zehntausend Juden, die während der deutschen Besatzung von 1941 bis 1943 von SS-Einsatzgruppen erschossen wurden.

Geschichte

Dnipro, die bis 2016 Dnepropetrowsk (ukrainisch: Dnipropetrowsk) hieß, liegt 400 Kilometer südöstlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew an beiden Ufern des Dnepr. Bis 1926 hieß die Stadt Jekaterinoslaw. Kurz nach der Stadtgründung durch Katharina die Große im 18. Jahrhundert siedelten sich dort auch Juden an. Die Stadt entwickelte sich bis Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer bevölkerungsreichen Industriestadt, die besonders für Metallverarbeitung bekannt war. Auch mehr und mehr Juden zogen in die Stadt: Mit einer großen jüdischen Gemeinde und vielen jüdischen Schulen, Gebetshäusern und Vereinen war Jekaterinoslaw/Dnepropetrowsk ein bedeutendes Zentrum jüdischer Kultur in der Region und blieb es auch in der sowjetischen Zeit. 1939 waren von den insgesamt 526.000 Einwohnern der Stadt etwa 89.000 Juden.
Vor der Einnahme der Stadt durch die deutsche Wehrmacht am 25. August 1941 konnten hunderttausende Einwohner fliehen oder wurden von den sowjetischen Behörden evakuiert, auch bis zu 60.000 Juden verließen die Stadt. So befanden sich beim Einmarsch der Wehrmacht nur noch etwa die Hälfte der Einwohner in Dnepropetrowsk, unter ihnen 30.000 bis 35.000 Juden. Zusammen mit der Wehrmacht rückten Verbände der SS-Einsatzgruppe C ein. Bereits im September 1941 erschossen deren Angehörige über 170 Juden. Nachdem die Juden von Dnepropetrowsk im Oktober 1941 noch horrende finanzielle Abgaben an die Besatzungsbehörden leisten mussten, befahl der Höhere SS- und Polizeiführer Jeckeln allen Juden sich am 13. Oktober an einem großen Kaufhaus zu sammeln. Von dort brachten Angehörige des Polizeibataillons 314 und ukrainische Hilfspolizisten die jüdischen Männer, Frauen und Kinder zum Botanischen Garten, wo sie sie erschossen. Einen Teil der Juden erschossen die Mörder auch auf dem alten jüdischen Friedhof. Insgesamt wurden vom 13. bis 14. Oktober 1941 etwa 12.000 Juden aus Dnepropetrowsk erschossen. Am 19. Oktober 1941 meldete die Wehrmacht die »Judenfrage« in der Stadt Dnepropetrowsk »als im wesentlichen gelöst«.

Opfergruppen

Die genaue Zahl der jüdischen Opfer in Dnepropetrowsk ist nicht bekannt. Im Sommer 1943 versuchte die SS mit einem sogenannten Sonderkommando 1005 die Spuren der Massenmorde zu verwischen: Jüdische Zwangsarbeiter mussten die Massengräber von 1941 ausheben und die Leichen verbrennen. Die Täter selbst gaben in ihren Berichten an, etwa 15.000 Juden aus Dnepropetrowsk ermordet zu haben. Im Oktober 1943 befreite die Rote Armee die Stadt.

Erfahre mehr über Ukraine

Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden. Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen. Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.

Erinnerung

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrten viele Juden nach Dnepropetrowsk zurück oder zogen dort hin. 1970 lebten wieder etwa 70.000 Juden in der Stadt, es gab jedoch nur eine Synagoge. Sie war gleichzeitig die einzige jüdische Einrichtung in Dnepropetrowsk. In den 1970er und 1980er Jahren wanderten immer mehr Juden nach Israel aus.
Mehrere, zu unterschiedlichen Zeiten aufgestellte Denkmäler erinnern an die ermordeten Juden von Dnipro. Die erste Gedenktafel stellten jüdische Rotarmisten unmittelbar nach der Befreiung der Stadt auf; in hebräischen und russischen Inschrift war darauf ausdrücklich von jüdischen Opfern die Rede. Wenig später wurde diese Tafel entfernt, da sie nicht zur offiziellen sowjetischen Propaganda passte, die den systematischen Völkermord an den Juden verschwieg. Stattdessen gedenkt eine Stele im Juri Gagarin Park nahe des Botanischen Gartens »der Opfer des Faschismus«. Erst nach der Unabhängigkeit der Ukraine konnte eine Stele errichtet werden, die von jüdischen Opfern spricht; sie steht ebenfalls in der Nähe und hat eine hebräische und eine ukrainische Inschrift.
Auf dem neuen jüdischen Friedhof befindet sich ein weiteres Denkmal aus der Sowjetzeit: Eine ausgemergelte Figur aus Metall erhebt eine Hand zum Himmel und lässt aus ihr einen Vogel fortfliegen. Auch hier werden die Opfer nicht als Juden, sondern als »friedliche Bürger« bezeichnet.
2009 errichtete die jüdische Gemeinde ein Denkmal im Pyssarschewskyj-Park, dem ehemaligen alten jüdischen Friedhof.
2012 eröffnete in Dnipro das nach eigenen Angaben größte jüdische Kulturzentrum der Welt. Das aus fünf Türmen bestehende Ensemble namens »Zentrum Menorah« wurde um eine alte Synagoge herum gebaut. Das Zentrum, das vor allem aus Spenden zweier ukrainischer Geschäftsmänner entstand, beherbergt unter anderem ein Hotel, ein Kongresszentrum und ein »Museum jüdischer Erinnerung und Holocaust in der Ukraine«.

Angebote

Führungen

Öffnungszeiten

Die Denkmäler sind jederzeit zugänglich.
»Museum jüdischer Erinnerung und Holocaust in der Ukraine«: dienstags, donnerstags und sonntags 10.00 bis 19.00

Kontakt

http://tkuma.dp.ua/

tkuma@tkuma.com

+38 056 452 2163

ul. Sholom Aleykhem 4
49000 Dnipro