In Siófok, der größten Stadt am Plattensee, werden auf einem Denkmal »für die Opfer des Zweiten Weltkrieges« die Namen Siófoker Opfer genannt. Die meisten Namen gehören dabei Juden, die 1944 nach Auschwitz deportiert wurden.
Geschichte
Siófok, an der südöstlichen Ecke des Plattensees gelegen, ist die größte Stadt und das wichtigste touristische Zentrum am See. Auch die Geschichte der jüdischen Gemeinde war eng mit der Entwicklung Siófoks zum Erholungsort verbunden: Zwischen 1840 und 1880 wuchs die Zahl der Juden von 8 auf 531 an. Die jüdische Gemeinde wurde 1862 gegründet, 1869 weihte sie eine Synagoge ein. Bei der Spaltung des ungarischen Judentums im selben Jahr entschied sich die Gemeinde für die neologe Richtung.
Der zunehmende Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit war auch in Siófok spürbar. 1938 hielten deutsche Touristen eine judenfeindliche Kundgebung ab. 1940 wurden Ferienhäuser, die Juden gehörten, beschlagnahmt und unter Christen verteilt. Dutzende Männer wurden nach Ausbruch des Krieges zum Arbeitsdienst bei der ungarischen Armee einberufen.
Als im März 1944 die deutsche Wehrmacht in Ungarn einmarschierte, lebten noch etwa 300 Juden in Siófok. 80 von ihnen wurden im April nach Mauthausen verschleppt, weitere 85 zur Zwangsarbeit verpflichtet. Am 29. Juni 1944 verschleppte die ungarische Gendarmerie alle in der Stadt verbliebenen 197 Juden in das 40 Kilometer entfernte Ghetto von Wesprim (ungarisch: Veszprém). Von dort wiederum kamen sie in ein Sammellager im westungarischen Kotenburg (Sárvár), dem Ausgangspunkt ihrer anschließenden Deportation nach Auschwitz-Birkenau.
Opfergruppen
Etwa 60 jüdische Männer aus Siófok starben als Arbeitsdienstler bei der ungarischen Armee. Viele der 1944 nach Mauthausen verschleppten Juden starben an den katastrophalen Bedingungen dort. Die meisten der 197 Juden, die nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden, ermordete die SS direkt nach ihrer Ankunft in der Gaskammer, darunter 34 Kinder.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie musste Ungarn 1920 zwei Drittel seines Staatsgebietes und sechzig Prozent seiner Bevölkerung an seine Nachbarstaaten abtreten. Diese Verluste traumatisierten das Land und führten dazu, dass sich Ungarn unter seinem Staatschef Nikolaus von (Miklós) Horthy (1868–1957) ab 1937 allmählich dem nationalsozialistischen Deutschen Reich annäherte. Es gelang Ungarn in mehreren Schritten, sein Staatsgebiet zwischen 1938 und 1941 fast zu verdoppeln. Im März 1944 war das Land angesichts der vorrückenden Roten Armee kurz davor, sich von Deutschland abzuwenden und wurde deshalb von der Wehrmacht besetzt. Horthy blieb zunächst Staatsoberhaupt. Unter Mithilfe der ungarischen Verwaltung begann die SS beinahe sofort mit Deportationen von Juden in das Vernichtungslager Auschwitz, die Ungarn trotz antijüdischer Gesetze zuvor noch verweigert hatte. Von den etwa 825.000 Juden aus »Groß-Ungarn« wurden weit über eine halbe Million Menschen dort ermordet, allein bis zu 300.000 kamen aus den Regionen des heutigen Ungarn. Darüber hinaus fanden um die 140.000 Soldaten sowie etwa 170.000 nichtjüdische Zivilisten den Tod.
Nach 1945 war Ungarn Teil der sowjetischen Einflusssphäre. Bis 1989 erinnerte das offizielle Ungarn nicht an den Krieg, sondern an sein Ende – als »Befreiung vom Faschismus«. Die Mehrheit der Bevölkerung dagegen empfand das Jahr 1945 als Beginn einer langen Unterdrückung. Der niedergeschlagene Volksaufstand von 1956 hat die Erinnerungen vieler Ungarn an den Zweiten Weltkrieg überdeckt. Der Krieg galt fortan als unrühmliche Vorgeschichte zum Leiden unter kommunistischer Herrschaft. Unterdessen zelebrierten zahlreiche staatliche Denkmäler die »ungarisch-sowjetische Freundschaft«. Zu kommunistischer Zeit wurde offiziell kaum an die Menschen erinnert, die während des Krieges an der Front, in der Heimat und während des Völkermordes umgekommen waren. Orte des Gedenkens an den Holocaust existierten außerhalb von jüdischen Institutionen nicht; allein das 1932 eingeweihte Jüdische Museum Budapest wurde bereits 1947 wiedereröffnet. 1985 richtete die jüdische Gemeinde Budapest neben der großen, am Rande des ehemaligen Ghettos stehenden Synagoge einen »Raoul-Wallenberg-Gedenkpark« ein. 1987, in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Reise des kommunistischen Staatschefs János Kádár (1912–1989) nach Schweden, entstand schließlich ein staatliches Denkmal für Wallenberg (*1912–?), der als schwedischer Gesandter Tausenden Budapester Juden das Leben rettete, 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht verschleppt wurde und seither verschollen ist. Dieses Denkmal markierte einen Wendepunkt nach einem jahrzehntelangen Verschweigen des Holocaust. Erst zur Jahrtausendwende entstanden in ganz Ungarn zahlreiche Holocaustdenkmäler und -gedenkstätten. Hierzu gehört das Denkmal »Schuhe am Donauufer« in Budapest, das am 16. April 2005 – dem 2000 eingeführten ungarischen Holocaustgedenktag – eingeweiht wurde. Es erinnert an die Ermordung von bis zu 20.000 Juden aus dem Budapester Ghetto im Januar 1945 durch »Pfeilkreuzler«, Angehörige einer rechtsradikalen Partei, die am 15. Oktober 1944 die Macht in Ungarn übernommen hatte. Ein nationales Holocaustmuseum wurde 2004 in der Hauptstadt eröffnet. Erinnerungszeichen für andere Opfer gibt es bislang allerdings kaum. Sinnbildhaft für den Umgang des postkommunistischen Ungarn mit seiner Vergangenheit im 20. Jahrhundert ist das viel diskutierte »Haus des Terrors«, das – 2002 im Zentrum Budapests eröffnet – die Geschichte »beider totalitärer Diktaturen« behandelt. Die Mitwirkung von Ungarn bei der Deportation ihrer jüdischen Mitbürger tritt dabei oft in den Hintergrund.
Erinnerung
Nach dem Krieg kamen 72 jüdische Überlebende nach Siófok zurück. Darunter waren einige, die während der deutschen Besatzung in Budapest Unterschlupf gefunden hatten. 1947 wurde die Synagoge erneut geweiht, in den folgenden Jahren schrumpfte die Gemeinde jedoch zusehends. Die Synagoge verfiel und wurde in den 1980er Jahren abgerissen.
Heute leben nur noch sehr wenige Juden in Siófok. Die 1986 erbaute neue Synagoge ist lediglich im Sommer für Gottesdienste geöffnet.
In der Stadt gibt es kein Denkmal, das ausdrücklich an die einstige jüdische Gemeinde oder an die ermordeten Juden erinnert. Ein 1995 aufgestelltes Denkmal im zentral gelegenen Millenium-Park mit der Widmung »Für die Opfer des Zweiten Weltkrieges« nennt alle Siófoker Kriegsopfer auf einem hohen Obelisken, der hinter einer trauernden Frauengestalt steht. Das Denkmal stammt vom Bildhauer Sándor Kiss. Ein Hinweis darauf, dass die überwältigende Mehrzahl der Namen Juden gehört, die 1944 aus Siófok deportiert wurden, fehlt.
Angebote
Ergänzend zum Denkmal gibt es im Kálmán Imre Múzeum in Siófok mehrere kleinere Ausstellungsräume, die sich mit der jüdischen Geschichte der Stadt beschäftigen.
Öffnungszeiten
Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.
Kontakt
Fő utca 57
8600 Siófok