In der ehemaligen jüdischen Kolonie Jefingar (heute: Pljuschtschiwka) erinnert seit 1953 ein Denkmal an die von deutschen Einheiten ermordeten Juden des Ortes.
Geschichte
Die ehemalige jüdische Kolonie Jefingar, deren Name auf Hebräisch »schöner Fluss« bedeutet, liegt am linken Ufer des Flusses Ingul nördlich des Schwarzen Meeres. Sie wurde 1807 von 43 jüdischen Familien gegründet, die aus den Gebieten des heutigen Weißrusslands in die Schwarzmeerregion übersiedelten. Jefingar war die erste und später eine der erfolgreichsten jüdischen Agrarkolonien in der Region. Wenig später siedelten auch sogenannte Volksdeutsche in der Kolonie, Ende des 19. Jahrhunderts waren aber immer noch etwa 92 Prozent der 2.038 Einwohner jüdisch. Angesichts der vielen antijüdischer Ausschreitungen gründeten die jüdischen Einwohner Jefingars 1905 eine Selbstverteidigungsgruppe, die der Gewalt erfolgreich standhielt. In den Wirren nach der Oktoberrevolution kamen mehrere Juden bei Pogromen oder infolge von Hunger und Krankheiten um. 1926 zählte der Ort noch 1.528 Juden, was etwa 91 Prozent der Einwohner ausmachte. Die Einwohnerzahl sank in den 1920er und 1930er Jahren weiter. In dieser Zeit wurden im Zuge der stalinistischen Kollektivierung alle bäuerlichen Haushalte in zwei Kolchosen zusammengefasst.
Am 12. August 1941, wenige Wochen nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, wurde Jefingar von der deutschen Wehrmacht besetzt. Zuvor evakuierten die sowjetischen Behörden alle wehrfähigen Jugendlichen zusammen mit Nutztieren und Maschinen. Ein Teil der übrigen jüdischen Einwohner floh ebenfalls ins Innere der Sowjetunion. Am 10. September 1941 trieben die Deutschen und ihre Helfer, die sich aus lokalen Volksdeutschen rekrutierten, alle Juden des Ortes im lokalen Schulgebäude zusammen. Am gleichen Tag wurden die Juden in einer zwei Kilometer weit entfernten Sandgrube von Mitgliedern des Sonderkommandos 10a der Einsatzgruppe D erschossen. Die jüdische Bevölkerung von Jefingar war damit ausgelöscht.
Opfergruppen
Unterstützt durch die lokale Schutzpolizei, die vornehmlich aus ethnischen Deutschen bestand, erschoss das Sonderkommando 10a der Einsatzgruppe D am 10. September 1941 etwa 520 Juden aus Jefingar und Umgebung in der Nähe des Ortes Konstantinowka in einer Sandgrube.
Erfahre mehr über
Ukraine
Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden.
Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen.
Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.
Erinnerung
Die Rote Armee eroberte Jefingar am 14. März 1944 zurück. 1945 wurde der Ort in Pljuschtschiwka umbenannt. Etwa 488 Juden kehrten nach dem Krieg dorthin zurück. Die Meisten wanderten später aus. Heute leben keine Juden mehr in dem Ort.
1946 betteten Angehörige die Leichname aus dem Massengrab auf den jüdischen Friedhofs um. 1953 wurde dort ein Obelisk errichtet. Die russische Inschrift lautet: »Hier liegen 521 Opfer der deutsch-faschistischen Barbarei begraben, die am 10. September 1941 ermordet wurden«. Seit 1956 findet jährlich am 10. September eine Gedenkfeier am Denkmal statt. Die Gemeinschaft für jüdische Kultur aus Mykolajiw organisiert die Gedenkfeiern und Fahrten zu den Erinnerungsorten in dem Gebiet.
Angebote
Jährlich am 10. September findet am Denkmal eine Gedenkfeier statt.