Erinnerung an die ermordeten Juden des Witebsker Ghettos

Памятники жертвам Витебскего гетто / Помнікі ахвярам Віцебскага гета


In Witebsk (belarussisch: Wizebsk) erinnert nur ein kleiner Gedenkstein an die etwa 16.000 Witebsker Juden, die ab August 1941 in einem Ghetto leben mussten. Fast alle von ihnen wurden wenig später von SS-Einsatzgruppen erschossen. An einem der Erschießungsstätten außerhalb der Stadt steht ein Denkmal in Erinnerung an die Opfer.

Geschichte

Witebsk (belarussisch: Wizebsk) ist eine seit dem Mittelalter bedeutende Großstadt, heute im Nordosten von Belarus gelegen. Seit dem 17. Jahrhundert siedelten sich hier Juden an. Im 19. Jahrhundert wuchs die jüdische Gemeinde stark an, Witebsk wurde zu einem Zentrum jüdischer Kultur. 1939 waren von den etwa 170.000 Einwohnern der Stadt über 37.000 Juden. Mit dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 wurde ein Teil der Bevölkerung evakuiert, darunter Tausende Juden. Als deutsche Truppen die strategisch wichtige Stadt am 11. Juli 1941 nach schweren Kämpfen eroberten, befanden sich dort noch etwa 50.000 Menschen. Viele der noch in Witebsk gebliebenen 16.000 Juden mussten Zwangsarbeit leisten. Mehrmals erschossen Angehörige der SS-Sonderkommandos 7a und 9 jeweils mehrere hundert Juden. Wenig später, Ende Juli 1941, mussten alle Witebsker Juden in ein Ghetto umziehen. Das Ghetto befand sich auf einem halb zerstörten Fabrikgelände, die Lebensbedingungen waren verheerend. Vermutlich starben mehrere tausend Juden an Hunger und Krankheiten. Bereits am 8. Oktober 1941 begann die SS das Ghetto aufzulösen: Innerhalb von zwei bis drei Tagen brachten Angehörige der SS-Einsatzgruppe B und ihre Helfer etwa 10.000 Juden zu einer nahegelegenen Schlucht außerhalb der Stadt. Dort erschossen sie alle jüdischen Männer, Frauen und Kinder.

Opfergruppen

Die genaue Zahl der jüdischen Opfer in Witebsk ist unbekannt. Schätzungen reichen von 8.000 bis zu 13.000 Toten, die von Angehörigen der SS-Einsatzgruppe B erschossen wurden oder an Hunger und Krankheit im Ghetto starben.

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Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 und dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen kam der Nordosten des Landes zu Belarus als Teil der Sowjetunion. Im Sommer 1941 wurde dann ganz Belarus von deutschen Truppen erobert. Während der folgenden drei Jahre kam jeder vierte oder gar jeder dritte Einwohner gewaltsam ums Leben. Fast alle Städte des Landes wurden völlig zerstört. Wehrmacht oder SS brannten etwa 620 Dörfer, darunter Chatyn, systematisch samt ihren Einwohnern nieder. Malyj Trostenez, nahe der belarussichen Hauptstadt Minsk, war die größte Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der besetzten Sowjetunion. Heute nimmt man an, dass mindestens 60.000 deutsche und einheimische Juden dort ermordet wurden. Für Minsk wird die Zahl der getöteten Juden auf bis zu 85.000 geschätzt, für das gesamte Gebiet auf 230.000. Belarus bildete von 1941 an mit über tausend aktiven Gruppen ein Hauptgebiet des sowjetischen Partisanenkampfes gegen die deutschen Besatzer. Ab Ende 1943 wurde das Land von der Roten Armee zurückerobert und galt im Sommer 1944 als vollständig von der deutschen Besatzung befreit. Das Land war weitestgehend verwüstet, das gesellschaftliche Gefüge erschüttert und die Menschen traumatisiert. Belarus gehörte ab 1944 wieder zur Sowjetunion. Ein großer Teil der 1939 einverleibten polnischen Gebiete blieben Teil des Landes. In der staatlichen Erinnerungs- und Denkmalkultur des Landes dominierten nach Kriegsende der Tag der Befreiung des Landes am 3. Juli 1944 und der Tag des Sieges am 9. Mai 1945 als Ende eines »heldenhaften« Kampfes im Großen Vaterländischen Krieg. Von zentraler Bedeutung war stets auch die Erinnerung an den Partisanenkrieg. Im sowjetischen Staatsverband verzichtete man auf eine eigenständige Nennung des Massenmords an den Juden. Daher stellt ein Obelisk in der Erschießungsgrube am ehemaligen Minsker Ghetto, der »Jama«, eine Besonderheit auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion dar. Er wurde bereits 1946 errichtet und blieb für Jahrzehnte das einzige Denkmal mit einer jiddischen Aufschrift und direkter Nennung der ermordeten Juden. Ungewöhnlich ist auch die Erinnerungsstätte in Chatyn, wo im März 1943 153 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt worden waren. 1969 entstanden, zeichnet sie sich durch Schlichtheit aus und verzichtet auf die sonst übliche Monumentalität, es stehen die menschliche Dimension des Grauens und das Leid der Opfer im Vordergrund. Mit der Schaffung eines unabhängigen belarussischen Staates 1991 begann die Suche nach einer eigenen nationalen Identität. Hierbei spielen die Opferzahlen – insbesondere während des Zweiten Weltkrieges – eine entscheidende Rolle. Bewusst wird allerdings eine Unterscheidung zwischen dem Gebietstand vor und nach 1939 vermieden. Die Verbrechen der Stalinzeit, aber auch der Holocaust rückten ebenso in das Blickfeld, wurden aber aufgrund der vorhandenen Regierungsform nicht weitergehend öffentlich gemacht. Das staatliche Gedenken, das seinen Ausdruck auch im 2014 eröffneten, monumentalen Neubau des Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges findet, bleibt vom Kampf in den Jahren 1941 bis 1944 geprägt. Zugleich hat jedoch der Verband der jüdischen Gemeinden in Belarus inzwischen eine Reihe von Denkmälern für die Opfer des Massenmordes errichten lassen. Seit Anfang der 1990er Jahre haben mehrere deutsche Städte Stelen im Gedenken an die dorthin deportierten und getöteten Juden in Minsk errichtet; das Berliner Erinnerungszeichen wurde – vom Land Berlin und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas finanziert – am 25. Juni 2009 feierlich eingeweiht. Auch eine würdige Gestaltung des Areals von Malyj Trostenez geht voran: seit 2015 erinnert eine Gedenkanlage an die Opfer. Ein zweiter Bauabschnitt wurde 2018 im Beisein der Staatspräsidenten Deutschlands, Österreichs und von Belarus eröffnet. An der Realisierung beteiligte sich auch die Bundesrepublik finanziell, wie auch an der Renovierung der Geschichtswerkstatt, die sich in einem historischen Gebäude auf dem Gebiet des ehemaligen Minsker Ghettos um die Dokumentation von Opferschicksalen kümmert.

Erinnerung

Nach dem Krieg kehrten viele Juden nach Witebsk zurück, 1970 zählte die jüdische Gemeinde über 17.000 Mitglieder. In den folgenden Jahrzehnten und vor allem nach dem Ende der Sowjetunion wanderten jedoch immer mehr Juden aus, 1999 gab es nur noch etwa 2.800 in der Stadt. Von den über 50 Synagogen, die vor dem Krieg in Witebsk standen, ist keine mehr übrig. Die Ruinen einer alten Synagoge befinden sich in der Rewolutionnaja-Straße 14. In den Nachkriegsjahren befand sich dort das Lager einer Apotheke. Heute sind nur noch Fragmente der Fassade erhalten. In den 1980er Jahren wurde der jüdischen Gemeinde ein reparationsbedürftiges Haus als Synagoge zugewiesen. Die jüdische Gemeinde wurde trotz der Auswandungswelle immer aktiver und beschloss, neben der alten eine neue Synagoge zu errichten. Sie wurde im Oktober 2017 eingeweiht.
An die bis zu 13.000 Opfer des Ghettos erinnert nur ein kleiner, unscheinbarer Gedenkstein in Witebsk. Der Gedenkstein wurde vermutlich 1995 errichtet und befindet sich vor dem »Klub der Metallisten«, einem Gebäude, das zum Ghetto gehörte. Laut Inschrift soll an der Stelle in der Zukunft ein neues Denkmal entstehen. Ein weiteres Denkmal befindet sich an der wichtigsten Erschießungsstätte knapp außerhalb von Witebsk beim Dorf Tulowo. Es wurde erst 2010 eingeweiht. Neben einem Gedenkstein mit hebräischer, belarussischer und englischer Inschrift erinnert eine von Walerij Mogutschij und Walerij Scharonow gestaltete Skulptur an die Ermordeten.

Öffnungszeiten

Die Denkmäler sind jederzeit zugänglich.

Kontakt

ul. Injilskogo / ul. Engelsa
200001 Witebsk