Denkzeichen in Berlin-Buch für die Opfer der Zwangssterilisation und »Euthanasie«–Morde

Denkzeichen in Berlin-Buch für die Opfer der nationalsozialistischen Zwangssterilisation und »Euthanasie«–Morde


Die Heil- und Pflegeanstalt Buch war der zentrale Ort der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Verbrechen im Berliner Raum. Seit November 2013 erinnert dort ein Denkmal an das Schicksal der Opfer.

Geschichte

Die Ermordung zehntausender Patienten und Heimbewohner war das erste systematische Massenverbrechen des nationalsozialistischen Regimes. Das »Euthanasie«-Programm wurde von einer Unterabteilung der »Kanzlei des Führers« mit etwa 100 Mitarbeitern entwickelt. Diese »Zentraldienststelle T4«, benannt nach der Adresse Tiergartenstraße 4, organisierte zunächst die Tötung von psychisch Kranken oder behinderten Menschen durch Kohlenmonoxid. Bis zur formellen Einstellung der Gasmorde im August 1941 töteten SS-Ärzte über 70.000 Menschen in sechs eigens dafür eingerichteten Anstalten auf dem Gebiet des Deutschen Reichs. Zwischen August 1941 und 1945 wurde der Mord dezentral fortgesetzt und weitere 90.000 Menschen umgebracht.
Auf dem Gelände der Heil- und Pflegeanstalt Buch bestand seit Anfang des 20. Jahrhunderts die »III. Berliner Irrenanstalt«, deren moderne Behandlungsmethoden als vorbildlich galten. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten verschlechterten sich die Lebensbedingungen der psychisch kranken oder geistig behinderten Patienten jedoch beständig. Infolge des 1933 erlassenen »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« wurden fast 800 Bucher Patienten zwangssterilisiert.
Während der »Aktion T4« wurde die Heil- und Pflegeanstalt aufgelöst und die mehr als 2.800 Patienten verlegt. Die meisten Patienten sind in den Gaskammern der »Euthanasie«-Tötungsanstalten Brandenburg an der Havel und Bernburg ermordet worden. Bis zum Kriegsende 1945 wurden aber auch viele Patienten Opfer der sogenannten dezentralen Euthanasie durch gezielte Medikamentenüberdosierung, Nahrungsentzug und Mangelversorgung.
Die Heil- und Pflegeanstalt Buch war im Juli 1940 auch die erste Sammelanstalt einer »Sonderaktion« gegen jüdische Psychiatrie-Patienten aus Berlin und Brandenburg, die allein aufgrund ihrer Abstammung in großen Transporten nach Brandenburg an der Havel verschleppt und dort ermordet wurden.

Opfergruppen

Nach 1933 wurden fast 800 Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Buch zwangssterilisiert. Während der »Aktion T4« wurden etwa 2.800 Patienten der Anstalt in die Tötungsanstalten Brandenburg an der Havel und Bernburg verlegt, wo sie mit Kohlenmonoxid ermordet wurden. Bis zum Kriegsende wurden weitere Patienten in Buch ermordet, ihre genaue Zahl ist unbekannt.
Die geschätzte Gesamtzahl der Opfer der nationalsozialistischen Krankenmorde in Deutschland und den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten Europas liegt bei 300.000.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR wurden die »Euthanasie«-Morde lange verschwiegen, auch die Zwangssterilisierten blieben Jahrzehnte lange von Entschädigungszahlungen praktisch ausgeschlossen. Erst seit den 1980er Jahren entstanden in den früheren Tötungsanstalten und anderen Tatorten erste Gedenkstätten und Erinnerungszeichen.
Auf dem Gelände der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Buch, wo sich heute ein privates Klinikum befindet, erinnerte lange Zeit nichts an die nationalsozialistischen Verbrechen; es dauerte bis November 2013, bis ein Denkzeichen dort eingeweiht werden konnte. Es steht auf einer Rasenfläche und hat die Form eines überdimensionierten weißen Kopfkissens, an dessen Oberfläche Vornamen angebracht sind. Der Entwurf stammt von der in Argentinien geborenen Berliner Künstlerin Patricia Pisani. Etwas weiter entfernt erläutert eine Informationstafel die historischen Hintergründe. Die Initiative für die Errichtung des Denkzeichens übernahmen 2009 der Bezirk Pankow und die Stadt Berlin, bei der Verwirklichung wirkte auch die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas mit.

Öffnungszeiten

Das Denkzeichen ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

http://www.berlin.de/ba-pankow/

pressestelle@ba-pankow.berlin.de

+49(0)30 902 95-0

Schwanebecker Chaussee 50
13125 Berlin