Seit 1999 erinnert ein Denkmal auf dem Friedhof von Clermont-de-l'Oise an die mehr als 3.000 Patienten der dortigen psychiatrischen Anstalt, die während der Zeit der deutschen Besatzung durch Vernachlässigung ums Leben kamen. In Zukunft soll in Clermont der zentrale französische Erinnerungsort für diese lange Zeit kaum beachtete Opfergruppe entstehen.
Clermont ist eine Gemeinde in der Region Picardie, etwa 60 km nördlich von Paris gelegen. Eine Einrichtung für psychisch Kranke existierte hier seit Anfang des 19. Jahrhunderts, zeitweilig war sie eine der größten ihrer Art in Europa.
1940, im Jahr des deutschen Angriffs auf Frankreich, pflegte das Krankenhaus 4.484 Patienten. Bereits in den Monaten zuvor kam es zu Engpässen bei der Versorgung der Patienten, als während der Mobilmachung viele Medikamente und Ärzte an die französische Armee abgestellt werden mussten. Während der Kriegshandlungen wurden etwa 750 Patienten evakuiert, hunderte Angestellte des Krankenhauses flüchteten. Nach der Niederlage und der deutschen Besetzung Frankreichs nahm die Versorgungskrise katastrophale Ausmaße an. Das Krankenhaus wurde geplündert, die Wehrmacht beschlagnahmte medizinisches Gerät und Betten. Wenig später führte die französische Kollaborationsregierung mit Sitz in Vichy die Rationierung von Lebensmitteln ein. Die Rationen für die Insassen psychiatrischen Anstalten waren sehr niedrig angesetzt und wurden außerdem oft überhaupt nicht zugeteilt. In der Folge begann ein Massensterben in den Einrichtungen. Bis 1944, dem Ende der deutschen Besatzung, starb der Großteil der Patienten in Clermont, die meisten von ihnen an Hunger.
Ob die deutschen Besatzungsbehörden oder die französische Verwaltung die Tötung der psychisch kranken Patienten durch Hunger und Vernachlässigung aktiv vorantrieben oder lediglich billigend in Kauf nahmen, ist umstritten. Zur selben Zeit, als in französischen Anstalten die Patienten zu Tausenden verhungerten, ermordeten die Nationalsozialisten Hunderttausende Behinderte und psychisch Kranke sowohl im Deutschen Reich als auch in besetzten Gebieten in Osteuropa.
Während der deutschen Besatzung 1940 bis 1944 kamen 3.063 Patienten der psychiatrischen Anstalt Clermont ums Leben, die meisten von ihnen an Unterernährung. Unter den Opfern war auch die Malerin Séraphine Louis (auch bekannt als Séraphine de Senlis, 1864–1942), die seit 1932 dort lebte.
Forscher gehen davon aus, dass im besetzten Frankreich bis zu 50.000 Patienten durch Vernachlässigung ums Leben kamen.
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Die psychiatrische Anstalt von Clermont existiert bis heute. Am 7. April 1999 wurde auf dem Gemeindefriedhof ein Denkmal für die 3.063 Patienten eingeweiht, die während der Besatzungszeit starben und auf dem Friedhof beerdigt wurden. Der Entwurf für das Denkmal stammt von dem einheimischen Künstler Roger Guidi. Am 7. April findet jährlich eine Gedenkfeier am Denkmal statt. Im »Musée Henri-Theillou« des Krankenhauses ist den Ereignissen der Jahre 1940-1944 ein eigenes Kapitel gewidmet.
In der französischen Öffentlichkeit war der Tod der bis zu 50.000 Insassen psychiatrischer Einrichtungen jahrzehntelang kein Thema. Erst in den 1980er Jahren erschien ein erstes Buch, das sich mit ihrem Schicksal auseinandersetzte. Andere Publikationen und einzelne Gedenkzeichen folgten, so auch das Denkmal auf dem Friedhof von Clermont. 2013 startete der Anthropologe Charles Gardou eine Petition, um ein »Denkmal zu Ehren der behinderten Opfer des Nazi- und Vichy-Regimes« zu errichten. Über 80.000 Personen gaben ihre Unterschrift, darunter viele Prominente. Im Februar 2015 gab Präsident François Hollande seine Unterstützung für das Vorhaben bekannt. Der neue Erinnerungsort soll in Clermont entstehen.
Die Debatten um die Verantwortung des Vichy-Regimes für den Tod der Psychiatriepatienten gehen indes weiter. Während einige von einer gezielten Politik der Tötung durch Vernachlässigung der Patienten sprechen, lehnen andere einen Vergleich mit der NS-»Euthanasie« im Deutschen Reich vehement ab.
Friedhof geöffnet täglich von 8:30 bis 16:00
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