Kurz nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Riga (lettisch: Rīga) im Juli 1941 starben in der größten Synagoge der Stadt ungefähr 300 Juden. Lettische Nationalisten hatten sie in die Synagoge getrieben, die Türen mit Brettern vernagelt und anschließend das Gebäude in Brand gesteckt. Mit diesem Massenmord begann in Riga eine Welle von Pogromen, denen Hunderte weitere Juden zum Opfer fielen.
2001 wurde die Ruine der abgebrannten Synagoge zu einem Holocaustdenkmal umgestaltet.
Geschichte
Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Riga am 1. Juli 1941 fanden in der lettischen Hauptstadt verstärkt Pogrome und Übergriffe gegen Juden statt. SS-Leute und lettische Einheiten von Freiwilligen zerstörten Synagogen und beschlagnahmten jüdisches Eigentum. Bei den Übergriffen ermordeten oder verhafteten sie hunderte Juden. Bei den Opfern handelte es sich zumeist um Angehörige der jüdischen Intelligenz in Riga.
Am 4. Juli 1941 sperrte eine Gruppe von lettischen Nationalisten etwa 300 Juden in die Große Choralsynagoge in der Gogolstraße. Zuvor hatten sie die gesamte Inneneinrichtung zerstört, die Trümmer in der Mitte der Synagoge aufgeschichtet, mit Benzin übergossen und angezündet. Die Synagoge brannte bis auf die Grundmauern ab. Niemand der Eingesperrten überlebte. Juden, die versucht hatten durch die Fenster zu entkommen wurden erschossen.
Mitte August 1941 richtete die Besatzungsmacht in Riga ein Ghetto für die jüdische Bevölkerung der Stadt ein. Mit annähernd 30.000 Bewohnern war das Ghetto hoffnungslos überfüllt. Um für die aus dem Deutschen Reich deportierten Juden Platz zu schaffen, wurde das Ghetto auf Befehl des Höheren Polizeiführers Ostland Friedrich Jeckeln im November 1941 geräumt. Bei zwei großen »Aktionen« Ende November und Anfang Dezember 1941 ermordeten SS-Angehörige mit Hilfe lettischer Kollaborateure im Wald von Rumbula bis auf wenige Ausnahmen alle Juden des Ghettos.
Ab Anfang 1942 fanden erneut Erschießungen im Wald von Bikernieki statt, denen weitere Tausende deutsche und lettische Juden zum Opfer fielen.
Opfergruppen
Bei dem Brand in der Großen Choralsynagoge kamen etwa 300 Juden ums Leben. Bei ihnen handelte es sich zu einem großen Teil um Juden aus Litauen, die vor den deutschen Truppen nach Lettland geflüchtet und dort Schutz gesucht hatten.
Im Wald von Rumbula starben 1941 ungefähr 25.500 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Ghetto Riga sowie 1.000 deportierte Juden aus Berlin.
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Lettland
1940 wurde das seit 1918 unabhängige Lettland gemäß einem deutsch-sowjetischen Vertrag – dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt – von der Roten Armee besetzt. Am 22. Juni 1941, als deutsche Truppen die Sowjetunion angriffen, lebten noch etwa 70.000 Juden im Land. Über 23.000 waren – wie Zehntausende andere Letten – kurz zuvor vom sowjetischen Geheimdienst NKWD nach Sibirien verschleppt worden oder hatten in das Landesinnere fliehen können. Der kämpfenden Wehrmacht folgte die SS-Einsatzgruppe A, die unter aktiver Beihilfe von Angehörigen des lettischen »Selbstschutzes« zwischen Juli und Anfang Dezember 1941 etwa 30.000 Juden erschoss. Die Ortskommandanturen der Wehrmacht richteten noch im Spätsommer 1941 zwei Ghettos ein: in der Hauptstadt Riga mit 30.000 und in Dünaburg (Daugavpils) mit 14.000 jüdischen Häftlingen. In zwei großen Massenerschießungen Ende 1941 im Wald von Rumbula bei Riga ermordeten deutsche und lettische Sondereinheiten 25.500 Juden aus dem dortigen Ghetto. Das leergeräumte »Große Ghetto« in Riga war ab Dezember 1941 Ziel von Deportationszügen mit 25.000 deutschen, österreichischen und tschechischen Juden. Anfang 1942 fanden erneut Massenerschießungen im Wald von Bikernieki bei Riga statt, denen Tausende Juden zum Opfer fielen. Bis Kriegsende kamen 95 Prozent der jüdischen Vorkriegsbevölkerung Lettlands und etwa 120.000 nichtjüdische Zivilisten gewaltsam zu Tode.
Mit der Rückeroberung Lettlands durch die Rote Armee 1944 wurde das Gebiet erneut Teilrepublik der Sowjetunion. Es entstanden zahlreiche Denkmäler zur Erinnerung an den »Sieg« im »Großen Vaterländischen Krieg«. Erst 1990/91 erkämpfte Lettland seine staatliche Unabhängigkeit von Moskau auch gegen sowjetische Panzer. Anschließend wurden viele sowjetische Monumente abgebaut, die jahrzehntelange Besatzung und der Widerstand rückten ins Zentrum der nationalen Erinnerung. Die Annexion Lettlands durch die Sowjetunion 1940/41 sowie 1944 bis 1990 und die deutsche Besetzung wurden gleichgesetzt; wie in Litauen und Estland Okkupationsmuseen eingerichtet, deren inhaltlicher Schwerpunkt die Jahre des sowjetischen Terrors ist.
Während des Krieges hatten um die 160.000 Letten – freiwillig oder gezwungen – in der Lettischen Legion der Waffen-SS gedient und waren bei Massenerschießungen, Brandschatzungen und der Bewachung von Lagern, aber auch im Krieg und gegen Partisanen eingesetzt. Zu sowjetischen Zeiten ausgegrenzt und verfolgt, wurden die früheren »Legionäre« nach 1990/91 von vielen als Freiheitskämpfer gegen die kommunistische Fremdherrschaft angesehen und geehrt. Gegen diese einseitige Sichtweise regte sich Protest im Ausland. Ende 1998 wurde eine internationale Historikerkommission zum Thema »Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der zwei Okkupationen 1940–1956« beim Präsidenten der Republik eingerichtet.
Stätten des Gedenkens an den Holocaust gibt es vor allem auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Salaspils seit 1967 und seit 2001 in Bikernieki. Im Wald von Rumbula stellten jüdische Dissidenten bereits 1962 einen Davidstern zur Erinnerung auf. Das Gedenkzeichen wurde von den sowjetischen Behörden beseitigt und durch ein Ehrenmal für die »Opfer des Faschismus« ersetzt. Im November 2002 konnte ein neues Denkmal eingeweiht werden. In der Hauptstadt Riga gründeten Holocaustüberlebende 1989 ein jüdisches Museum. 2005/06 entstand auf den Fundamenten der ehemaligen Choralsynagoge in Riga eine Gedenkstätte zur Erinnerung an alle Opfer des Holocaust und an alle Juden, die auf lettischem Boden ermordet wurden. Seit 2010 gibt es ein Museum des Rigaer Ghettos.
Erinnerung
Nach dem Krieg veranlassten die sowjetischen Behörden die Einebnung der Reste der niedergebrannten Synagoge. Der Keller, in den die lettischen Nationalisten die Überreste der verbrannten Opfer gebracht hatten, wurde zugeschüttet.
Erst am 4. Juli 1988 wurde mit Genehmigung der sowjetischen Behörden an dieser Stelle ein Mahnmal aufgestellt. Es handelt sich um einen großen rauen Rundstein mit einem eingemeißelten Davidstern und dem Datum des Massenmordes.
Im November 2001 wurden die Kellerräume und einzelne Seitenmauern der ehemaligen Choralsynagoge freigelegt und zu einem Denkmal für die Opfer des Holocaust umgewidmet.
In den wieder zugänglichen Kellerräumen der Synagoge wurde 2005/06 eine Gedenkstätte eingerichtet, die an alle im Holocaust ermordeten lettischen Juden erinnert. Am 4. Juli 2007 wurde ein zusätzliches Denkmal eingeweiht, das dem lettischen Judenretter Žanis Lipke und anderen Letten gewidmet ist, die Juden halfen.