Im Dorf Kolodjanka erinnern zwei Denkmäler an die mindestens 100 Juden, die 1941 auf einem Feld hinter dem Bahnhof von deutschen Einheiten erschossen wurden.
Geschichte
Kolodjanka ist ein Dorf in der Oblast Schytomyr im Norden der Ukraine. Spätestens seit 1778 lebten Juden nachweislich in Kolodjanka, obwohl ihre Zahl stets gering blieb. Laut der Volkszählung von 1926 lebten 41 Juden in Kolodjanka bei einer Gesamtbevölkerung von 1.213, was einem Anteil von etwa drei Prozent entsprach. Beim Zeitpunkt des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941 lebten wahrscheinlich 47 Juden im Dorf. Die deutsche Wehrmacht besetzte Kolodjanka Anfang Juli. Den meisten Juden gelang es nicht, vor der Ankunft der deutschen Truppen zu fliehen. Vom ersten Tag der deutschen Besetzung an waren Juden Schikanen und Gewalt ausgesetzt. Bereits im Juli ermordeten deutsche Einheiten einzelne jüdische Männer, vermutlich am 19. August erstmals auch Frauen und Kinder. Bis Anfang September wurden alle Juden Kolodjankas ermordet. Die genauen Umstände und die genaue Identität der Täter sind unbekannt, es ist jedoch wahrscheinlich, dass Einheiten der Einsatzgruppe C und Polizeibataillone sowie lokale Hilfspolizisten an den Morden beteiligt waren.
Auch Juden von außerhalb der unmittelbaren Umgebung wurden in Kolodjanka ermordet. Laut Erinnerungen von Zeitzeugen wurden die Opfer oft tagelang hinter Stacheldraht gefangen gehalten und misshandelt, bevor sie auf dem Feld hinter dem kleinen Bahnhofsgebäude erschossen wurden.
Opfergruppen
Die genaue Anzahl der in Kolodjanka ermordeten Juden ist unklar. Die sowjetische Untersuchungskommission schätzte nach der Befreiung Kolodjankas im Januar 1944, dass 250 Juden auf dem Feld hinter dem Bahnhof erschossen und verscharrt wurden. Forscher gehen davon aus, dass die Zahl der Opfer mindestens 100 betrug.
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Ukraine
Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden.
Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen.
Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.
Erinnerung
Es gelang nur vier Juden aus Kolodjanka, den Holocaust zu überleben. Eine der Überlebenden kehrte nach dem Krieg zunächst ins Dorf zurück, bevor sie 1956 die Sowjetunion verließ.
Ob die sowjetische Untersuchungskommission nach dem Ende der Kampfhandlungen in Kolodjanka die Massengräber auf dem Feld hinter dem Bahnhof geöffnet und untersucht hat, ist nicht bekannt. Sowjetische Behörden ermittelten gegen lokale Polizisten und Kollaborateure. In der Bundesrepublik Deutschland wurden in den 1960er Jahren Verfahren gegen Männer des Reserve-Polizeibataillons 45 geführt, das nachweislich auch in Kolodjanka tätig waren.
1996 errichteten Mitglieder der jüdischen Gemeinde aus der nahegelegenen Stadt Nowohrad-Wolynskyj ein Denkmal für die in Kolodjanka ermordeten Juden. Es steht am Rande des Felds hinter dem Bahnhof, wo die Massengräber vermutet werden. Im April 2017 wurden im Rahmen des Projekts »Erinnerung bewahren«, das bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas angesiedelt ist, nicht-invasive archäologische Untersuchungen auf dem Feld durchgeführt, die genaue Lage der Massengräber konnte jedoch nicht festgestellt werden. Im Sommer 2019 wurde im Rahmen von »Erinnerung bewahren« das Denkmal von 1996 instandgesetzt und eine neue Informationsstele aufgestellt, die in ukrainischer, englischer und hebräischer Sprache über die Geschichte des Ortes informiert.