In der ehemals ostpolnischen Stadt Tarnopol (ukrainisch: Ternopil) erinnert ein Denkmal an die etwa 18.000 Juden der Stadt, die zwischen 1941 und 1944 von SS-Einsatzgruppen erschossen oder von der SS in das Vernichtungslager Belzec deportiert wurden.
Geschichte
Die Stadt Tarnopol (ukrainisch: Ternopil) liegt in der historischen Region Galizien. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gehörte die Stadt, so wie ganz Galizien, zu Österreich-Ungarn, in der Zwischenkriegszeit war die Stadt polnisch. Bereits kurz nach der Stadtgründung 1540 siedelten sich in Tarnopol Juden an, sie stellten lange die Mehrheit der Bevölkerung. 1939 zählte die jüdische Gemeinde von Tarnopol etwa 18.000 Mitglieder, insgesamt lebten etwa 34.000 Menschen in der Stadt. Mit der Besatzung Tarnopols durch die Rote Armee im September 1939 wurde jüdisches Leben stark eingeschränkt. Als die deutsche Wehrmacht am 2. Juli 1941 Tarnopol einnahm, folgte den Truppen das SS-Sondekommando 4b. Zusammen mit ukrainischen Nationalisten führten die SS-Männer ein einwöchiges Pogrom gegen Juden durch, bei dem mindestens 600 Juden getötet wurden. Im September 1941 richtete die SS in Tarnopol als erster Stadt Galiziens ein Ghetto ein: Mindestens 12.500 Juden mussten auf engstem Raum im abgezäunten Armenviertel der Stadt leben. Tausende Juden mussten fortan Zwangsarbeit leisten. Mehrmals führten SS-Leute 1942 Erschießungen von Juden durch. Ab Sommer 1942 deportierte die SS mehrere Tausend Juden von Tarnopol in wenigen Monaten in das Vernichtungslager Belzec. Das mittlerweile zum Arbeitslager umfunktionierte Ghetto löste die SS im Sommer 1943 auf, indem SS-Männer alle dort verbliebenen Juden erschossen. Nur wenige Hundert Juden aus Tarnopol überlebten.
Opfergruppen
Fast alle der 18.000 Juden, die beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Tarnopol waren, kamen durch Erschießungen, Hunger und Krankheiten im Ghetto oder im Vernichtungslager Belzec ums Leben. Genaue Zahlen der Opfer sind nicht bekannt.
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Ukraine
Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden.
Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen.
Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.
Erinnerung
Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel Tarnopol an die Sowjet-Ukraine. Die meisten der wenigen hundert Überlebenden entschied sich für die Emigration. Bis auf den erhalten gebliebenen Neuen Jüdischen Friedhof gibt es nur noch wenige Spuren, die an vergangenes jüdischen Leben erinnern würden.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde in Tarnopol ein kleines Denkmal für die ermordeten Juden der Stadt errichtet. Es befindet sich in der Nähe der Massengräber, in denen die Opfer der Massenerschießungen von 1942 liegen.
In der Innenstadt, am Gebäude der Staatlichen Medizinischen Universität, ist eine Gedenktafel in Erinnerung an hunderte Juden angebracht, die dort ermordet wurden.