Denkmal »Formel der Trauer«

Памятник »Формула скорби«


Seit 1991 erinnert in der Stadt Puschkin (vor 1918 oder deutsch auch Zarendorf, von 1918 bis 1937 Detskoje Selo) das Denkmal »Formel der Trauer« an die Juden, die dort im Oktober 1941 von deutschen Einheiten ermordet wurden.

Geschichte

Zarskoje Selo, 25 Kilometer südlich von Sankt Petersburg gelegen, diente den Zaren seit ihrer Gründung 1710 als beliebte Sommerresidenz. Um 1830 kamen die ersten Juden als Soldaten des Zarenregiments in die Stadt. Ab den 1860er Jahren durften weitere Juden in die Stadt ziehen. Hier entstand eine der größten jüdischen Gemeinden im Zarenreich, die außerhalb des für sie bestimmten Wohn- und Siedlungsgebiets (»Ansiedlungsrayon«) lag. 1926 zählte die Stadt 537 jüdische Einwohner. Die jüdische Einwohnerzahl stieg durch jüdische Migranten aus ländlichen Gebieten, die im überbevölkerten Sankt Petersburg (nach 1924 Leningrad) keinen Wohnplatz fanden. 1939 waren von den etwa 56.000 Einwohnern der mittlerweile Puschkin genannten Stadt etwa 3220 jüdisch.
Die deutsche Wehrmacht besetzte die Stadt am 17. September 1941. Die Stadt befand sich von da an in unmittelbarer Frontnähe, während Leningrad fast drei Jahre lang unter Blockade genommen wurde. Ein Großteil der Juden konnte kurz vor dem deutschen Einmarsch fliehen. Gleich in den ersten Tagen durchsuchten Soldaten der Wehrmacht mehrere Bunker der Stadt und ermordeten und erhängten zur Abschreckung junge Männer auf dem Hauptplatz der Stadt vor dem Katharinenpalast. Unter den Opfern waren auch Juden. Anfang Oktober 1941 wurden die Juden zur Registrierung und zur Abgabe ihres Eigentums gezwungen. Am 4. Oktober 1941 mussten sich alle Juden in der deutschen Kommandantur versammeln. Mehrere hundert Juden wurden in den Kellern des Katharinenpalastes eingesperrt. Bis zum 8. Oktober 1941 erschoss das Sonderkommando 1b unter SS-Oberführer Erich Ehrlinger alle Gefangene in mehreren Gruppen an unterschiedlichen Orten im Alexanderpark, Katharinenpark und im Babolowskijpark. In den folgenden Tagen verfolgte und ermordete das Kommando alle Juden, die vor der »Aktion« hatten fliehen können. Am 2. Januar 1942 erklärte das Einsatzkommando A die Stadt für »judenfrei«.

Opfergruppen

Die Opferzahlangaben in Zeitzeugenberichten und Dokumenten der Sowjetischen Untersuchungskommission sind widersprüchlich. Sie variieren zwischen 150 bis etwa 800.
Insgesamt ermordete die Einsatzgruppe A im Gebiet um Leningrad etwa 4.100 Juden.

Erfahre mehr über Russische Föderation

In der Russischen Föderation ist der 9. Mai – der Gedenktag an den Sieg der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg gegen den »Hitlerfaschismus« – der bedeutendste Feiertag, der aus der sowjetischen Vergangenheit übernommen wurde. Am 23. August 1939 hatte die Sowjetunion unter Josef Stalin (1878–1953) zunächst einen »Nichtangriffspakt« mit dem Deutschen Reich geschlossen. Beide Regime verständigten sich darin über ihre »Interessensphären« in Ostmitteleuropa und beschlossen unter anderem die gemeinsame Teilung Polens. Ab dem 22. Juni 1941 marschierten die deutsche Wehrmacht und ihre Verbündeten in sowjetisches Territorium ein. Bei Kriegsende 1945 waren auf dem besetzten sowjetischen Gebiet nach neueren Schätzungen insgesamt bis zu 28 Millionen Tote in Armee und Bevölkerung zu beklagen. Die sowjetische Erinnerungskultur ist im heutigen Russland wieder dominierend. Ihre Sinnbilder – wie die monumentalen Denkmäler in Sankt Petersburg oder Wolgograd – sind noch immer beliebt und weiterhin Schauplatz großer Gedenkveranstaltungen am 9. Mai. Diese Erinnerungsstätten sind allerdings weniger Orte der Trauer und des Totengedenkens als vielmehr der Heldenverehrung. Der Opfer wurde lange Zeit gar nicht, später als »Opfer des Faschismus« gedacht. Die Wirkungsmacht dieser Sicht auf die Vergangenheit lässt sich beispielhaft am Konflikt um eine 1995 aufgestellte Skulptur vor dem Museum des Großen Vaterländischen Kriegs in der Hauptstadt Moskau ablesen. Das Denkmal »Tragödie der Völker« ist den etwa zwanzig Millionen zivilen Opfer der Jahre 1941 bis 1944 in der Sowjetunion gewidmet und sollte einen Wendepunkt in der Erinnerungskultur Russlands markieren. Nach heftiger Kritik an der auch in der Bevölkerung als zu pessimistisch empfundenen Aussage musste das Denkmal hinter das Gebäude versetzt werden. Zugleich gab es aber auch nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen wie »Memorial«, die sich mit verdrängten Kapiteln der Geschichte beschäftigten, wie mit den Gefangenen der Roten Armee und Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg. Sie galten nach ihrer Rückkehr als Verräter, wurden pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt und erneut in Lagern inhaftiert. Auch im Rahmen des staatlich-offiziellen Gedenkens gab es immer wieder engagierte lokale Kulturämter, die besondere Denkmäler und eine die Opfer einbeziehende Gedenkkultur durchsetzten. Dass an einigen Orten, häufig mit geringsten finanziellen Mitteln, kleine Erinnerungsstätten entstanden sind, ist oft auch dem Engagement von Privatpersonen oder von jüdischen Gemeinden zu verdanken. Etwa 100.000 sowjetische Juden auf dem Gebiet der heutigen Russischen Föderation waren nach 1941 vor allem Massenerschießungen der SS-Einsatzgruppen und ihrer Helfer zum Opfer gefallen. Zu Sowjetzeiten wurde an sie als »friedliche Bürger« erinnert. Erst seit Anfang der 1990er Jahre ging man dazu über, an offiziellen Denkmälern zusätzliche Tafeln anzubringen und die jüdischen Opfer zu benennen oder durch eine Übersetzung der Inschrift ins Hebräische ins Gedächtnis zu rufen. In Ansätzen gab es auch russische Forschung zum Holocaust. 2012 eröffnete in Moskau das auch von internationalen Experten anerkannte Jüdische Museum und Toleranzzentrum. Gleichzeitig wurde das politische Regime in Russland immer nationalistischer, in der Staatspropaganda dominiert ein offen revisionistisches Geschichtsnarrativ, das mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine noch aggressiver wurde. Währenddessen wurden wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch »Memorial«, massiv unterdrückt.

Erinnerung

Am 24. Januar 1944 eroberte die Rote Armee Puschkin zurück. Bis zum Zerfall der Sowjetunion gab es kein Erinnerungszeichen für die ermordeten Juden Puschkins. Viele Massenerschießungsstätten sind bis heute unbekannt. Der SS-Oberführer und Befehlshaber des Sonderkommandos 1b Erich Ehrlinger (1910 – 2004), der für den Mord an den Juden in Puschkin verantwortlich war, wurde in der Bundesrepublik vor Gericht gestellt, seine zwölfjährige Haftstrafe musste er aber wegen »dauernder Verhandlungsunfähigkeit« nicht absitzen.
1991 errichtete Mitglieder der Gruppe »Untersuchung der Katastrophe« das Denkmal »Formula Skorbi«, übersetzt »Formel der Trauer«. Die Bronzestatue wurde vom bekannten sowjetischen Bildhauer und Grafiker Wadim Sidur entworfen. Sie steht auf einem Podest aus Granit. Die hebräische und russische Inschrift lautet: »Ihr Blut wurde vergossen wie Wasser und niemand war da, um sie zu begraben. Den Juden der Stadt Puschkins, den Opfern des faschistischen Genozids 1941«. Die abstrakte Skulptur ist 2,4 Meter hoch und erinnert an einen zusammengekrümmten Menschen und den ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets »Alef«, der den Anfang symbolisiert. Das Denkmal befindet sich vor dem Alexanderpalast. Jährlich am ersten Sonntag im Oktober findet dort eine Gedenkfeier in Erinnerung an die Opfer statt.

Angebote

Jedes Jahr am ersten Oktoberwochenende findet am Denkmal eine Gedenkfeier statt.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

Moskowskaja uliza 5
196601 Puschkin