Denkmal der grauen Busse Weißenau

Denkmal der grauen Busse Weißenau


Seit 2006 erinnert das »Denkmal der grauen Busse« in Ravensburg-Weißenau an das Schicksal der behinderten und psychisch kranken Menschen, die 1940/41 von der Heilanstalt Weißenau aus in die »T4«-Anstalten Grafeneck und Hadamar gebracht wurden. Ein identisches zweites »Denkmal der Grauen Busse« wechselt regelmäßig seinen Standort, es wird an historischen Orten der »Euthanasie« aufgestellt.

Geschichte

Der Begriff »Euthanasie« bezeichnete in der Zeit des Nationalsozialismus die Ermordung von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Geplant und organisiert wurde der Mord an den Patienten von Heil- und Pflegeanstalten von einer unmittelbar Adolf Hitler unterstellten Organisation im Hauptamt II. Sie erhielt die Tarnbezeichnung »T4« nach der Anschrift der Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße. Nachdem anfangs Kleinkinder bis zu drei Jahren der »Euthanasie« zum Opfer fielen, weitete sich die Tötung in der Folgezeit auf ältere Kinder und Jugendliche, ab 1940 unter dem Decknamen »Aktion T4« auch auf erwachsene Behinderte und Kranke aus. Die Tötung erfolgte in der ersten Phase durch Nahrungsentzug, Gift und Medikamente. Ab Januar 1940 wurden in immer mehr »T4«-Anstalten Gaskammern in Betrieb genommen. Durch die Verlegung von als »lebensunwert« eingestuften Patienten in sogenannte Zwischenanstalten sollte eine bessere Tarnung der »T4«-Aktion erreicht werden. Nach einigen Wochen Aufenthalt in den Zwischenanstalten wurden die Behinderten und psychisch Kranken von der Gemeinnützigen Krankentransport GmbH (GEKRAT) in eine der sechs Tötungsanstalten gebracht. Für den Transport verwendete die Tarnorganisation Omnibusse aus den Beständen der Reichspost. Vor ihrem Einsatz ließ die GEKRAT die ursprünglich roten Busse und die Scheiben mit grauer Farbe übermalen. Um die Bestimmung dieser Fahrzeuge vor der Bevölkerung geheim zu halten, wurden die Fahrer angehalten, bei ihren Fahrten wechselnde Routen zu benutzen.
Die Heilanstalt im württembergischen Weißenau nahe Ravensburg wurde 1940 von den nationalsozialistischen Behörden zur Zwischenanstalt bestimmt. Fast 700 Patienten überführte die GEKRAT 1940/41 in die Tötungsanstalten nach Grafeneck und Hadamar. Auch nach der offiziellen Einstellung des »Euthanasie«-Programms töteten Ärzte und Pflegekräfte weitere Patienten in der Heilanstalt Weißenau durch Nahrungsentzug und Medikamente.

Opfergruppen

691 körperlich und geistig Behinderte und psychisch Kranke wurden 1940/41 in den grauen Bussen der GEKRAT aus der Heilanstalt Weißenau in die »T4«-Anstalten Grafeneck und Hadamar gebracht. Dort wurden sie in den als Duschräumen getarnten Gaskammern von Ärzten und Pflegern mit Kohlenmonoxid erstickt.

Erfahre mehr über Deutschland

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Im Jahr 2005 schrieb die Stadt Ravensburg und das Zentrum für Psychiatrie Die Weißenau (ZfP) den Wettbewerb »Mahnmal Weißenau« aus. Eine Jury, die sich aus Delegierten der Stadt, des ZfP sowie aus Kunstexperten zusammensetzte, entschied sich Anfang 2006 für den Wettbewerbsbeitrag von Horst Hoheisel und Andreas Knitz - einen Denkmalsentwurf in Form einer in Beton gegossenen originalgetreuen Nachbildung der GEKRAT-Omnibusse. Seit November 2006 steht das Mahnmal Weißenau in einer nicht mehr genutzten Einfahrt zum Anstaltsgelände. Von dieser Pforte verließen 1940/41 die GEKRAT-Busse mit den zur Tötung bestimmten Patienten die Heilanstalt. Durch einen Mittelgang in dem aus zwei Segmenten bestehenden Denkmal können Besucher und Mitarbeiter des ZfP die Toreinfahrt durchschreiten. An der Wand im Mittelgang ist ein von einem Patienten stammendes Zitat zu lesen: »Wohin bringt ihr uns?«
Eine identische Kopie des Denkmals erinnert an verschiedenen historischen Orten in Deutschland zeitweilig an die Opfer der »Euthanasie«. Der Bus stand bereits in Ravensburg an der Straße, die 1940/41 von der GEKRAT genutzt wurde, sowie in Brandenburg an der Havel, in Stuttgart und in der Berliner Tiergartenstraße. Dort, wo heute ein Gebäude der Philharmonie steht, befand sich in der Zeit des Nationalsozialismus der Hauptsitz der »T4«-Behörde.

Öffnungszeiten

Jederzeit zugänglich

Kontakt

http://www.dasdenkmaldergrauenbusse.de

info@zfp-zentrum.de

+49(0)7583 331 584

Weingartshofer Straße 2
88214 Ravensburg