Am Eingang zum jüdischen Friedhof der Stadt Priština erinnern »Ehrengräber« an die mehr als 1.000 aus dem Kosovo deportierten Juden.
Geschichte
Der jüdische Friedhof von Priština, der Hauptstadt des Kosovo, liegt außerhalb des Stadtzentrums auf dem Berg Taukbashçe. Bei der Errichtung des Friedhofs im 19. Jahrhundert zählte die jüdische Gemeinde etwa 1.500 Mitglieder.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde Priština – wie der überwiegend von Albanern bewohnte Südwestteil des Kosovo insgesamt – in das vom faschistischen Italien kontrollierte »Groß-Albanien« eingegliedert. Der mehrheitlich von Serben bewohnte nördliche Teil des Kosovo stand unter deutscher Militärverwaltung, der Osten fiel an Bulgarien. Nach dem Angriff auf Jugoslawien im April 1941 hatten deutsche Truppen zunächst auch den Südwesten des Kosovo besetzt. Etwa 500 Juden wurden sofort verhaftet und in das Lager Sajmište bei Belgrad deportiert. Unter ihnen befanden sich auch Juden aus dem Norden des Kosovo und aus dem von Deutschen besetzten Teil Serbiens. Sie hatten versucht, in den von Italien besetzten Süden zu gelangen. Die dortigen italienischen und albanischen Behörden hatten sich zunächst geweigert, Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden wie in den deutschen Besatzungsgebieten durchzuführen. Im Frühjahr 1942 lieferte Italien schließlich doch 51 Juden aus dem Kosovo an Deutschland aus. Sie wurden im Lager Banjica bei Belgrad erschossen.
Nach Italiens Waffenstillstandsabkommen mit den Alliierten im September 1943 wurde ganz »Groß-Albanien« von deutschen Truppen besetzt. Im Anschluss wurden auch im Kosovo Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden durchgeführt. Zu ihnen gehörte die Verhaftungsaktion der 21. Gebirgsdivision der Waffen-SS »Skanderbeg«, die aus albanischen Freiwilligen und Zwangsrekrutierten bestand: Am 14. Mai 1944 verhaftete sie 300 bis 400 Juden in Priština und in Gjakova. Von dort wurden die Verhafteten, überwiegend jüdische Flüchtlinge, in das in Norddeutschland gelegene Konzentrationslager Bergen-Belsen verschleppt. Nur etwa 100 von ihnen sollen überlebt haben. Priština wurde 1944 von Partisanen befreit und gehörte später als Teil der serbischen Teilrepublik zu Jugoslawien. Von den kosovarischen Juden überlebte weniger als die Hälfte den Holocaust. Die meisten von ihnen emigrierten zwischen 1948 und 1952 nach Israel.
Opfergruppen
Erinnert wird an mehr als 1.000 Juden, die im Kosovo verhaftet oder an Deutschland ausgeliefert wurden und von denen einige hundert ums Leben gekommen sind. Unter ihnen befanden sich viele jüdische Flüchtlinge.
Das mehrheitlich albanischsprachige Kosovo gehörte seit 1912 zum Königreich Serbien, nach 1929 zu Jugoslawien. Durch den Überfall der deutschen Wehrmacht im April 1941 wurde Jugoslawien als Staat zerschlagen. Die Landesteile fielen unter Verwaltung der Wehrmacht oder ihrer Verbündeten. Das Kosovo wurde italienisch und dem seit 1939 von Italien kontrollierten Nachbarland Albanien angegliedert. 1943 besetzte die deutsche Wehrmacht auch Italien und alle Gebiete unter italienischem Einfluss, darunter das Kosovo. Die Region wurde verstärkt zum Kampfgebiet von Partisanen. Die Deutschen warben um die albanischsprachige Bevölkerung. 1944 stellte die SS eine albanische Einheit auf, in der sich vor allem Kosovo-Albaner befanden. Die Division »Skanderbeg« sollte zur Partisanenbekämpfung eingesetzt werden, terrorisierte jedoch auch serbische Zivilisten. Diese Einheit trug den Namen des Nationalhelden und Fürsten Georg Kastriota (1405–1468), genannt Skanderbeg, der für seine Verteidigung Albaniens gegen die Osmanen verehrt wird. Aber nicht alle Albaner stellten sich auf die Seite der Besatzungsmacht; sie kämpften auch bei den jugoslawischen Partisanen unter Josip Broz Tito (1892–1980). Daneben operierten im Kosovo auch Verbände der albanischen Kommunisten unter Enver Hoxha (1908–1985). Hoxha verzichtete 1944 gegenüber Tito darauf, nach Kriegsende das Kosovo bei Albanien zu belassen, um nicht in Gefahr zu geraten, den gesamten albanischen Staat an Jugoslawien zu verlieren. Tito versprach dem Kosovo das Recht auf nationale Selbstbestimmung, das es aber erst 1974 mit einem Autonomiestatus erhielt. Im öffentlichen Leben spielte alles Albanische nun eine stärkere Rolle. Nach Titos Tod nahmen Konflikte der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Jugoslawien zu. Im Kosovo wurde der serbische Einfluss erneut ausgeweitet, wozu maßgeblich der serbische Präsident Slobodan Milošević (1941–2006) beitrug. Der faktischen Aufhebung der Autonomie 1989 begegneten die Kosovaren mit der Erklärung ihrer Unabhängigkeit, die international jedoch nicht anerkannt wurde. Nationalisten begannen mit dem gewaltfreien Aufbau eines Parallelstaates, der unter anderem ein eigenes Schulwesen organisierte. Spätestens ab 1996 versuchte aber die »Ushtria Çlirimtare e Kosovës« (Befreiungsarmee des Kosovo = UÇK) die Unabhängigkeit mit Gewalt zu erreichen. Sie wurde von serbischen Einheiten bekämpft. Der zum Bürgerkrieg ausgeweitete Konflikt alarmierte die internationale Staatengemeinschaft; schließlich zwang 1999 die NATO die serbisch-jugoslawischen Militäreinheiten zum Rückzug. Seitdem stand das Kosovo unter internationaler Verwaltung. 2008 erklärte es seine Unabhängigkeit, die von zahlreichen Staaten anerkannt wurde, darunter Deutschland
Im Rahmen des albanisch-serbischen Konfliktes spielt die Auslegung der Geschichte im Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle. Auf Seiten der Kosovo-Albaner ist die Kollaboration mit der Wehrmacht und der SS kaum aufgearbeitet. Neben den zahlreichen Morden an Serben war mit ihr auch die Verschleppung von etwa 300 Juden aus Pristina in das Konzentrationslager Bergen-Belsen im Frühjahr 1944 verbunden. Die serbische Seite dokumentierte hingegen vor allem die Verbrechen der Division »Skanderbeg« und bezog sie direkt auf die Verfolgung von Serben im heutigen Kosovo und auf das Vorgehen der UÇK. Die Rolle von Albanern beim Widerstand gegen die Wehrmacht wird hingegen kaum thematisiert.
Erinnerung
Als der jüdische Friedhof von Priština 1967 unter Denkmalschutz gestellt wurde, standen noch 57 Grabsteine. Die letzte Beisetzung fand in den 1980er statt. An die aus »Groß-Albanien« Deportierten erinnern »Ehrengräber« am Eingang.
Die Jüdische Gemeinde in Priština war 1944 wiedergegründet worden. Die Bemühungen um das jüdische Leben der Stadt endeten jedoch 1999: Während des Kosovo-Krieges flüchteten die Juden Prištinas – wie alle anderen Nicht-Albaner und Serben – aus der Stadt, deren Verwaltung nach dem Krieg die UNO übernahm. Nur in der Stadt Prizren leben heute noch Juden.
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