Ausstellung »Wir waren Nachbarn«

Ausstellung »Wir waren Nachbarn«


Im Rathaus Schöneberg erinnert die Ausstellungsinstallation »Wir waren Nachbarn« an ehemalige jüdische Einwohner des Bezirks, die während der Zeit des Nationalsozialismus aus ihrer Heimat vertrieben oder ermordet wurden.

Geschichte

Nach der Reichsgründung 1871 wuchs die Hauptstadt Berlin rasant und dehnte sich immer weiter in ihre Umgebung aus. Innerhalb weniger Jahrzehnte wuchs Schöneberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem kleinen Dorf zu einem dicht besiedelten und modernen Vorort Berlins heran. Es entstanden neue, planmäßig angelegte Viertel für ein wohlhabendes, bürgerliches Klientel. Zu den wichtigsten neuen Wahrzeichen Schönebergs zählten die U-Bahn, das Schöneberger Rathaus und der Sportpalast. Auch viele Juden zogen in der Gründerzeit nach Schöneberg, vor allem bürgerliche Familien. Eines ihrer beliebtesten Wohngegenden war das großbürgerliche Bayerische Viertel, das umgangssprachlich auch »jüdische Schweiz« genannt wurde und in dem viele Prominente Künstler, Wissenschaftler und Kaufleute lebten.
1920 wurde Schöneberg zu einem Bezirk Groß-Berlins. Beim Machtantritt der Nationalsozialisten wohnten etwa 16.000 Juden in Schöneberg, was einem Anteil von etwas mehr als 7% der Gesamtbevölkerung entsprach. Ihr Leben änderte sich nun schlagartig. Die Nationalsozialisten begannen, Juden aus dem gesellschaftlichen Leben schrittweise auszugrenzen: Berufsverbote und diskriminierende Verordnungen machten ein geregeltes Leben unmöglich. Bei den Pogromen im November 1938 zerstörten Nationalsozialisten und ihre Unterstützer Synagogen und jüdische Geschäfte; mehrere tausend jüdische Männer wurden für einige Wochen in Konzentrationslager verschleppt. Die Mehrheit der Berliner – und so auch der Schöneberger – Juden wählte die Auswanderung. Dies war nach 1940 kaum mehr möglich. Im Herbst 1941 begannen die Nationalsozialisten die systematische Deportation der deutschen Juden. Fast alle noch verbliebenen 6.000 Schöneberger Juden wurden in Ghettos und Vernichtungslager im Osten verschleppt.

Opfergruppen

Während des Nationalsozialismus wurden die meisten jüdischen Einwohner Schönebergs zur Auswanderung gezwungen. Etwa 6.000 von ihnen wurden in den Osten deportiert.
Im Bezirk Tempelhof lebten vor 1933 etwa 2.300 jüdische Bürger (2,03% der Gesamtbevölkerung), von ihnen wurden 230 deportiert.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Schönebergs einst wichtigste Synagoge befand sich in der Münchener Straße. Während des Novemberterrors 1938 wurde sie geplündert, aber nicht zerstört, im Zweiten Weltkrieg wurde sie jedoch so schwer beschädigt, dass sie 1956 abgerissen wurde. 1963 wurde an der Stelle ein Denkmal aufgestellt.
In den 1980er Jahren begannen viele Bürger, sich für die Geschichte ihrer Nachbarschaft im Nationalsozialismus zu interessieren. Es entstanden zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zu lokalhistorischen Themen, so auch in Schöneberg. 1995 gab es eine Schöneberger Ausstellung »Formen des Erinnerns«, die auf Aufzeichnungen von Treffen mit Zeitzeugen beruhte.
2005 wurde im großen Saal des Rathauses Schöneberg die Ausstellung »Wir waren Nachbarn« eröffnet. Sie bestand ursprünglich aus 92 Alben, die das Leben ehemaliger Schöneberger Juden aufgrund ihrer eigenen Erzählungen nachzeichneten. Die Ausstellung war bis 2009 jedes Jahr jeweils drei Monate lang zu sehen. 2009 musste die Ausstellung wegen Schäden am Bau für einige Jahre in einen kleineren Raum umziehen. Die Materialien wurden nach und nach erweitert und um Hörstationen ergänzt. Da Tempelhof und Schöneberg inzwischen einen gemeinsamen Bezirk bilden, wurden auch Biographien aus Tempelhof aufgenommen. Im Januar 2015 konnte die Ausstellung, die an einen großen Lesesaal erinnert, an ihrem ursprünglichen Ort im Rathaus Schöneberg mit 152 biographischen Alben wieder eröffnet werden. Darunter befinden sich auch Biographien von prominenten Persönlichkeiten wie Kurt Tucholsky, Else Lasker-Schüler oder Helmut Newton. An den Wänden sind 6.000 handgeschriebene Karteikarten mit den Namen, Adressen und Lebensdaten der Deportierten angebracht. Für die Ausstellung zeichnet der Verein »frag doch! Verein für Begegnung und Erinnerung e.V.« verantwortlich.

Angebote

Deutsche und englische Führungen für Schüler, Jugendliche und Erwachsene, inhaltliche Schwerpunkte nach Absprache; Workshops für SEK I und SEK II zu verschiedenen Themen





Öffnungszeiten

Montag bis Donnerstag. Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00
(für Gruppen und Schulklassen nach Anmeldung auch freitags)

Kontakt

http://www.wirwarennachbarn.de

projekt@wirwarennachbarn.de

+49 (0)30 902 774 527

Rathaus Schöneberg, John-F.-Kennedy-Platz 1
10825 Berlin