In Boryslaw (ukrainisch: Borislaw, polnisch: Borysław) erinnern zwei Denkmäler an über 10.000 Juden aus der Stadt, die zwischen 1941 und 1944 von der SS erschossen oder in Vernichtungslagern ermordet wurden.
Geschichte
Boryslaw, gelegen in der historischen Region Galizien in der Nähe von Lemberg, gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn, bevor das Gebiet Teil des wiedererstandenen polnischen Staates wurde. Die Kleinstadt in den Nordkarpaten entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Zentrum der Erdölindustrie. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten dort etwa 14.000 Juden. Nach dem Ausbruch des Krieges 1939 kam die Stadt in Folge des Hitler-Stalin-Paktes unter sowjetische Besatzung. Auch viele Juden wurden in der Folge Opfer von Verfolgung und Terror durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD.
Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 besetzten deutsche Truppen Boryslaw. Direkt im Anschluss verübten Ukrainer mit Billigung der Besatzungsbehörden ein Pogrom an Juden, die sie für die Verbrechen des NKWD verantwortlich machten. Danach begann die SS in Zusammenarbeit mit Schutzpolizisten und ukrainischen Hilfspolizisten, Juden systematisch zu erschießen. Im Sommer 1942 wurden etwa 6.000 Juden aus Boryslaw in das nahe gelegene Vernichtungslager Belzec deportiert, das die SS kurz zuvor einrichtete.
In Boryslaw selbst betrieb die SS ein Zwangsarbeiterlager. Die verbliebenen Juden mussten in dieses Lager umziehen und für die deutsche »Karpaten-Öl-Aktiengesellschaft« arbeiten, die seit 1941 die dortigen Erdölfelder verwaltete. Ihr Geschäftsführer Berthold Beitz konnte eine Zeit lang wiederholt jüdische Arbeiter mit dem Hinweis auf die »kriegswichtige« Produktion vor ihrer Verschleppung ins Vernichtungslager bewahren. Von den Boryslawer Juden lebten Anfang 1944 nur noch etwa 1.200. Die SS ließ sie in die Lager Krakau-Plaszow und Auschwitz deportieren. Nur wenige überlebten.
Opfergruppen
Von den etwa 14.000 Boryslawer Juden überlebten nur wenige Hundert, viele von ihnen Dank des Einsatzes von Berthold Beitz.
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Ukraine
Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden.
Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen.
Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.
Erinnerung
Boryslaw gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zur Sowjetunion, heute zur Ukraine. In der Stadt erinnern mehrere Denkmäler an die ermordeten Boryslawer Juden. Ein Denkmal in hebräischer, ukrainischer und englischer Sprache erinnert am Ort eines Massengrabes an die dort liegenden Boryslawer Juden, die laut Inschrift am 28. November 1941 ermordet wurden. Ein weiteres Denkmal steht hinter dem Schlachthof, wo es mehrere Massenerschießungen gab. Am Standort des ehemaligen jüdischen Friedhofs wurde ebenfalls ein Gedenkstein errichtet, während am Gebäude des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers der »Karpaten-Öl AG« eine Gedenktafel hängt.
2010 erschienen in der Buchreihe der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas die Memoiren von Sabina van der Linden-Wolanski (geborene Haberman), die in Boryslaw aufwuchs. Sie überlebte als einzige aus ihrer Familie Verfolgung und Zwangsarbeit.