Vélodrome d’Hiver

Vélodrome d’Hiver


Mehrere Gedenkzeichen, darunter eine 1994 eingeweihte Skulpturengruppe, erinnern an die Internierung von mehreren tausend jüdischen Kindern, Frauen und Männern im Juli 1942 in der Radsporthalle Vélodrome d´Hiver (abgekürzt: »Vél d´hiv´«) in der Pariser Innenstadt nahe des Eiffelturms. Die Verschleppten wurden von der SS wenig später über Durchgangslager in das Vernichtungslager Auschwitz im besetzten Polen deportiert. Mittlerweile spielt das Datum des Internierungsbeginns, der 16. Juli 1942, eine wichtige symbolische Rolle in der französischen Gedenkkultur.

Geschichte

Mit der Niederlage der französischen Armee im Juni 1940 fiel ganz Nordfrankreich unter die Besatzung der Wehrmacht, während der Süden zunächst unbesetzt blieb. Hier hatte die mit Deutschland verbündete Regierung von Vichy allein das Sagen. Sie ließ Tausende – vor allem jüdische und nichtjüdische Ausländer – in Lagern internieren und betrieb mit einem im Oktober 1940 erlassenen »Judenstatut« im besetzten wie im unbesetzten Teil Frankreichs den Ausschluss der Juden aus der Gesellschaft. Ein weiteres Statut folgte im Juni 1941. Französische Behörden unterstützten das deutsche Besatzungsregime, als dieses die antijüdische Politik immer weiter verschärfte. In Paris führte die Polizei auf Veranlassung der Gestapo bereits im Mai 1941 eine erste Razzia gegen Juden durch. 3.700 ausländische Juden wurden in Lagern festgehalten. Im August 1941 verhafteten französische Polizisten und deutsche Feldgendarmen erneut etwa 4.300 französische Juden und jüdische Flüchtlinge. Im März 1942 begannen die Deportationen der bisher internierten Juden in das Vernichtungslager Auschwitz. Mitte Juli 1942 nahmen Gestapo und französische Polizei dann über 13.000 Juden fest; nach der Planung der Verantwortlichen hätten es 28.000 sein sollen, doch waren offenbar viele Verfolgte gewarnt worden und konnten sich einer Festnahme entziehen. Zwei Drittel der Verhafteten wurden in das Vélodrôme d’Hiver, einer Radsportarena, zusammengetrieben und dort mehrere Tage völlig unterversorgt festgehalten. Anschließend wurden die Internierten in die Lager Beaune-la-Rolande und Pithiviers verschleppt, von wo sie später nach Auschwitz deportiert wurden.

Opfergruppen

Am 16. und 17. Juli 1942 verhaftete die französische Polizei auf Veranlassung der Gestapo zunächst 12.884 jüdische Kinder, Frauen und Männer. Bis zum 20. Juli war die Zahl der Festgenommenen auf 13.152 gestiegen, darunter 4.115 Kinder. Einzelpersonen und kinderlose Ehepaare wurden in das Durchgangslager Drancy verschleppt, alle anderen, über 8.000 Menschen unter menschenverachtenden Umständen in das »Vélodrome d'Hiver« gesperrt, bevor sie, nach bis zu sechs Tagen Aufenthalt, in andere Lager und schließlich nach Auschwitz deportiert wurden.
Insgesamt kamen etwa 76.000 Juden aus Frankreich in deutschen Vernichtungslagern im besetzten Polen um.

Erfahre mehr über Frankreich

Frankreich geriet nach der Niederlage seiner Armee im Juni 1940 unter deutschen Einfluss. Der Norden fiel unter deutsche Militärverwaltung, der Süden blieb zunächst unbesetzt. Im südfranzösischen Kurort Vichy wurde eine von Deutschland abhängige Regierung gebildet. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs lebten etwa 300.000 Juden in Frankreich. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, da die Religionszugehörigkeit in Frankreich nicht registriert wurde. Ende 1940 wurden im Norden die ersten antijüdischen Verordnungen erlassen. Der Politik der Zwangsregistrierung, Ausgrenzung und Beraubung folgten systematische Festnahmen durch die französische Gendarmerie. Vor allem Juden ohne französischen Pass gerieten ins Visier des deutschen SS- und Polizeiapparates sowie der einheimischen Behörden. Mit dem Anwachsen des französischen Widerstandes ging der deutsche Militärbefehlshaber General Otto von Stülpnagel (1878–1948) dazu über, als Abschreckung Unbeteiligte erschießen und insbesondere Juden festnehmen zu lassen. Diese Verhafteten gehörten zu den ersten, die ab März 1942 in die Vernichtungslager im besetzten Polen verschleppt wurden. Etwa 75.000 Menschen wurden in über siebzig Transporten verschleppt und ermordet. Die Mehrzahl der französischen Juden überlebte, zumeist in Verstecken im südlichen Landesteil. Krieg und Verfolgung fielen in Frankreich etwa 600.000 Menschen zum Opfer, unter ihnen 270.000 Zivilisten. Während andere Opfergruppen bis heute wenig differenziert behandelt werden, hat sich seit Ende der 1980er Jahre die Forschung zu Patienten, die in Heimen und Kliniken zu Tode kamen, verstärkt. Heute wird von bis zu 50.000 Opfern ausgegangen. In beiden Landesteilen hatte es während der Besetzung Verfolgung, Kollaboration und Widerstand gegeben. Insbesondere die Erinnerung an den Kampf der »Résistance« als Ausdruck französischer Vaterlandsliebe und das Leid der »Deportation« boten nach dem Krieg die Möglichkeit, Gegensätze zwischen Konservativen (Gaullisten) und nach Moskau ausgerichteten Kommunisten zu überbrücken. Dem entsprechen die Widmungen zahlreicher Museen und Gedenkstätten – wie das »Mémorial des Martyrs de la Déportation« (Denkmal für die Märtyrer der Deportation) in Paris aus dem Jahr 1956 und das 2005 in der KZ-Gedenkstätte Natzweiler eröffnete »Centre Européen du Résistant Déporté« (Europäisches Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers). Ab Anfang der 1990er Jahre entstanden Einrichtungen wie das Maison d’Izieu (Haus von Izieu) bei Lyon, wo an 44 verschleppte jüdische Kinder erinnert wird, die Nationale Gedenkstätte im ehemaligen Lager Gurs sowie ein Erinnerungszentrum in Oradour sur Glane – einer Ortschaft, die die SS 1944 zerstört hatte. Die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust ist die 2005 eröffnete »Mémorial de la Shoah« im Zentrum der Hauptstadt. Mittlerweile haben mehrere französische Staatspräsidenten die Mitverantwortung des Landes für den Holocaust in Frankreich anerkannt. Die 1988 eröffnete und 2002 erweiterte Gedenkstätte in Caen, die an die Landung der Westalliierten in der Normandie 1944 erinnert, ist die meistbesuchte Gedenkstätte außerhalb von Paris. Hier finden die jährlichen nationalen Gedenkfeiern an den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland statt. Zudem gibt es zahlreiche regionale Museen, in denen die Auseinandersetzung mit Verfolgung, Widerstand und Deportation im Mittelpunkt steht.

Erinnerung

Das »Vélodrome d´Hiver« war 1889 als Teil der Anlagen für die Weltausstellung errichtet worden und diente seit 1903 bzw. 1910 als Halle für Radsportkämpfe sowie andere Veranstaltungen. Bereits wenige Wochen nach der Internierung wurde die Halle wieder für Wettkämpfe verwendet. Nach dem Ende der deutschen Besatzung wurden in der Halle kurzzeitig Franzosen inhaftiert, die der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt wurden.
Das »Vélodrome« wurde 1959 abgerissen. Seit 1946 erinnerte eine Gedenkplatte an die Verschleppung Tausender Juden hierher; mit dem Abriss der Halle 1959 verschwand sie. Heute befindet sich an der Stelle eine Abteilung des Innenministeriums.
Ein neues Zeichen der Erinnerung wurde erst 1986 in Form einer Gedenktafel gesetzt. Der Text nennt die Zahlen der Internierten, als Verantwortliche wird »die Polizei der Vichy-Regierung« benannt, die auf Befehl der nationalsozialistischen Besatzer gehandelt habe. Ebenfalls 1986 wurde eine nahegelegene Straßenkreuzung in »Platz der jüdischen Märtyrer des Vélodrome d'Hiver« umbenannt. 1992 legte Staatspräsident Mitterand am historischen Ort einen Kranz nieder. Er verweigerte sich jedoch der Forderung der Bürgergruppe »Comité Vél d´Hiv 42«, im Namen der französischen Republik die Verantwortung für die Verbrechen des Vichyregimes zu übernehmen. Hingegen schaffte er 1993 per Dekret einen »Nationalen Gedenktag an rassistische und antisemitische Verfolgungen«, den er auf den 16. Juli (Beginn der Razzia 1942) bzw. die darauf folgenden Sonntage legen ließ. Am 17. Juli 1994 weihte Mitterand am nahegelegenen Quai de Grenelle ein durch den Bildhauer Walter Spitzer geschaffenes Denkmal für die Deportierten ein. Es zeigt eine Gruppe von sieben auf dem Boden sitzenden Figuren. Ein weiteres Jahr später, am 16. Juli 1995, erkannte der neue Staatspräsident Jacques Chirac schließlich die »unverjährbare Schuld« Frankreichs gegenüber den 76.000 aus dem Land deportierten und ermordeten Juden an.

Öffnungszeiten

Denkmal und Gedenktafel sind jederzeit zugänglich.

Kontakt

Ecke Rue Nélanton/Rue du Docteur Finlay
75015 Paris