Ort der Erinnerung für die in Divoshin ermordeten Roma
Місце пам’яті вбитим ромам у с. Дівошин
Im Dorf Divoshin im Norden der Ukraine erinnert seit 2019 ein Denkmal an etwa 80 Roma, die dort ermordet wurden. Die Namen der Opfer sind nicht bekannt.
Geschichte
Neben Juden verfolgten die Nationalsozialisten auch Sinti und Roma aus rassistischen Motiven heraus. Auch in der besetzten Sowjetunion waren die Roma Ziel der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Sie gingen sowohl sesshafte Roma als auch gegen Nomaden vor, oft wurden ganze Gruppen auf einmal zusammen ermordet.
Am Rande des Dorfes Divoshin nahe der belarussischen Grenze wurden im Sommer oder Herbst 1942 mindestens 80 Roma ermordet. Diese wurden zuvor vom Dorfältesten des belarussischen Dorfes Kozly des Ortes verwiesen. Deutsche Kavallerie traf auf die Gruppe und beschuldigte sie, den Partisanen zu helfen. Die Deutschen trieben die Roma in einen Stall hinein. Laut Erinnerungen von Dorfbewohnern wurden am nächsten Morgen die Männer gezwungen, zur Tongewinnung genutzte Gruben zu vertiefen, anschließend wurden sie dort erschossen. Danach wurden die Frauen vergewaltigt und zusammen mit den Kindern erschossen. Dorfbewohner hörten die Schreie und die Schüsse.
Opfergruppen
Mindestens 80 Roma wurden am Rande des Dorfes Divoshin im Spätsommer oder im Herbst 1942 ermordet. Die Opfer konnten nicht namentlich identifiziert werden.
Während der deutschen Besatzung wurde vermutlich die überwiegende Mehrheit der Roma in der Ukraine ermordet – schätzungsweise 12.000 Kinder, Frauen und Männer.
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Ukraine
Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden.
Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen.
Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.
Erinnerung
Die Ermordung von Roma in Divoshin wurde von den sowjetischen Behörden nach dem Krieg nicht untersucht. Die Dorfbewohner, für die die Opfer Fremde waren, fühlten sich ebenfalls nicht für die Pflege des Massengrabs verantwortlich. In den 1970er Jahren wurde die Wiese, wo sich das Massengrab befindet, planiert und die Fläche für landwirtschaftliche Nutzung freigegeben.
Nach 2000 bemühten sich lokale Akteure, allen voran Konstiantyn Bondarchuk aus dem benachbarten Dorf Pokaliw sowie Igor Krikunov, Direktor des Kiever Roma-Theaters »Romans« darum, mehr über das Verbrechen in Erfahrung zu bringen. Zusammen mit dem Lokalhistoriker Yakiv Hryshchuk setzten sie sich für die Errichtung eines Denkmals ein.
Im Rahmen des internationalen Projekts »Erinnerung bewahren«, das bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin angesiedelt ist, wurde 2019 auf der Wiese, wo der Tatort vermutet wird, ein »Wald der Erinnerung« angepflanzt. 80 Bäume stehen symbolisch für die Anzahl der Opfer. Zudem wurde ein Gedenkstein eingeweiht mit einer Inschrift auf Ukrainisch, Englisch und Romanes. Die Inschrift lautet: »In Erinnerung an 80 Roma, die 1942 von den deutschen Besatzern ermordet wurden.« Eine Informationsstele klärt über die Hintergründe auf.