Der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen ist eines der weltweit größten Archive zur Geschichte des Nationalsozialismus. Hier befinden sich Dokumente zum Schicksal von Inhaftierten in Konzentrationslagern, Zwangsarbeitern und weiteren zivilen Opfern des NS-Regimes.
Geschichte
Bereits 1943 richteten die alliierten Streitkräfte ein Suchbüro ein, das später den Namen »International Tracing Service« (ITS) erhalten sollte. Es ersetzte beim Britischen Roten Kreuz in London die Abteilung für Internationale Angelegenheiten. Das Suchbüro zog mit der Kriegsfront von London nach Versailles und schließlich weiter nach Frankfurt am Main. 1946 verlegten die Alliierten das Büro ins hessische Arolsen, da dieser Ort geographisch gesehen ungefähr in der Mitte der vier Besatzungsmächte lag. Ab 1954 übernahm das Internationale Komitee des Roten Kreuzes die Leitung und Verwaltung des ITS.
Opfergruppen
Der ITS dokumentiert das Schicksal von Millionen ziviler Opfer, die in der Zeit des Nationalsozialismus oder in der Nachkriegszeit an den Folgen von Krieg und Verfolgung ums Leben kamen. Viele von ihnen wurden von ihren Angehörigen als vermisst gemeldet.
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Deutschland
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert.
Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar.
In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen.
Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.
Erinnerung
Der ITS bewahrt die aufgefundenen historischen Zeugnisse zu Verfolgten des Nationalsozialismus und macht sie der Forschung zugänglich. Dazu zählen Originaldokumente aus Konzentrationslagern, Aufstellungen über Zwangsarbeiter und Akten zu »Displaced Persons«. Um die historisch wertvollen Dokumente für die Nachwelt zu erhalten, werden diese restauriert, konserviert und digitalisiert. Der Internationale Suchdienst bearbeitet zudem zahlreiche Anfragen von Opfern des nationalsozialistischen Regimes und ihren Angehörigen. Wissenschaftler von Forschungseinrichtungen, Gedenkstätten, Universitäten oder Museen können seit der Öffnung der Archive im November 2007 die Akten des ITS für ihre Arbeit nutzen. Die Öffnung markiert den Beginn einer allmählichen Wandlung von einem Suchdienst hin zu einem Archiv für die historische Forschung.
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